Am 1. März 2022 haben von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt die Verhandlungen zu einem globalen WHO-Pandemievertrag begonnen. Läuft alles nach Plan, soll dieser bereits im Jahr 2024 abgeschlossen sein. Ein Vertrag, dessen Inhalt für Staaten und Bevölkerung mit gravierenden Folgen verknüpft sein könnte.

Ein Kommentar von Ralph Studer

Geht es nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollen die Verhandlungen über einen globalen Pandemievertrag bereits im Jahr 2024 beendet und die Verhandlungsergebnisse im Mai 2024 präsentiert werden. Inhaltlich verfolgt die WHO dabei folgende Stossrichtungen:

– ein höheres, nachhaltiges und langfristiges politisches Engagement auf Ebene der Staats- und Regierungschefs

– Schaffung und zur Verfügungstellen von sicheren und erschwinglichen Impfstoffen und Arzneimitteln

– klare Prozesse und Aufgaben  

– die Stärkung des öffentlichen und privaten Sektors auf allen Ebenen

– die Integration von Gesundheitsfragen in allen relevanten Politikbereichen (vgl. Internationaler Vertrag zur Pandemieprävention und ‑vorsorge – Consilium, Europa.eu), abgerufen am 17.3.2022).

Offene Fragen zum Pandemievertrag

Was auf den ersten Blick als sinnvoll und durchaus nützlich erscheint, wirft auf den zweiten Blick einige kritische Fragen auf:

– Soll zukünftig die WHO global verbindlich für alle Mitgliedstaaten über die Ausrufung von Pandemien allein entscheiden können und entsprechende Massnahmen wie z.B. Lockdowns und Schulschliessungen verhängen können?

– Wie soll zukünftig das Zusammenspiel von WHO und den Mitgliedstaaten aussehen?

– Sollte dieser globale Pandemievertrag tatsächlich abgeschlossen werden, wie ist sein Verhältnis zum nationalen Recht? Steht dieser über der Schweizer Verfassung mit der Folge, dass die Schweiz in ihrem Handlungsspielraum massiv eingeschränkt wäre?

– Angesichts der Wesentlichkeit des Vertragsgegenstand erfordert dies einen frühzeitigen und umfassenden Einbezug von Verbänden, Parteien und der Bevölkerung und deren Meinungen und Anliegen. In welcher Form wird dies gewährleistet, so dass den demokratischen Anforderungen ausreichend entsprochen wird? Welche Folgen hätte ein solcher Vertrag auf das föderalistische System der Schweiz? Wer vertritt bei diesem Vertrag die Interessen der Schweizer Bevölkerung? Welche Absichten verfolgt der Bundesrat bei diesen Verhandlungen?

– Ist die Stossrichtung eines globalen Vertrags tatsächlich der richtige Weg, in Anbetracht dessen, dass die WHO massgeblich Gelder von privaten Stiftungen erhält und die Unabhängigkeit der WHO nicht gewährleistet erscheint? Sollten nicht stattdessen die nationalen Gesundheitssysteme, insbesondere auch in Entwicklungsländern, ausgebaut und gestärkt werden bzw. in Ländern wie der Schweiz der Ausbau von Intensivstationsbetten, die Etablierung von Rekrutierungsprogrammen für entsprechendes Personal und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen?

Dies ist nur kleine Auswahl von Fragen, die zu stellen sind und vom Bund zu beantworten wären. An der WHO-Tagung im Mai 2021 begrüsste Bundesrat Berset als Vertreter der Schweiz die Aufnahme der Vertragsverhandlungen für einen internationalen Pandemievertrag. Bereits zu diesem Zeitpunkt liessen jedoch einige Länder durchblicken, dass sie mit einem solchen globalen Pandemievertrag nicht einverstanden sind, weil dieser mit einem Souveränitäts- und Entscheidungsverlust der Nationalstaaten einherginge (vgl. Internationaler Pandemievertrag: Alain Berset eröffnet WHO-Tagung, Aargauer Zeitung, aufgerufen am 17.3.2022).

