Unter dem Motto „Hauptsache Kind“ diskutierten am 24. März 2022 in den Seminarräumen der Paulus-Akademie in Zürich drei Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen über die Ethik der Reproduktionsmedizin.
Von Ursula Baumgartner
Dr. med. Judit Pók Lundqvist stellte ihr Wissen aus jahrzehntelanger Berufserfahrung in Gynäkologie und Geburtshilfe zur Verfügung, das sie als leitende Ärztin des Departments für Frauenheilkunde im Universitätsspital Zürich sammeln konnte. Aus juristischer Sicht sprach die Rechtsanwältin Dr. Stephanie Merckens. Die Österreicherin arbeitet als Referentin für Bioethik und Lebensschutz sowie als Leiterin des Bereichs Politik des Instituts für Ehe und Familie der Bischofskonferenz. Ausserdem ist sie Mitglied der Bioethikkommission. Der ausserordentliche Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik der Universität Zürich, Prof. Dr. Michael Coors, beleuchtete die Diskussionspunkte aus theologisch-philosophischer Sicht. Gemeinsame Veranstalter waren die katholische Hochschulgemeinde Zürich (aki) und die Paulus-Akademie.
Die Eizellspende
Nach einer kurzen Vorstellung durch Christian Schenker (aki) schnitt Moderator Dr. Sebastian Muders als erstes das Thema Eizellspende an. Durch Hormongabe wird die Eizellproduktion einer Frau so angeregt, dass statt der üblichen einen Eizelle neun bis 20 zur Reifung gelangen, die dann in einem kurzen Eingriff entnommen werden, erklärte Dr. med. Judit Pók Lundqvist. Nach der Befruchtung im Labor würden eine oder mehrere der befruchteten Eizellen meist einer anderen Frau eingesetzt, die ebenfalls hormonell vorbereitet sein muss, damit der Körper eine Schwangerschaft beginnen und erhalten kann. In der Schweiz ist dies derzeit nicht erlaubt. Der Frage, warum aber eine Samenspende legal ist, begegnete die österreichische Rechtsanwältin Dr. Stephanie Merckens mit dem juristischen Gleichheitssatz, nach dem Gleiches gleich, Ungleiches aber ungleich zu behandeln ist. Da eine Eizellspende also sowohl eine Hormonbehandlung als auch einen kleinen Eingriff voraussetze, berge sie deutlich mehr Risiken und Belastungen als die Samenspende eines Mannes. Ist der Kinderwunsch überwältigend, liessen sich viele Paare von einem Verbot jedoch nicht abschrecken. Ein „Reproduktionstourismus“ sei die Folge, bei dem der oben beschriebene Vorgang im Ausland vorgenommen werde. Dies erscheine dann häufig nicht in der Krankengeschichte der Schwangeren, auch um zu verhindern, dass die Kinder von der Art ihrer Entstehung erfahren.
Dass die Nachfrage an Eizellen steigt, sieht Gynäkologin Pók v.a. darin begründet, dass der Trend in der Lebensplanung immer mehr zu älteren Müttern geht. Mit Überschreitung des 35. Lebensjahres nehme die Qualität von Eizellen ab. Viele Frauen, die vorher ihre Karriere in gesicherte Bahnen bringen wollten oder mussten, sähen sich nun plötzlich mit einem vielleicht unerfüllbar gewordenen Kinderwunsch konfrontiert. Doch die psychologische Wirkung der unnatürlichen Situation, ein genetisch fremdes Kind in sich zu tragen, dürfe nicht unterschätzt werden. Werdende Mütter suchten häufig psychotherapeutische Hilfe, wenn sie das Ungeborene als Fremdkörper empfinden, wenn der Aufbau einer Beziehung zum Kind auch nach der Geburt nicht glücken will oder wenn sie die Frage verfolgt, wer denn die Eizellspenderin gewesen sein könnte.
Als „Spiel mit der Illusion“ bezeichnete die Medizinerin den Lebensplan vieler junger Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, um mit ihnen später eine Schwangerschaft herbeizuführen, wenn sie sich für eine Familiengründung bereit fühlten. Die Erfolgsaussichten nach solch einer Kryokonservierung seien nochmals bedeutend niedriger als bei der „normalen“ Eizellspende, da eine Schwangerschaft etwa mit Anfang 40 immer schwieriger zu erreichen sei, auch mit jungen Eizellen. Prof. Dr. Michael Coors, ausserordentlicher Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik der Universität Zürich, sieht die Gefahr ausserdem in Strukturen, die zu einem Missbrauch führen könnten. Würden nicht junge Mitarbeiterinnen von ihrem Unternehmen unter Druck gesetzt, wenn dieses anbiete, die Kosten für eine Kryokonservierung zu übernehmen, um die Mitarbeiterin für die nächsten Jahre im Betrieb zu halten? Wäre dies nicht ein unzulässiger Eingriff in ihr Privatleben?
