Der empörte Aufschrei, mit dem die Basler Gender-Wissenschaftlerin Katrin Meyer in der NZZ vom 18. Dezember 2013 die Gender Studies gegen den vom Churer Bischof Vitus Huonder erhobenen Ideologie-Vorwurf zu verteidigen versuchte, ist, so kann man zwei Monate später festhalten, ins Leere verhallt.

Von Dominik Lusser

Doch warum? Sicher nicht deswegen, weil es der Projektkoordinatorin des Netzwerkes Gender Studies Schweiz gelungen wäre, alle Zweifel über die Gender-Theorie in Luft aufzulösen. Ganz im Gegenteil kann das Ausbleiben eines gehörigen Echos nur dadurch erklärt werden, dass die gesellschaftspolitische Tragweite, die in Mayers Artikel deutlich wird, nicht richtig erkannt bzw. ernst genommen worden ist.

Das Schweigen von Seiten der Wissenschaft und der Politik ist insofern bedenklich, da sich der Genderismus schleichend aller gesellschaftlichen Schaltstellen bemächtigt und mit dem Lehrplan 21 nun auch in die Schweizer Volkschule einzudringen droht. Gegen Letzteres hat die Stiftung Zukunft CH mit Unterstützung von 13 Organisationen und Parteien kürzlich eine Petition zuhanden der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren lanciert, die noch bis Ostern 2014 läuft.

Doch zurück zu Katrin Meyers Verteidigungsversuch der Gender Studies: Sprache könne Neues denkbar machen und eröffne eine Arena für Debatten darüber, welche Realitäten Gestalt annehmen. Das Gender-Konzept erschliesse so einen geschlechterpolitischen Handlungsspielraum und transformiere die angeblich gottgegebene Geschlechterordnung in Kultur und die vermeintlich unabänderliche Geschlechternatur in Politik.

Meyer sieht die Gender Studies als Teil eines politischen Kampfes um die Definitionsmacht, „darum, wer die Macht hat, zu bestimmen, was Ehe und Familie zu Beginn des 21. Jahrhunderts bedeuten dürfen und nach welchen Normen Sexualität und Geschlechterverhältnisse zu regeln seien.“

Machtpolitisch!

Konkret heisst das, dass die Gender Studies jeden natürlichen Zusammenhang zwischen dem biologischen Geschlecht, der sozialen Geschlechterrolle und der sexuellen Orientierung leugnen. Und so fachsimpeln Geschlechter-Forscherinnen seit Jahren auf staatlich finanzierten Lehrstühlen tabulos darüber, wie Geschlechtsidentitäten nach ihrem Gusto weiterentwickelt und hergestellt werden können, wobei die Ansichten zwischen androgyner Uniformität und einem unübersehbaren Geschlechterpluralismus variieren.

Andrea Maihofer, Leiterin des Basler Zentrums für Gender-Studies gab schon 1995 in einem programmatischen Interview mit der Zeitschrift „Die Philosophin“ als Zielvorstellung an, dass es zukünftig sowohl Individuen geben soll, „die sich nach wie vor als Männer und Frauen verstehen“ – die aber biologisch nicht unbedingt Männer und bzw. Frauen sein müssen –, „daneben aber auch andere, die das für längere oder kürzere Phasen ihres Lebens tun, andere, die ihre Geschlecht mehrmals am Tag wechseln und wieder andere, die überhaupt jede Festlegung zu vermeiden suchen, und all dies in Verbindung mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen.“

Indem die Gender Studies die Natur der Geschlechter ignorieren und die Geschlechtsunterschiede für konstruierbar halten, liefern sie den Menschen einer Gesellschaftspolitik aus, die nicht davor zurückschreckt, die Geschlechtsunterschiede aktiv zu dekonstruieren und nach Belieben neue Geschlechtsidentitäten herzustellen. Sogar die genderistische Geschlechtertheorie selbst ist, wie Maihofer betont „immer zugleich auch politische Praxis“

Darum könne die Kategorie „Frau“ nicht mehr länger als Ausgangspunkt, sondern immer nur als „situatives Resultat feministischer Politik“ genommen werden.