Demokratische Prozesse übergangen

Wie bereits beim UNO-Migrationspakt wurden die Bevölkerungen der Mitgliedstaaten – so auch im Falle der Schweiz – nicht einbezogen. Dabei preschte der Bundesrat vor, ohne dass seitens Politik und Medien eine öffentliche Diskussion lanciert und durchgeführt wurde. Die demokratische Gepflogenheiten einfach zu übergangen ist jedoch höchst problematisch, gerade wenn wie angeführt zahlreiche Fragen offen sind und wie in diesem Fall die WHO zusammen mit Staats- und Regierungschefs zusammen mit privaten Stiftungen und Pharmaunternehmen an der Bevölkerung vorbei Entscheidungen treffen, die jedoch gravierende Folgen für die Bevölkerung der jeweiligen Länder haben.

Unabhängige WHO?

Werfen wir einen genaueren Blick auf die WHO und gehen einige Jahre zurück. Die Erinnerung an die Schweinegrippe im Jahr 2009 ist noch präsent. Damals rief die WHO einen globalen Notstand aus, der Angst und Panik weltweit verbreitete. Pharmakonzerne produzierten Impfstoffe und etliche Staaten kauften diese in grossen Mengen, um gewappnet zu sein. Doch nicht geschah. Die Staaten blieben auf den gekauften Impfstoffen sitzen und mussten diese schliesslich vernichten. Allein die deutsche Bundesregierung kaufte damals Impfstoffe im Wert von 450 Millionen Euro. Profitiert haben damals v.a. die Pharmakonzerne (vgl. Die WHO am Bettelstab: Was gesund ist, bestimmt Bill Gates, SWR2, aufgerufen am 17.3.2022).

Die WHO ist mit hehren Zielen gestartet, doch befindet sie sich in einem finanziellen Dilemma. Warum? Kritiker wie Lawrence Gostin, Direktor des O’Neill Institute for National and Global Health Law an der amerikanischen Universität Georgetown, bemängeln die übermässige Abhängigkeit der WHO von privaten Spenden. „Das grösste Problem der WHO ist das Fehlen einer ausreichenden nachhaltigen Finanzierung“, so Gostin. „Dies macht sie übermässig abhängig von Gates und anderen Sponsoren und schränkt ihre Möglichkeiten stark ein.”

Die Bill und Melinda Gates Stiftung ist der grösste private Geldgeber der WHO, welche natürlich auch entsprechend mitreden will, wenn es um Projekte und Prioritäten geht. Erschwerend kommt hinzu, dass der grösste Teil der Gates-Gelder an spezifische Ziele gebunden ist, was die Handlungsmöglichkeit der WHO stark einschränkt. Kann angesichts dieser Umstände noch von einer unabhängigen WHO gesprochen werden, welche ihre Ziele selbst bestimmt? Wohl kaum. Die Abhängigkeit von privaten Geldgebern ist auch deshalb problematisch, weil diese niemandem – weder Staat noch Bevölkerung – demokratische Rechenschaft ablegen müssen und vor allem an Ansehen interessiert sind. Letzteres ist auch der Grund, dass Projekte mit Publizitätswirkung besonders angestossen werden. Auf der Strecke bleiben wenig messbare Bereiche, etwa die Verbesserung der Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern, welche weiterhin unterfinanziert sind (vgl. Die WHO am Bettelstab: Was gesund ist, bestimmt Bill Gates, SWR2, aufgerufen am 17.3.2022; Bill Gates’ Milliardenspenden haben auch ihre Kehrseiten, SWI swissinfo.ch, aufgerufen am 17.3.2022).

