Kulturgeschichtlich ist es unhaltbar, die „Ehe für alle“ als fortschrittlich zu bezeichnen.
In einem Essay zu aktuellen Herausforderungen für die christliche Anthropologie hält Daniel Ric bezüglich der Diskussion um die „Ehe für alle“ fest, dass diese oft sehr plakativ geführt wird. Begriffe wie „Diskriminierung“ oder Parolen wie „gleiche Rechte für alle“ würden die Gefühle der Menschen stark bewegen. Den Zweck seines Essays sieht er folglich darin, die diskutierten Fragen durch eine rationale Argumentation „der Gefühlswelt zu entreissen“ und der Polarisierung zu entziehen.
Die eheliche Verbindung zwischen Mann und Frau zu einer von der Gesellschaft geschützten Einheit sei nicht eine von Menschen, z.B. der Kirche, willkürlich gemachte Institution. Darauf weise schon die Bedeutungsherkunft des Wortes „Ehe“ hin, die Verbindungen zu den Begriffen „Recht, Ewigkeit bzw. ewig geltende Gewohnheit“ aufweise. Ric sieht darin einen Beleg, „dass es sich hier nicht um ein willkürlich vom Menschen geschaffenes Gebilde handelt, sondern um eine Regelung, die seit Jahrtausenden fester Bestandteil der Kultur ist.“ Weder das Judentum noch das Christentum hätten die Ehe als Institution geschaffen, sondern sie übernommen.
Das populäre Vorurteil, dass mit dem Schwinden des christlichen Einflusses auf die Gesellschaft auch die Moral eine völlige Neuorientierung braucht, kommt Ric zufolge „durch eine sehr radikale Negierung der historischen Entwicklung zustande“. Auch sei es kulturgeschichtlich unhaltbar, die Öffnung der Ehe als fortschrittlich zu bezeichnen: „Wenn die (u.a. naturrechtlich begründete, Anm. d. Red.) katholische Position trotz gewichtiger biologischer Argumente, was die Generativität der Gesellschaft betrifft, nicht für sich exklusiv in Anspruch nehmen darf, den Telos (Ziel, Anm. d. Red.) der Natur zu kennen, so darf auch keine Politik durch den Begriff ‚fortschrittlich‘ suggerieren, auf das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung hinzuarbeiten.“
Diesbezüglich möchte Ric „die Menschen für die Erkenntnis (…) sensibilisieren, dass es nur selten so ist, dass man eine Jahrtausende lang gewachsene Ordnung beliebig ändern kann, ohne die Institution als Ganzes infrage zu stellen.“ Die radikalen Systeme der Neuzeit, speziell die beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, hätten die Erfahrung machen müssen, „dass sich gesellschaftliche Änderungen nicht am Reissbrett vollziehen lassen, ohne Gefahr zu laufen, die ganze gesellschaftliche Ordnung zum Einsturz zu bringen.“
Rics Text, über den Zukunft CH bereits an anderer Stelle berichtet hat, fasst in freier Form die Salongespräche 2018 der Zürcher „Paulus-Akademie“ zu aktuellen Herausforderungen für die christliche Anthropologie zusammen.