Die Gefahr eines Missbrauchs mahnte Coors aber nicht nur bei der Kryokonservierung an. Wenn die Eizellspende legalisiert werden sollet, müsse eine Frau die damit verbundenen Risiken kennen und Gründe für diesen Schritt haben. Zudem müsse die Freiwilligkeit sichergestellt sein, weswegen finanzielle Entlohnung ein Problem darstellt. Dass viele Studenten ihr Studium mit Samenspende finanzieren würden, sei heute kein Geheimnis mehr. Aufgrund der erwähnten ungleich höheren Belastungen bei einer Eizellspende müsse jedoch verhindert werden, dass Frauen wegen eines finanziellen Anreizes dazu verleitet würden, Risiken einzugehen, die sie sonst nicht eingehen würden.
Darüber, ob ein Verbot der Eizellspende all diese Probleme lösen würde, waren sich Merckens und Coors nicht ganz einig. Der Stand der Wissenschaft müsse ernstgenommen werden, forderte Merckens. Dazu gehöre auch, Frauen rechtzeitig über die zu erwartenden Veränderungen in ihrem Körper aufzuklären. Durch die Möglichkeiten der Medizin gerieten Frauen unter Druck, alle diese Möglichkeiten auch auszuschöpfen. Auch eine potentielle moralische Verpflichtung, unter der sich Frauen sähen, im Freundes- oder Familienkreis als Eizellspenderin zu dienen, sei durch Freigabe der Eizellspende durchaus denkbar. Coors plädierte statt eines Verbotes für eine klare Regelung, die sicherstellt, dass die Risiken bekannt sind, sonst könne nicht von einem „informed consent“ ausgegangen werden. Zudem müsse das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung bedacht werden sowie die Tatsache, dass gespendete Eizellen häufig Verwendung in der Forschung, namentlich im Bereich der Keimbahnforschung, fänden.
Die Präimplantationsdiagnostik (PID)
Das zweite Thema des Abends widmete sich der Präimplantationsdiagnostik (PID). Bei der PID kommt es zunächst zu einer künstlichen Befruchtung im Labor, auch als In-Vitro-Fertilisation (IVF) bezeichnet, so Pók. Im Idealfall würden hierbei Ei- und Spermienzelle der späteren Eltern verwendet, ansonsten greife man auf Spenderzellen zurück. Bis zu zwölf Embryonen dürften dabei kreiert werden, die man sich bis zum fünften oder sechsten Tag entwickeln lässt. Dann würde eine Zellprobe entnommen und im Labor auf genetische Defekte, Mutationen und chromosomale Abweichungen wie Trisomien oder Monosomien untersucht. Embryonen mit Defekten würden nicht in den Uterus eingesetzt, sondern nur gesunde, die aller Wahrscheinlichkeit nach eine Schwangerschaft erfolgreich absolvieren können. Auf diese Weise wolle man sowohl das Risiko einer Fehlgeburt als auch die Anzahl der Spätabbrüche reduzieren. Dass dies eine unhaltbare These ist, beklagte Merckens und erläuterte, dass im Zusammenhang mit der PID eine „Zeugung auf Probe“ geschieht, bei der sich oft genug nach der Implantierung des Embryos noch eine Pränataldiagnostik (PND) anschliesst, die bei Diagnose schwerer Auffälligkeiten dann doch zu einem Spätabbruch führt.
Von der PID machen häufig Paare Gebrauch, in deren Familie ein genetisches Leiden aufgetreten ist und die bereits ein schwer krankes Kind haben, ergänzte Coors. Die Überzeugung, mit einem weiteren kranken Kind überfordert zu sein, treibe die Paare zu diesem Schritt. Ausschlaggebendes Kriterium für die ethische Beurteilung dieses Verfahrens sei der Status, den man dem Embryo zubillige. Vom Moment der Zeugung an sei das neu entstandene Individuum genetisch einzigartig. Der Mensch aber sei mehr als sein Organismus und die Summe seiner Gene. Ist der Embryo also allein aufgrund seiner genetischen Einzigartigkeit schon eine Person oder ist in ihm lediglich menschliches Leben angelegt, das sich aber erst zum Menschen, zur Person entwickelt? Nur wenn man den Embryo nicht als Person definiere, sei die PID nach Einschätzung von Coors zulässig, da eine Selektion vorgenommen wird, welche die Frage nach gutem und schlechtem Leben aufwirft.
