Unlängst hat die EU den umstrittenen Migrationspakt angenommen, gegen den Willen Polens und Ungarns. An der nun vereinbarten „verpflichtenden Solidarität“ und den Umsiedlungszielen scheiden sich die Geister.

Von Ralph Studer

Seit Jahren ist dieser Pakt hart umkämpft. Während die Befürworter sich eine Verkürzung der Sicherheits- und Asylverfahren und eine bessere Rückführung erhoffen, waren sich die Gegner einig: Der Pakt stellt einen massiven Eingriff in die staatliche Souveränität dar, führt zu einer weiteren Schwächung der europäischen Identität und löst das grundlegende Problem der illegalen Einwanderung nach Europa in keinster Weise.

Zankapfel: „verpflichtende Solidarität“ und Umsiedlung

Hauptstreitpunkt war die Einführung des Systems der „verpflichtenden Solidarität“ und der Umsiedlung. Diese räumt den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten drei Möglichkeiten ein: Sie können eine bestimmte Zahl von aus den Grenzstaaten umverteilten Asylbewerbern übernehmen, 20‘000 Euro für jeden von ihnen abgelehnten Asylbewerber zahlen oder operative Unterstützung finanzieren. Dabei ist das aktuelle Ziel eine jährliche Umsiedlung von Migranten im Umfang von 30‘000, um die Südländer zu entlasten.

Kritik aus Polen

Bereits im Oktober 2023 betonte der polnische Präsident Andrzej Duda, dass Polen diesen Pakt ablehnt. Eine Umverteilung der Migranten komme für sein Land nicht in Betracht. Es liege an der EU, aktive Massnahmen zu ergreifen, um das Problem der illegalen Migration zu verhindern, anstatt es allen Mitgliedstaaten aufzuzwingen.

Auch der amtierende Ministerpräsident Polens, Donald Tusk, sprach sich bis zum Schluss der Verhandlungen klar für den Schutz des Territoriums der EU-Mitgliedstaaten und für die Kontrolle der Grenzen aus. „Es gibt“, so Tusk, „keine Migrationspolitik ohne effektive Grenzkontrolle und ohne effektiven Schutz des eigenen Territoriums.“ Polen sei gegen diesen beabsichtigten Verlagerungsmechanismus. In dieser Form sei der Pakt für Polen deshalb „inakzeptabel“.

Ungarn lehnt den Pakt ebenfalls ab

Ähnliche kritische Töne kamen auch aus Ungarn. Der Pakt würde, so der ungarische Aussenminister Péter Szijjártó, ein westeuropäisches Problem auf Mitteleuropa ausweiten, „das darin wurzelt, dass sie (das heisst die westeuropäischen Staaten) ihre Identität, Kultur und den Schutz ihrer Gesellschaft aufgeben“. Zudem habe die offene Migrationspolitik bereits zu Parallelgesellschaften geführt und die Bedrohung durch Terrorismus erhöht.

Szijjártó kritisierte auch, dass es der EU gar nicht um einen effektiven Grenzschutz geht. Obwohl Ungarn die Schengen-Grenzen und die Aussengrenzen seit neun Jahren schütze, habe die ungarische Regierung keine Unterstützung aus Brüssel erhalten, sondern es bestehe ein ständiger Druck, den Grenzschutz aufzugeben.

In die gleiche Kerbe schlug auch der ungarische Europaabgeordnete Balazs Hidvéghi von der regierenden Partei Fidesz: „Wir alle wollen Menschen in Not helfen. Bei dieser Debatte geht es im Wesentlichen darum, ob wir in der Lage sind, unsere europäische Identität, unsere Lebensweise, Normen, Kultur und Traditionen zu bewahren oder nicht.“ Und Hidvéghi weiter: „Ungarn hat gezeigt, dass die Migration gestoppt werden kann, wenn es einen politischen Willen und entsprechende Massnahmen gibt.“ Illegale Massenmigration führe zum Zerfall der Gesellschaft und die öffentliche Sicherheit verschlechtere sich, während der Staat die Kontrolle verliere.

Rechtliche Schritte bei fehlender Umsetzung

Ungeachtet dieser Kritik aus Polen und Ungarn nahm die EU diesen Migrationspakt nun an. Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, hat bereits angekündigt, dass die Europäische Kommission rechtliche Schritte beim Europäischen Gerichtshof gegen Länder einleiten wird, wenn sie die Regeln des Migrationspakts nicht umsetzen. „Wenn dies nicht der Fall ist, wird die Kommission natürlich handeln und – wenn nötig – Vertragsverletzungsverfahren einleiten“, hielt Johansson an die Adresse der kritischen Länder fest.