Wissen Frauen um ihre Grenzen und fordern diese ein? Oder ist die ständige Grenzüberschreitung schon so weit, dass sie sich nicht mehr wagen, ihre Grenze einzufordern? Wenn du dich liebst, dann kennst du deine Grenze, weil du dich annimmst, wie du bist und nicht jemand sein musst, der du nicht bist.

Von Ria Rietmann

Letztens war ich mit dem Zug unterwegs. Ich beobachtete drei Situationen, die mir sehr zu denken gaben und mich inspiriert haben, hier darüber zu schreiben.

Auf dem Bahnhof wartete ich auf den Zug. Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig sass eine junge Frau. Sie fiel mir auf weil sie einen sehr kurzen Rock trug, die halbe Pobacke schaute raus. Da habe ich mir noch nicht so viel dabei gedacht. Kurz darauf kam offensichtlich eine Kollegin und brachte ihr eine Flasche Wasser. Da versuchte die Frau aufzustehen und fiel auf den Boden, die Beine knickten ihr Weg, als könnte sie sie nicht mehr beherrschen, dabei sah man, dass sie gar keine Unterhose trug. Die Kollegin half ihr auf und setzte sie wieder auf die Bank, beide lachten. Was ist die Geschichte dieser Frau?

Frau, wo ist deine Grenze?

In einem Park auf einer Bank sassen zwei Frauen. Als ich vorbei ging hörte ich gerade, wie die Ältere zur Jüngeren sagte: „Dein Körper gehört dir, das musst du ihm sagen und zeigen. Das ist dein Recht.“

Frau, wo ist deine Grenze?

Im Zug sassen im Nachbarabteil ein junger Mann und eine junge Frau. Beide hatten ein Handy in der Hand. Plötzlich sagte sie zu ihm: „ Hey, hör auf damit. Ich habe gesagt, hör auf, ich meins ernst“ Danach lachte sie. Er hatte sie gefilmt. Ich weiss nicht, ob die zwei ein Paar sind, aber was ernst klang, fast bedrohlich wurde mit einem Lachen überspielt.

Frau, wo ist deine Grenze?

Das ist für mich die bleibende Frage. Wo haben diese Frauen ihre Grenze? Wissen sie es, dürfen sie sie einfordern, fordern sie sie ein oder ist die Enttäuschung, die ständige Grenzüberschreitung schon so weit, dass sie sich nicht mehr wagen, ihre Grenze einzufordern? Woher wissen wir, wo unsere Grenze ist? Körperlich, geistig, gesundheitlich, seelisch? Ja, wir brauchen das JA zu uns und zu dem, wer wir sind und wie wir sind, um ein Ja dazu zu haben, wo unsere Grenze ist und das wir diese verteidigen dürfen.

Diese drei Situationen sind nur klitzekleine Einblicke in das, was uns täglich begegnet. Wo sind die Frauen, die so emanzipiert sind und sich gleichgestellt und stabil zeigen? Es wird viel davon geredet.

Und in meiner Beratung erlebe ich immer wieder Frauen, die ihre eigene Grenze nicht zeigen. Sie dürfen es nicht, sei es aufgrund einer Stimme von aussen oder einer innerlichen Stimme. Das Ergebnis ist das gleiche. Eine Verwirrung in dem, wo höre ich auf und wo fängt der andere an. Das kann in kleinen Details der Fall sein. Alltäglichkeiten oder auch in jahrelangen Situationen. In der heutigen Zeit, wo so viel über das ICH geredet wird, scheint mir die Verunsicherung umso grösser. Weil alles erlaubt ist, ist auch vieles nicht mehr klar.

Meine Erfahrung sagt mir, dass sich der Egoismus oft auf äusserliche Dinge bezieht, aber eine grosse Unsicherheit in innerlichen Bereichen besteht. Wie ist das aufzulösen?

Ich muss daran denken, dass Jesus sagt: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.

Frau, kannst du das?

Wenn du dich liebst, dann kennst du deine Grenze, weil du dich annimmst, wie du bist und nicht jemand sein musst, der du nicht bist. Wenn du dir nicht sicher bist, dann suche dir jemanden, der dir hilft, deine Grenzen zu erkennen. Es lohnt sich. Auch wenn wir immer das Gefühl haben, dass Grenzen mit Einschränkungen gleichzusetzen sind, so bedeutet es in dem Bereich auch Sicherheit und letztlich Freiheit. Freiheit? Ja, denn nur, wenn du du selber bist, deine Grenze kennst, kannst du entscheiden, ob du dem anderen, dem Nächsten zu liebe etwas tust, was nicht nur dir gut tut. Aber dann ist es freiwillig. Dann kannst du deinen Nächsten lieben, weil du dich selbst liebst. Und dann kannst du ein Nein ertragen, weil du in dir ein Ja hast.

Frau, bist du frei?

Die Frauen aus den Beispielen oben leben nicht in der Freiheit, denn sie haben sich sicher nicht freiwillig entschieden, denn ihre Grenze ist (noch) nicht sichtbar.

Frau, bist DU frei?

Ich wünsche dir Mut zu einem Ja zu dir, welches in eine Freiheit führt, denn du bist wunderbar gemacht.

Herzliche Grüsse

Ria Rietmann

PS: Wenn du nicht sicher bist, wo deine Grenze ist – mach es nicht zu kompliziert. Ich empfehle dir ein Kinderbuch, das heisst: „Mein Körper gehört mir“. Es bezieht sich auf den Körper und das Nein sagen. Vielleicht ist es auch für dich ein einfacher Einstieg in das Thema. Es lohnt sich. Mit diesen Bildern und einfachen Texten kannst du von aussen eine liebevolle Stimme hören, die dir die Erlaubnis gibt, gut nach dir zu schauen und auf einer der letzten Seiten steht: „Und wenn du es mal nicht geschafft hast, Nein zu sagen, dann rede mit jemandem darüber“ – das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für dich, wenn dir die Not zu gross zum Tragen wird.

 

© Ria Rietmann: www.einmaligsein.com