Merckens stimmte zu und noch einen Schritt weiter. Zwar verspreche die PID, nur auf solche Defekte zu testen, die unheilbare, schwere Krankheiten verursachen oder unweigerlich zum Tod des Ungeborenen oder des kleinen Kindes führen würden. Trisomie 21, das Down-Syndrom, gehöre nicht in diese Kategorie, da sie zwar unheilbar sei, die Betroffenen aber inzwischen eine gute Lebenserwartung hätten. Doch wer würde nach der PID einer Mutter einen Embryo mit dieser Chromosomenkonstellation einsetzen? Ja, mehr noch: Je weiter die Erkenntnisse der Genetik fortschreiten, desto mehr Gene lassen sich identifizieren. Trüge ein weiblicher Embryo die Veranlagung für Brustkrebs in sich, würde er implantiert? Wäre also nach einer PID Angelina Jolie überhaupt zur Welt gekommen, jene Schauspielerin, die sich vor ein paar Jahren als Brustkrebs-Prophylaxe medienwirksam das Brustgewebe entfernen liess? So komme es durch die PID nach und nach zum Versuch der Eliminierung auch nicht-lebensbedrohlicher oder nicht-schwerer Erkrankungen.
Umgekehrt seien aber auch „Rettungskinder“ ethisch höchst problematisch. Hierunter versteht man Kinder, die genetisch in der Lage sind, einem kranken, bereits geborenen Geschwister Organe oder Nabelschnurblut zu spenden. Dass diese bei einer PID vor anderen, auch gesunden Embryonen den Vorzug hätten, liege auf der Hand.
Alle drei Diskussionsteilnehmer sahen den Erwartungsdruck der Gesellschaft im Hinblick auf ein gesundes Kind sehr kritisch. Während Coors als Ethiker in Erinnerung rief, dass die meisten Behinderungen nicht genetisch bedingt seien, sondern im Laufe des Lebens entstünden, bedauerte Pók, dass Ärzten zu wenig Zeit für die individuelle Beratung und Begleitung der Patienten ermöglicht wird. Durch das Tempo des medizinischen Fortschritts einerseits und die wachsenden Ansprüche der Menschen an ihr Leben andererseits gerieten Ärzte und Patienten unter Druck – die Ärzte, da sie sich neben ihren täglichen Aufgaben ständig zur Weiterbildung verpflichtet sähen, die Patienten, weil ein „Misslingen“ des Schwanger-Werdens langgehegte Pläne zunichtemache und dann die Entscheidung für oder gegen die eine oder andere Methode anstehe, so die Medizinerin.
Die Leihmutterschaft
Beim dritten grossen Thema des Abends, der Leihmutterschaft, wies Juristin Merckens den Aspekt des Kinderhandels hin. Da zwischen den Bestelleltern und der Leihmutter ein Vertrag zustande komme, in dem die Bedingungen festgelegt würden, unter denen der Vertrag gelte, könne man durchaus von einem Produkt und einer transferierten Ware sprechen – dem Kind. Darüber, dass die Leihmutterschaft häufig das Ausnützen der finanziellen Verhältnisse der Leihmutter einschliesse, waren sich die Diskussionsteilnehmer des Abends einig. Auch dürfe man sich fragen, warum bei einer regulären Schwangerschaft die Wichtigkeit der pränatalen Bindung zwischen Mutter und Kind zu Recht stark betont werde, bei der Leihmutterschaft jedoch keine Rolle spielen solle. Wie ist die Identitätsfindung eines Kindes zu bewerkstelligen, wenn an seiner Entstehung im Extremfall ein Samenspender, eine Eizellspenderin und eine Leihmutter mitgewirkt hätten und es dann bei einem anderen Paar aufwachse? Sei der juristische Grundsatz „Die Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat“ ebenso einfach aus unserer menschlichen Natur zu streichen, wie man ihn aus einem Gesetzestext entfernen könnte? Und wo bleibe die Würde des Kindes, das über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg bestellt, bei Behinderung wieder „abbestellt“ und nach Geburtsgewicht bezahlt werde?
Ein Verbot liesse sich also sowohl mit dem Kindeswohl als auch mit Frauen- und Menschenrechten begründen. Das Problem sind dabei nicht die Frauen, die die Kinder austragen, meinte Merckens. Anwälten, Organisationen und Reproduktionsmedizinern müsse die Grundlage entzogen werden, welche die Leihmutterschaft erst ermöglicht. Die Juristin wies überdies darauf hin, dass auch die Legalisierung der Eizellspende in der Schweiz derzeit wohl hauptsächlich deshalb diskutiert wird, weil auf lange Sicht die Leihmutterschaft für homosexuelle Paare ermöglicht werden soll. Darauf, wie ein Recht auf ein Kind dieser Paare sowohl juristisch als auch medizinisch einzuordnen ist, wurde jedoch an diesem Abend nicht weiter eingegangen.
Nach gut einer Stunde der Podiumsdiskussion haben die Zuhörer die Möglichkeit, Fragen an die Referenten zu stellen. Auch beim anschliessenden Umtrunk stehen die drei weiterhin Rede und Antwort. Das Interesse, die Betroffenheit und die Nachdenklichkeit des Publikums waren deutlich zu erkennen. Es wäre wünschenswert, dass mehr Menschen die Wichtigkeit der diskutierten Themen und die Gefahren dieser Entwicklungen erkennen als die etwa 30 Zuhörer dieses sehr gelungenen und lehrreichen Abends.