Am 27. Oktober haben das Bischöfliche Ordinariat Chur und HLI-Schweiz in Zürich eine gut besuchte Tagung über die Organspende durchgeführt. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) aller Organentnahmen in der Schweiz erfolgen nach Therapieabbruch und daraus folgendem Herz-Kreislauf-Stillstand. Die zentrale Frage war: Sind alle diese Spender bei der Organentnahme wirklich tot?
Wie berechtigt diese Frage ist, zeigten die von der Neurologin Dr. Ursula Knirsch und dem Allgemeinmediziner Dr. Peter Ryser-Dublin präsentierten Fakten. Bei einer Person, die wegen einem Herz-Kreislauf-Stillstand zusammenbricht, fallen jene Reflexe, die sonst für die Diagnose des Hirntodes überprüft werden, bereits nach zwei Minuten aus. Wird die Person sofort reanimiert, kehren diese Reflexe allerdings zurück, ohne dass es Folgeschäden gibt. Dieser vorübergehende Funktionsausfall des Gehirns ist offensichtlich reversibel, was unzählige erfolgreiche Reanimationen innerhalb dieser Zeitspanne belegen.
Beeindruckende Fakten
Auch vor der Organentnahme nach Therapieabbruch und darauffolgendem Herz-Kreislauf-Stillstand werden die genannten Reflexe geprüft und deren (vorübergehender) Ausfall festgestellt. Die Organentnahme erfolgt anschliessend nach einer obligatorischen Wartezeit von nur fünf Minuten nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand. Zu behaupten, die spendende Person sei zu diesem Zeitpunkt hirntot, ist deshalb ein Fehlschluss.
Diverse Studien zeigen, dass die Zellen in verschiedenen Hirnregionen des Menschen länger als fünf Minuten, ja über zehn Minuten überleben können. Es gibt Fallberichte über die sogenannte Autoresuscitation. Demnach wurde sogar nach einem zehnminütigen beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand die spontane Rückkehr des Herzschlages festgestellt. Und ebenso die Rückkehr jener Reflexe, deren Abwesenheit für den Hirntod geprüft werden. Der Funktionsausfall des Gehirns nach Herz-Kreislaufstillstand ist daher lediglich permanent und nicht irreversibel, wie es Art. 9 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes ausdrücklich verlangt. Auch die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) verlangen als Kriterium für den Tod eines Menschen den irreversiblen Ausfall sämtlicher Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms.
Diese Erkenntnisse wurden in einer von Giuseppe Gracia moderierten, sehr spannenden Podiumsdiskussion zwischen den Referenten der Tagung und Prof. Dr. Christoph Haberthür, Vizepräsident von Swisstransplant, kontrovers diskutiert. Letztlich konnte keine Einigung über die praktischen Konsequenzen aus den präsentierten neurologischen Fakten für die Organspende erzielt werden. Die Diskussion muss, wie die Veranstalter fordern, weitergeführt werden und zwar nicht nur in Ärztekreisen, sondern auch in der Bevölkerung.
Spender besser informieren
Der Bundesrat, SAMW und Swisstransplant müssen laut HLI-Schweiz ihrer Informationspflicht besser nachkommen. Sie sind gehalten, alle potenziellen Organspender über beide Entnahmearten, d.h. nach klassischem Hirntod und nach Herz-Kreislaufstillstand, transparent zu informieren. Nur so ist eine informierte und freiwillige Zustimmung zur Organspende möglich. Insbesondere muss auf dem Organspendeausweis und im elektronischen Spenderegister die Entnahmeart ausgewählt werden können. Das ist immer noch nicht der Fall, obwohl schon seit 2011 in der Schweiz Organentnahmen nach Herz-Kreislauf-Stillstand durchgeführt und statistisch erfasst werden.