Erstmals in der Geschichte der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) wurde eine eigene Konferenz zum Thema „Intoleranz und Diskriminierung gegen Christen“ veranstaltet. Der Runde Tisch zu dem Thema am 04. März in der Wiener Hofburg wurde vom Leiter des in Warschau angesiedelten OSZE-Menschenrechtsbüros ODIHR, Botschafter Janez Lenarcic, eröffnet. Mehr als 60 Vertreter von Staaten, NGOs, Universitäten sowie „Think Tanks“ nahmen teil. Wie Lenarcic bei der Eröffnung betonte, gehe es darum, das von der OSZE entwickelte Instrumentarium zur Identifikation von Fällen von Unrecht und Diskriminierung auf die Christen anzuwenden.
Der britische Religionsfreiheits-Experte Malcolm Evans von der Universität Bristol plädierte für eine Unterscheidung von echter Verweigerung der Religionsfreiheit in Staaten mit mangelhafter Einhaltung der Menschenrechte einerseits und „subjektiv empfundener Bedrohung der religiösen Rechte“ von Christen in Staaten mit funktionierender Menschenrechtspraxis andererseits. Das subjektive Bedrohungsgefühl sei noch nicht mit tatsächlicher Diskriminierung gleichzusetzen. Vielmehr handle es sich um eine Reaktion auf gesellschaftlichen Wandel und die Revision der Gesetzgebung im Hinblick auf diesen Wandel.
Evans stieß in den Arbeitsgruppen auch auf Widerspruch. So verwies der Vatikan-Berater Prof. Joan-Andreu Rocha Scarpetta auf die direkten Auswirkungen von Gesetzesänderungen auf religiös engagierte Menschen. Evans sehe in diesen Menschen nur Elemente der Gesellschaft, wobei es ihm nur auf die Gesellschaft ankomme. Doch seien es – so Rocha Scarpetta – die religiös Engagierten, die Auswirkungen von veränderten Gesetzen oder einer neuen Auslegungspraxis zu tragen hätten. Als Beispiele nannte er Praktiken in Gesundheitsdiensten oder die Zulassung von religionsverhöhnenden Programmen im Fernsehen.
Rocha Scarpetta setzte sich auch mit der Rolle der „pressure groups“ auseinander. Diese Gruppen habe es immer schon gegeben, dennoch gebe es eine Veränderung gegenüber früher. Das Spektrum der Gruppen sei heute komplexer und unübersichtlicher; sie seien schwerer zu identifizieren. Für die Regierungen sei es oft wichtiger, die „pressure groups“ zu berücksichtigen als die traditionellen religiösen Gruppen.
Der deutsche Religionssoziologe Thomas Schirrmacher – er ist Professor an der Universität Oradea in Rumänien und Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit der „Evangelischen Allianz“ – betonte, dass das Aufzeigen von Diskriminierung von Gläubigen im Westen zwar prinzipiell eine andere Dimension als das Aufzeigen echter Verfolgung im Osten habe. Dennoch sei das Augenmerk auch auf den Westen für die Glaubwürdigkeit der OSZE wichtig. Würde die OSZE nämlich nur auf die – tatsächlich gravierenden Missstände – in den ehemaligen Sowjetrepubliken hinweisen, wäre schnell der Vorwurf der Einäugigkeit zur Hand.
Schirrmacher kritisierte die Darstellung der Evangelikalen in deutschen Medien und bei einigen deutschen Linkspolitikern. Evangelikale würden zum Teil auf eine Linie mit Islamisten gestellt und mit dem Verdacht der Gefährlichkeit belegt. Es gebe Erfahrungen aus Schulen, wo Schüler aus evangelikalem oder freikirchlichem Elternhaus ausgegrenzt würden.
Insgesamt sei das deutsche und österreichische Modell der Trennung von Kirchen und Staat unter Beibehaltung der Zusammenarbeit im Dienst der Menschen, die zugleich Gläubige und Bürger sind, aber diskriminierungsfrei, so Schirrmacher. Es müsse auch akzeptiert werden, dass wegen der Pressefreiheit „auch gegen Christen geschrieben wird“. Gleichzeitig müsse es aber Ausgewogenheit geben, indem „Christen – ebenfalls wegen der Pressefreiheit – in Medien auf Vorwürfe reagieren können“.
In pluralistischen Gesellschaften werde in Zukunft die Diskrepanz zwischen einer dem Wertewandel angepassten Rechtsordnung einerseits und religiös tradierten Werten andererseits größer werden, prophezeite der deutsche Religionssoziologe. Dies werde zu mehr prinzipiellen Anfragen über eine Diskriminierung von Christen führen.
Pressemitteilung Martin Bucer Seminar