Was ist der Mensch? Ein Wissenschaftsjournalist formulierte dazu: „Der Mensch ist ein wundervolles, unvorstellbar kompliziertes Wesen: eine vom Gehirn zentral geschaltete chemische Fabrik, Elektrowerk, Klima- und Kläranlage, Denkcomputer mit der Luxusausstattung ‚Liebe und Hass’. Ein Wesen, dessen Organismus sich über Jahrzehnte selbst am Leben erhält und durch ständige Selbstkontrollen dafür sorgt, dass es – nahezu – reibungslos funktioniert.“ Wir wollen uns eines der genial durchdachten und konstruierten Details am Menschen näher ansehen: den Geruchssinn. Wer sich begeistern kann, wird staunen und fasziniert sein – nicht mehr von sich selbst, sondern von seinem Schöpfer.
Düfte begleiten uns von Kindheit an. Wir speichern sie ab und erkennen sie treffsicher über Jahrzehnte hinweg wieder. Manche Gerüche erinnern uns an bestimmte Begebenheiten – sei es der Frühlingsduft nach Flieder und Veilchen, der aromatische Duft des Waldes nach einem milden Sommerregen, der leichte Salzgeruch der Nordseeluft, der Geruch des qualmenden Krautes bei der Kartoffelernte oder der weihnachtlich duftende Gänsebraten. Aber auch das andere prägt sich ein – z.B. der typische Geruch nach Strassenteer, nach einem muffigen, feuchten Keller, nach faulen Eiern oder gar nach einem verwesenden Kadaver. Wie Minen explodieren Gerüche in unserer Erinnerung, die unter dem Unkraut der Jahre und Erfahrungen verborgen waren. Unsere Nase ist dabei das unverzichtbare Organ, mit dem wir vielerlei Details über unsere Umwelt wahrnehmen.
Riechen und Schmecken haben es mit Chemie zu tun, deshalb nennt man sie auch chemische Sinne. Ohne Geruch würden wir nur süss, salzig, bitter und sauer schmecken. Erst die Nase macht Essen und Trinken zum Genuss. Über den Geruchssinn wittern wir Nahrung und Gefahr, geniessen wir Speise und Trank und erfreuen uns an diversen Wohlgerüchen von Blumen, Gewürzen und Parfüms.
Aufbau und Funktionsweise der Nase
In der kompliziert aufgebauten Nase des Menschen nehmen die breitgefächerten Fasern des Riechnervs einen erheblichen Raum ein. Hier treffen die Geruchsmoleküle ein, die wiederum auf bestimmte Empfänger-Moleküle stossen. Sie passen wie ein Schlüssel-Schloss-System zueinander. Das Riechfeld enthält etwa 10 bis 25 Millionen Riechzellen in der beiderseits je etwa 2,5 cm2 grossen Riechregion (Regio olfactoria). Die Riechzellen sind Elemente des Nervensystems; sie werden daher auch als Riechneurone bezeichnet. Ähnlich wie die Geschmackszellen sind sie mit Stütz- und Basalzellen durchsetzt und unterliegen einer ständigen Erneuerung. Die Halbwertszeit der Riechsensorzellen beträgt etwa zehn Tage. Die Riechzellen haben einen Durchmesser von nur 5 bis 15 μm (1 μm = 1 Tausendstel Millimeter). Duftmoleküle werden in der Nasenschleimhaut von Rezeptoren festgehalten. Diese wandeln die Geruchsinformation in elektrische Impulse um und senden sie zum so genannten Riechkolben. Der verteilt sie im Gehirn.
Wir können weit mehr als 10’000 Gerüche unterscheiden. Dieses schon hohe Unterscheidungsvermögen lässt sich durch Übung noch erheblich verfeinern und ist bei berufsmässigen „Riechern“(Parfümeure, Kaffee- und Weinprüfer) besonders ausgeprägt. Nicht alles hat Geruch, sondern nur solche Substanzen, die flüchtig genug sind, um als winzige Partikel von der Luft aufgenommen zu werden. Der Vielfalt dieser Gerüche steht die Armut unserer Sprache an Geruchsbezeichnungen gegenüber.
