Im EU-Parlament wurde bei der endgültigen Abstimmung am 24. Juni der umstrittene „Matić-Report“ mit überwiegender Mehrheit angenommen. Ein Todesurteil für das werdende Leben und eine Farce für die Menschenrechte.
Von Heinz Gstrein
Mit 378 Stimmen für, 255 Stimmen gegen und 42 Enthaltungen haben die europäischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier den Bericht über „die Situation der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte in der EU im Rahmen von Frauengesundheit“ angenommen. Im Vorfeld wurde auch über einzelne Paragraphen des Berichts abgestimmt, wobei alle bis auf einen die Zustimmung fanden. Bei der abgelehnten Bestimmung (§38 zweiter Satz) handelt es sich um eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Forderung, „wirksame Regulierungs- und Durchsetzungsmassnahmen zu ergreifen, mit denen sichergestellt wird, dass durch die ‚Gewissensklauselʻ der rechtzeitige Zugang von Frauen zur Gesundheitsversorgung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit nicht gefährdet ist“.
Dieses Todesurteil für das werdende Leben findet inzwischen nicht nur bei Katholiken und zahlreichen evangelischen Christen Widerspruch und Widerstand. Auch aus den orthodoxen Kirchen melden sich einhellig Stimmen zu Wort, die von einem Anschlag auf das Lebensrecht von Ungeborenen und einer pervertierten Idee der Menschenrechte sprechen. So hat die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland den „Matic-Bericht“ zu Frauenrechten und Abtreibung kritisiert. Die Würde allen Lebens, „auch und insbesondere ungeborener Kinder“, sei unantastbar und unveräusserlich, erklärten die Bischöfe zum Abschluss ihrer Jahrestagung in Köln einen Tag vor der Abstimmung im Europäischen Parlament. „Daher halten wir es für problematisch, dass der vorliegende Resolutionsentwurf diese Rechte des ungeborenen Kindes nicht berücksichtigt. Sie sind aber mindestens ebenso wichtig wie das Anliegen, für den Schutz von Frauen vor Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt sowie ihre Gesundheit und ihre Rechte einzutreten, welches dem Resolutionsentwurf zugrunde liegt.“
Hintergrund waren Beratungen des Europaparlaments über eine Vorlage des kroatischen Mitte-Links-Politikers Predrag Matic, die eine Änderung nationaler Regelungen verlangt, zum Beispiel die Auslagerung der Abtreibung aus dem Strafrecht. In dem Bericht werden „sogenannte Gewissensklauseln“ kritisiert, die „Leben und Rechte der Frauen gefährden“. Inzwischen hat auch die Ständige Vertretung der Rumänischen Orthodoxen Kirche bei den Europäischen Institutionen festgehalten, dass der Matic-Bericht die Meinungsverschiedenheiten in der EU ausdehnt und vertieft. Gerade in der Grundfrage des Schutzes für das menschliche Leben müsse es europaweite Einhelligkeit geben.
Auch aus Griechenland sind in der EU-weiten Debatte um den sogenannten Matic-Bericht im Europäischen Parlament, der Abtreibung als Menschenrecht deklarieren möchte, orthodoxe Gegenstimmen laut geworden. Für den Metropoliten des Athener Hafens Piräus, Seraphim Mentzelopoulos, „gibt es keine Menschenrechte, die nicht mit der menschlichen Natur verbunden sind“. In einer Predigt am 21. Juni, dem orthodoxen Pfingstmontag, beklagte der Bischof aus der Dreifaltigkeitskathedrale des Piräus „schreckliche Verbrechen und entehrende Akte, die Menschenwürde und menschliches Ethos beleidigen“. Wie die griechische Kirchenagentur „Romfea“ berichtet, sprach Mentzelopoulos von der „neuen Religion einer Rechtfertigungssucht, die jede Verirrung und jede Schwäche zum angeblichen Menschenrecht erklärt“. Menschenrechte, die nicht der menschlichen Natur entsprechen, gebe es nicht. „Sie sind einfach Konstrukte der Phantasie und des Unsinns“. Bei Seraphim Mentzelopoulos handelt es sich seit langem um einen erklärten Gegner vieler EU-Standards und ihrer Anwendung in Griechenland.
Bereits im März hat der angesehene Theologe und Metropolit von Messenien, Chrysostomos Savvatos, die Berufung auf Menschenrechte zur „absoluten persönlichen Selbstberechtigung“ als einen neuen Babylonischen Turm bezeichnet, der unsere Gesellschaft erschüttert. Im Newsletter „Propago“ wandte sich Savvatos gegen jede Instrumentalisierung der Menschenrechte, die von verschiedenen Gruppen angewandt werde, wenn sie ihre Rechtsansprüche verabsolutieren und so einen „Zusammenprall der Rechte“ auslösen. Aus seiner Bischofsstadt Kalamata führte Savvatos, der auch an der Athener Theologischen Fakultät unterrichtet, den inzwischen durch den Matic-Bericht noch aktuelleren Rechtsanspruch einer schwangeren Frau auf ihren Körper ins Treffen, der dem natürlichen Lebensrecht des Ungeborenen widerstreitet. Und der Metropolit stellte die Frage: „Ist es möglich, das Menschenrecht auf Leben im Namen irgendeiner ideologischen Positionierung dem Wert des Lebens gegenüber zu verkennen? Das Ergebnis ist der fälschlich als Menschenrecht konzipierte und angewandte Anspruch, Tod, Untergang und Verderben zu verursachen!“