Immer mehr amerikanische Schulen haben ein neues Lernziel für ihre Schüler: Lesen lernen mit dem neuen Schulfach „Deep Reading“
Von Christiane Jurczik
Klingt komisch aber durch die vielen Stunden, die Kinder und Jugendliche vor dem Bildschirm oder ihrem Smartphone verbringen, haben sie verlernt einen langen Text oder ein Buch, nicht nur zu lesen, sondern auch den Inhalt im Wesentlichen zu erfassen.
Die Kinder können sich nicht länger auf einen Text konzentrieren, können kein Buch lesen – es fehlt ihnen schlichtweg an Übung, Durchhaltevermögen, innerer Ruhe und einer ablenkungsfreien Zeit.
Mit Deep Reading sollen Kinder das Lesen eines längeren Textes oder eines Buches wieder oder neu erlernen. Es gibt nämlich grosse Differenzen zwischen lesen können und „vertieftem Lesen“. Anscheinend müssen Begriffe wie Lesefähigkeit und Lese- und Rechtschreibfähigkeit neu definiert werden. Denn nicht jeder Schüler der lesen kann, kann auch ein Buch lesen. Das Lernziel „vertieftes Lesen“ ergibt also durchaus einen Sinn.
Einer Umfrage nach, erreichten die Amerikaner im August 2016 ein Rekordtief: 57 Prozent aller Erwachsenen haben nicht ein Buch im Jahr gelesen. Bei den 18-24 Jährigen ist der Anteil an Buchlesern am stärksten gefallen. Eine Zeitung liest nur noch jeder Fünfte. Da ist es kaum verwunderlich, dass die Kinder auch kein Buch mehr lesen – Eltern haben Vorbildfunktion.
Das Angebot an Lesestoff auf elektronischen Geräten steigt ständig an. Doch die Lektüre am Bildschirm unterscheidet sich massgebend von der auf Papier. Die Firma Chartbeat hat das Leseverhalten auf diversen Internetseiten untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass eindeutige parallelen der Nutzer zeigte: Die Mehrheit der „Online-Leser“ fangen bei längeren Texten erst gar nicht an zu lesen. Eine weitere Gruppe verlässt den Bildschirm wenn es Zeit wird herunter zu scrollen, um über die erste Seite hinaus zu lesen. Nur eine kleine Minderheit liest einen Text bis zum Ende.
Weitere Untersuchungen ergaben: Für das kontinuierliche Lesen längerer Textstrecken ist der Bildschirm einfach ungeeignet, weil er zu viele Ablenkungsmöglichkeiten bietet.
Amerikanische Schulen bieten unterschiedlichen Unterricht an. Die einen sind voll digitalisiert und haben jedes Klassenzimmer mit elektronischen Smartboard und Tablets ausgestattet – die anderen legen Wert auf traditionellen Unterricht und humanistische Bildung.
Maryanne Wolf, Professorin an der Tufts Universität in Massachusetts und Befürworterin des Deep Reading an amerikanischen Schulen ist für eine klare Trennung zwischen Lektüre auf Papier und Arbeit am Bildschirm: „Am Bildschirm sind wir mit unseren Gedanken immer schon bei der nächsten Frage, beim nächsten Thema. Für langsames lineares Lesen fehlt am Bildschirm die Motivation.“ Deshalb sind die Regeln des neuen Fach sehr einfach: Texte und Bücher werden auf Papier gelesen. Auch das Führen eines „Lesetagebuchs“ ist darin enthalten, in den Ferien werden Bücherlisten abgearbeitet. Danach folgt eine Prüfung über das Gelesene.
Quelle: Kultur und Medien Online