Weltgesundheitsrat und Ärzte äussern sich kritisch

Dies im Hinterkopf lässt die WHO in einem anderen Licht erscheinen und wichtige Fragen offen. Essentiell wäre zudem, dass der Bundesrat diese Problematik erkennt. Zu Recht äussert der Weltgesundheitsrat massive Kritik an dem beabsichtigen globalen Pandemievertrag. Er befürchtet eine gefährliche Machterweiterung der WHO und unangemessene Massnahmen. Stattdessen bekräftigt er das souveräne Recht der Menschen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und erhebt folgende Anliegen:

– Sensibilisierung für die Folgen des vorgeschlagenen globalen Pandemievertrags

– Aufruf zu nationalen Kampagnen und zum Schutz von Naturrecht und der demokratischen Verfassungen

– Gründung von Interessensverbänden, um dieser Absicht entgegenzuwirken (vgl. Offener Brief zum Pandemievertrag der WHO, aufgerufen am 17.3.2022)

In eine ähnliche Richtung geht auch „Gesundheit für Österreich“, eine Vereinigung österreichischer Ärzte und Wissenschaftler, welche mit einem offenen Brief am 7. März 2022 an die Öffentlichkeit gelangte. Diese warnt besonders davor, dass die WHO, die in keiner Weise demokratisch legitimiert ist, nach Ausrufung des „globalen Notstands“ zukünftig beliebige Massnahmen nicht nur empfehlen kann, sondern Entscheidungen trifft, die für die Mitgliedstaaten verbindlich und von diesen umgesetzt werden müssen. Ein solches Vorgehen sei mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar (Österreichische Ärzte und Wissenschaftler: WHO-Pandemievertrag brandgefährlich, aufgerufen am 17.3.2022).

Zugleich kritisiert die Vereinigung die Bestrebungen für eine zentralisierte Gesundheitspolitik, da sie regionale und individuelle Bedürfnisse nicht berücksichtigen könne und das landes- oder regionsspezifische Reagieren auf eine Notsituation unmöglich mache. Schliesslich verlangen andere Lebensumstände auf Umweltbedingungen in der Pandemie auch andere Massnahmen, so die Wissenschaftler und Ärzte der Vereinigung. Diesen Ausführungen sind zutreffend. Eine Organisation wie die WHO verfügt nicht über die Übersicht und Kenntnisse vor Ort, um für die ganze Welt verbindliche Entscheidungen treffen zu können. Vielmehr sollte die Zuständigkeit hierfür weiterhin bei den nationalen staatlichen Behörden liegen, welche vor Ort sind und die Lage im Vergleich zu einer weit entfernten WHO deutlich besser einschätzen können. Zudem schafft ein national-regionales Vorgehen auch Akzeptanz bei den betroffenen Menschen und kann auf deren Nöte und Probleme gezielt eingehen.

Wachsam bleiben

Die vorangehenden Ausführungen verdeutlichen, dass ein globaler Pandemievertrag viele Fragezeichen aufwirft bzw. die Umstände auf nichts Gutes hoffen lassen. Es wird zentral sein, dass die Bevölkerung und die politischen Parteien hier wachsam bleiben und sich auch kritisch einbringen. Eine verstärkte internationale Zusammenarbeit ist sicherlich erstrebenswert, jedoch nicht auf Kosten einer Verschiebung der Entscheidungen von den Nationalstaaten hin zur global tätigen WHO. Es steht viel auf dem Spiel: Unser Gesundheitswesen, unsere Demokratie und letztlich unsere Mitspracherechte. Lösungen vor Ort und die nationalen Gesundheitseinrichtungen sollten gefördert werden. Die Mitgliedstaaten im Austausch mit nationalen Verbänden, politischen Parteien und der Bevölkerung sind in der Verantwortung und nicht eine weit entfernte Weltgesundheitsorganisation wie die WHO, deren Ziele unklar und deren Abhängigkeit von privaten Geldgebern droht, unsere demokratischen Prozesse auszuhebeln und länderspezifische Bedürfnisse unberücksichtigt lässt.