Die Nase hat ausserdem für die Atmung eine sehr wichtige Funktion. Die Lunge bevorzugt feuchte, erwärmte und gereinigte Luft. Darum ist ihr die Nase vorgeschaltet. Der lange Weg über die Schleimhäute befeuchtet die Luft, wärmt sie vor, und in den feinen Härchen und im Nasenschleim bleiben die gröbsten Schadstoffe aus der Luft hängen. Die Kontaktstelle für Duftstoffe – die Riechschleimhaut – liegt tief in der Nase. Im Riechepithel befinden sich Millionen von Sinneszellen, die in langgestreckte Stützzellen eingebettet sind. Die Sinnesnervenzellen, sie werden so genannt, weil sie sowohl auf den Reiz ansprechen als auch die Erregung weiterleiten, sind direkte Bindeglieder zwischen Aussenwelt und Gehirn. Jeweils ein Büschel feiner Cilien (lat. cilium = Wimper) an ihrer äusseren Spitze ragt in die Nasenhöhlen. Es liegt dort in einer schleimigen Schicht, in der die Geruchsstoffmoleküle aus der Luft sich lösen. Die Riechzellen werden lebenslang aus neuronalen Stammzellen (Basalzellen) neu gebildet. Dies ist eine Besonderheit, denn die meisten Nervenzellen eines Organismus, die absterben, werden nicht wieder ersetzt.
Der nicht beschreibbare Sinn
Der Geruchssinn ist der stumme Sinn, der Sinn ohne Worte. Er kann ausserordentlich genau sein, dennoch ist es kaum möglich, jemandem einen Geruch zu beschreiben, den dieser nicht selbst erfahren hat. Täglich atmen wir rund 12’000 mal (ein und aus) und bewegen dabei rund 12 1⁄2 Kubikmeter Luft. Wir benötigen zwei Sekunden zum Ein- und fünf Sekunden zum Ausatmen. In dieser Zeitspanne strömen auch die Duftmoleküle. Während wir Gesehenes bis in kleinste Details mit einer Fülle von Bildern beschreiben können, sodass unser Gegenüber eine genaue Vorstellung davon bekommt, neigen wir bei Gerüchen dazu, nur unser allgemeines Gefühl wiederzugeben: angenehm, abscheulich, wunderbar, aufregend. Versuchen Sie einmal den Geruch Ihres Ehepartners, eines Schuhgeschäftes, einer Bäckerei oder einer alten Bibliothek mit Worten zu beschreiben. Erstaunlich ist das gute Erinnerungsvermögen für Gerüche – nichts ist erinnerungsträchtiger als ein Duft.
Die meisten Gerüche sind Mischgerüche, die von einer grossen Zahl riechender Stoffe ausgehen. So enthalten Weine etwa 200, und Kaffee verfügt über 500 verschiedene riechende Substanzen. Der Versuch, die Vielzahl unterschiedlicher Gerüche als Mischungen weniger Primärgerüche zu erklären, ist bisher nicht gelungen. Das Phänomen des Riechens ist wissenschaftlich noch weithin unverstanden. Der Geruchssinn ist äusserst empfindlich und übertrifft darin die meisten technischen Messgeräte. So liegt die Wahrnehmungsschwelle von Ethanthiol bei 10 bis13 g (= ein Zehntel eines Billionstel Gramms = 109 Moleküle). Es ist ungeklärt, weshalb in vielen Fällen chemisch recht verschiedene Moleküle dieselben Geruchsempfindungen hervorrufen. Andererseits können sehr ähnliche chemische Verbindungen (z. B. Stereoisomere) ganz unterschiedlich riechen. So unterscheiden sich D-Carvon und L-Carvon bei gleicher chemischer Formel nur wie Bild und Spiegelbild; dennoch riecht das erste wie Kümmel und das zweite wie Minze.
Jeder Mensch besitzt einen ganz spezifischen, nur ihm eigenen individuellen Geruch, der ebenso einmalig ist wie seine Fingerabdrücke. Das Neugeborene erkennt den Geruch seiner Mutter, und Erwachsene können zwischen männlichem und weiblichem Körpergeruch unterscheiden. Hunde vermögen mit Leichtigkeit Personen am Geruch zu identifizieren und erkennen ihren Eigentümer auch dann, wenn es sich um eineiige Zwillinge handelt. Ein Schäferhund hat etwa 220 Millionen Riechzellen, der Mensch nur 10 bis 20 Millionen.
Auszug aus dem Buch „Faszination Mensch“ von Werner Gitt.
Zu bestellen ist das Buch unter:
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Von Dr. Werner Gitt