In Deutschland wie in der Schweiz reiht sich seit Jahren eine Schulreform an die andere. Kritiker reden darum von einer regelrechten «Bildundsreformitis». Einer der prominentesten von ihnen ist Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbands. In seinem im März 2017 erschienen Buch: „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt – Und was Eltern jetzt wissen müssen“, schreibt er so manches, was auch für die reformfreudigen (oder besser: reformwütigen?) Schweizer Bildungsbürokraten bedenkenwert wäre. So warnt Kraus beispielsweise vor fünf Fallgruben der Bildungspolitik:
„Eine Falle ist die Egalitäts-Falle. Das ist die Ideologie, dass alle Menschen, Strukturen, Werte, Inhalte, ja sogar alle Geschlechter, von denen es ja nicht nur zwei, sondern bis zu sechzig geben soll, gleich bzw. gleich gültig seien. Das ist auch die Ideologie, dass es keine verschiedenen Schulformen, keine verschiedenen Begabungen, keine verschiedenen Fächer sowie keine bestimmten Werte geben dürfe.
Eine zweite Falle ist die Hybris-Falle. Das ist der aus dem Marxismus (‘Der neue Mensch wird gemacht’) und dem Behaviorismus (‘Der neue Mensch ist konditionierbar!’) abgeleitete Wahn, jeder könne total gesteuert und zu allem ‘begabt’ werden.
Eine dritte Falle ist die Falle der Spass-, Erleichterungs- und Gefälligkeitspädagogik. Diese tut – angestrengt und sehr bemüht – so, als ob Schule immer nur cool sein könne und ja alles tun müsse, dass sich Kinder doch ja nicht langweilen müssten.
Eine vierte Falle ist die Quoten-Falle. Das ist die planwirtschaftliche Vermessenheit, es müssten möglichst alle das Abitur-Zeugnis bekommen und es dürften möglichst wenig oder gar keine Schüler sitzenbleiben. Dabei müsste doch eigentlich klar sein: Wenn alle Abitur haben, hat keiner mehr Abitur!
Und schliesslich fünftens die Beschleunigungs-Falle. Das ist die Vision, man könne mit einer immer noch früheren Einschulung in immer weniger Schuljahren und mit immer weniger Unterrichtsstunden zu besser gebildeten jungen Leuten und zu einer gigantisch gesteigerten Abiturienten- und Akademikerquote kommen.
Fünf Fallgruben sind das – je nach Bundesland unterschiedlich intensiv ausgeprägt! In diesen fünf Fallgruben drohen Individualität, Leistung, Anstrengungsbereitschaft, natürliche Reifung und Qualität zu versinken. Und so wird seit Jahrzehnten, verschärft seit dem gross inszenierten Pisa-Schock, drauflos re- und deformiert. Reformen über Reformen werden in den Sand gesetzt, ohne Produkthaftung von Seiten derjenigen, die all dies inszeniert haben. Dass die allermeisten Reformen eben gerade denen schaden, denen sie zugutekommen sollten, nämlich den sozial Schwächsten, wird verdrängt. Die Kinder aus ‘gutem’ Hause bekommen die Verirrungen der Schulpolitik durch elterliches Zutun kompensiert, die Kinder aus ‘bildungsfernen’ Elternhäusern aber bleiben in ihren ‘restringierten Codes’, in ihren Herkunftsmilieus eingekerkert. Das gilt für die Einheitsschule gleichermassen wie für ‘neue’ Formen eines (sogenannten) Unterrichts, in dem der Lehrer nur noch den Moderator spielt. “
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Aus: Josef Kraus (2017), Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt – Und was Eltern jetzt wissen müssen, München, Verlag Herbig, 270 Seiten.