In vielen Deutschen und Schweizer Medien finden sich gegenwärtig Warnungen, dass Kurzarbeit, Homeoffice und Homeschooling zu mehr häuslicher Gewalt führen könnten. Frauenhäuser suchen Raum für Notfallplatzierungen und eine Schweizer Männerorganisation gibt Männern in ihrem Merkblatt „Corona-Krise: Survival-Kit für Männer unter Druck“ Hinweise für den Umgang mit Aggression. Dass häusliche Gewalt tatsächlich zugenommen hat, lässt sich zumindest im Moment jedoch nicht eindeutig belegen.
Laut der Oldenburger Onlinezeitung vom 1. April 2020 sind im März in Nordrhein-Westfalen die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt im Vergleich zu den Vorjahresmonaten in 2019 und 2018 sogar deutlich zurückgegangen. Einer Auswertung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums zufolge zählte die Polizei im vergangenen Monat in Nordrhein-Westfalen landesweit 2’112 Fälle von häuslicher Gewalt. Im März 2019 seien es noch 3’003 und im März 2018 2’903 Fälle gewesen.
Ähnliches berichtet der Kölner Stadtanzeiger vom 2. April 2020, wenn er schreibt: „Trotz weitreichender Einschränkungen des öffentlichen Lebens verzeichnet die Polizei in Köln derzeit sinkende Fälle von häuslicher Gewalt. Im vorigen Monat habe es gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres merklich geringere Einsatzzahlen gegeben, sagt Behördensprecher Wolfgang Baldes im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Und weiter: „Die Befürchtungen vor einem Anstieg der häuslichen Gewalt sind zumindest noch nicht eingetreten“.
Daraus könnte geschlossen werden, dass die angeordnete Verlangsamung des Lebens und das engere Zusammenleben nicht nur zu Beziehungsstress führen, sondern in manchen Bereichen gegenteilig sogar entlastend oder beruhigend wirken. Auch das stark eingeschränkte Nachtleben mit deutlich weniger Alkoholexzessen im öffentlichen Raum mag mit ein Grund für weniger Gewalt in Paarbeziehungen sein.
Trotzdem sind und bleiben Massnahmen zur Prävention häuslicher Gewalt unbedingt notwendig. Neben den betroffenen Frauen und Männern ist insbesondere auch das Leiden der zwischen die Fronten geratenden Kinder gross. Dass Frauen in den Gewalt-Statistiken des Bundesamtes für Statistik der letzten Jahre deutlich zugelegt haben und inzwischen bis zu 25 Prozent der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt von Männern gemacht werden, vermag ebenfalls nicht zu beruhigen. Gewalt ist keine Lösung – weder wenn sie von Männern, noch wenn sie von Frauen verübt wird. In liebevolle Beziehungen zu investieren und konstruktive Strategien zur Bewältigung familiärer Konflikte aufzuzeigen, wird nicht nur während, sondern auch nach Corona ein gesellschaftlicher Dauerbrenner bleiben.