Wohlstand und Chancengleichheit führen nicht zur Abnahme, sondern zu einer Zunahme von geschlechterspezifischem Verhalten. So das Ergebnis einer neuen deutsch-amerikanischen Studie, welche die Gender Studies in arge Erklärungsnot bringt.
Von Dominik Lusser
Man werde nicht als Frau geboren, sondern durch gesellschaftliche Umstände dazu gemacht. So lautet die Kernthese des radikalen Feminismus und der Gender Studies, welche diese These seit Jahren vergeblich wissenschaftlich zu untermauern versuchen.
Eine weit verbreitete Gesellschaftsutopie, die diesem Denken entspringt, geht davon aus, dass der gleichberechtigte Zugang beider Geschlechter zu Wohlstand und Wahlmöglichkeiten geschlechterspezifische Verhaltensunterschiede zum Verschwinden bringt bzw. bringen würde. Folgt man den Ergebnissen einer neuen Studie, sind an dieser Hypothese allerdings erhebliche Zweifel angebracht.
Freiheit, eine Frage der Ressourcen
Armin Falk, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bonn, und Johannes Hermle, Doktorand in Wirtschaftswissenschaften an der „University of California” in Berkeley, haben in einer grossangelegten Studie untersucht, wie sich Wohlstand und Chancengleichheit auf die Handlungspräferenzen von Männern und Frauen auswirken. Die Studie, die Daten von 80‘000 Menschen aus 76 Ländern auswertet und am 19. Oktober 2018 im Wissenschaftsmagazin „Science“ vorgestellt wurde, zeigt: Mehr Wohlstand und Chancengleichheit in einer Gesellschaft korrelieren mit deutlich grösseren Unterschieden bei den Präferenzen von Mann und Frau.
Laut den beiden Forschern gibt es zwei Hypothesen, die Aussagen darüber machen, wie Wohlstand und Chancengleichheit die Entscheidungen von Mann und Frau beeinflussen. Die sogenannte „Social Role“-Hypothese besagt, Wohlstand und gleicher Zugang zu Ressourcen führen zu einer Angleichung der Präferenzen der beiden Geschlechter. Die „Resource“-Hypothese hingegen geht davon aus, dass Überfluss und Chancengleichheit Männern und Frauen mehr Freiheit gibt, genderspezifische Vorlieben auszudrücken, während sie durch das Vorhandensein sozio-ökonomischer Zwänge daran gehindert werden.
Um diese Hypothesen zu testen, griffen Falk und Hermle auf die Daten des „Global Preferences Survey” zurück. Deren 80’000 Teilnehmer aus allen Kontinenten waren danach befragt worden, wie sie in verschiedenen Situationen, die für das Sozialverhalten relevante Präferenzen ansprechen, reagieren würden. Zu den untersuchten Präferenzen zählten Risikobereitschaft, Geduld, Altruismus, Vertrauen sowie positive and negative Reziprozität, also die Bereitschaft, faires Verhalten zu belohnen bzw. unfaires Verhalten zu bestrafen. Zur positiven Reziprozität beispielsweise mussten die Teilnehmer die Frage beantworten, inwiefern sie bereit wären, einer fremden Person als Gegenleistung für einen freundlichen Dienst ebenfalls einen Gefallen zu tun.
Frauen sind sozialer, Männer geduldiger
Die sechs untersuchten Eigenschaften sind, wie der Informationsdienst Wissenschaft (IDW) erklärt, für individuelle wirtschaftliche Entscheidungen relevant und tragen zur Erklärung der Geschlechterunterschiede etwa bei Bildungsentscheidungen, Berufswahl oder finanziellen Investitionen bei. „Beispielsweise sind Frauen länderübergreifend im Durchschnitt prosozialer eingestellt, jedoch weniger geduldig und risikobereit als Männer.“
Beim Vergleich der Antworten aus dem „Global Preferences Survey” mit dem Bruttoinlandprodukt (BIP) der Länder stellten die Forscher Falk und Hermle einen deutlichen Zusammenhang zwischen einem höheren BIP und grösseren Geschlechtsunterschieden bei den genannten Präferenzen fest. Ein ähnliches Ergebnis zeigte auch ein Vergleich zwischen dem erreichten Stand an Chancengleichheit (z.B. durch rechtliche Gleichstellung) und der geschlechterspezifischen Ausprägung der untersuchten Präferenzen. Je gleichgestellter die Geschlechter waren, umso grösser waren die Geschlechtsunterschiede.
Die aus der Studie resultierende Rangliste der Geschlechtsunterschiede wird von Kanada angeführt. Gender-Vorzeigeland Schweden steht an vierter, die Niederlande an sechster und die Schweiz an achter Stelle. Die Schlusslichter der Tabelle, also die Länder mit den geringsten Geschlechtsunterschieden, sind Pakistan, Tansania, Irak und Ghana.
Die Forscher räumen zwar ein, keineswegs einer einseitig biologischen Erklärung für geschlechterspezifisches Verhalten das Wort reden wollen. Dennoch sehen sie in ihrer Untersuchung eine Bestätigung für die Ressourcen-Hypothese. Je mehr durch Wohlstand und Chancengleichheit der Handlungsspielraum wächst, desto mehr treten geschlechterspezifische Unterschiede im Verhalten zu Tage. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass Frauen und Männer ihre Präferenzen stärker unabhängig voneinander entwickeln können, wenn materielle oder soziale Zwänge an Bedeutung verlieren“, wird Falk von IDW zitiert.
Freiheit oder Quoten?
Auch stellen die genannten Befunde den Forschungsansatz der Gender Studies stark in Frage, welche die Ressourcen-Hypothese in der Regel a priori ausblenden und Geschlechtsunterschiede im Sozialverhalten allein durch verinnerlichte gesellschaftliche Normen bzw. Zwänge zu erklären versuchen. Diese verengte Perspektive wird durch die Forschungsarbeit von Falk und Hermle durchbrochen.
Es ist demnach mehr als legitim, geschlechterspezifisches Verhalten als Folge einer wohlstandsabhängigen Zunahme an individuellem Handlungsspielraum und als Ausdruck von Freiheit zu sehen. Und genau daran – und nicht an einer durch Quoten erzwungenen Gleichschaltung von Mann und Frau – sollte sich auch die Gleichstellungspolitik orientieren.