Diese unauflösbare Vermischung von Wissen und Macht, von Wissenschaft und politischer Aktion ist die direkte Konsequenz der konstruktivistischen Weltsicht marxistischer Prägung. Wissen ist nach Michel Foucault, neben Judith Butler wichtigster Ideengeber der Gender Studies, nicht zu begreifen „als Abbild einer tatsächlichen Realität oder als kritischer Massstab und Korrektur zur Anklage von Herrschaft, sondern als unumgänglich kontingentes Ergebnis von Kräfteverhältnissen und in sich selbst machthaltiger Zugriff auf die Welt“.

Unwissenschaftlich!

In dieser Weltsicht gefangen kann es den Gender Studies gar nicht um mehr Freiheit für den individuellen Menschen gehen. Denn genauso wie das von den Gender Studies behauptete „Doing gender“, das durch die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmte fortlaufende Reproduzieren der bipolaren heteronormativen Geschlechterordnung, ist nach der Gender-Weltsicht auch das angestrebte „Undoing gender“ eine ausschliessliche Frage von Machtverhältnissen.

Ausgehend von der strikten Ablehnung einer menschlichen Natur, die nicht bloss Hypothese, sondern unhinterfragter Ausganspunkt bleibt, bewegen sich genderwissenschaftliche Studien ständig im Kreis. Selbst die von Andrea Maihofer so bezeichnete „Hartnäckigkeit geschlechtsspezifischer Ausbildungs- und Berufsverläufe“ oder die Persistenz traditioneller Geschlechterrollen dürfen nicht als Indizien für eine Geschlechternatur verstanden werden.

Anstatt die Konstruktions-Hypothese zu überdenken und in Erwägung zu ziehen, dass die Geschlechtlichkeit vielleicht doch mehr als bloss gesellschaftlich erzeugte Norm und geschlechtertypisches Verhalten weniger Fessel als vielmehr authentischer Ausdruck der eigenen Person sein könnte, greift man auf komplizierte Theorien und Methoden zurück, welche – und hier liegt der Zirkelschluss – die Konstruktions-Prämisse schon voraussetzen. Diese Theorien sollen dann erklären, wieso bei allen Anstrengungen zur Gleichschaltung der Geschlechter Männer immer noch männlich und Frauen immer noch weiblich sein wollen und den Handlungsbedarf aufzeigen, wie die hartnäckige Persistenz der Geschlechterordnung ausgehebelt werden kann.

So werden, wie die Maihofer-Schülerin Karin Schwiter in ihrer Dissertation ausführt, sogar die heute vorherrschenden individualisierten Begründungen, die junge Erwachsene für das Festhalten an traditionellen Geschlechterrollen angeben, als gesellschaftlich erzeugte Immunisierung der bestehenden Verhältnisse gedeutet.

Schwiter zieht den alles andere als zwingenden Schluss, dass das individualisierte Selbstkonzept junger Frauen und Männer diese dazu verleite, die Geschlechterdifferenzen nicht als Resultat gesellschaftlich hervorgebrachter Existenzweisen, sondern aussschliesslich als Ergebnis individueller Präferenzen wahrzunehmen: „Der Diskurs der individuellen Einzigartigkeit bewirkt (…) eine Immunisierung der Geschlechterverhältnisse und damit auch fortbestehender Geschlechterungleichheiten gegen Kritik.“

Abgesehen davon, dass eine Wissenschaft, die behauptet, die Menschen würden sozusagen nur zum Schein ihren Präferenzen folgen, ohnehin suspekt erscheinen muss, steht die radikal konstruktivistische Weltsicht der Gender Studies auch im Widerspruch zu den neuesten Befunden der Hirnforschung.

Antifreiheitlich!

Wie der Erlanger Hirnforscher Manfred Spreng auf Anfrage mitteilt, gibt es von Seiten der Gender Studies „immer wieder Behauptungen, dass Unterschiede in den Gehirnen von Mann und Frau nahezu ausschliesslich das Ergebnis von Erziehung, Erfahrungen und Umfeld nach der Geburt seien.“ Dabei werde, wie von Maihofer in der BAZ vom 12. November 2007, auf die zweifellos vorhandene beachtliche Plastizität des Gehirns verwiesen, welche natürlich für alle Lernprozesse und im Bedarfsfall für Regenerationen nach Schädigungen ausserordentlich wichtig sei. Doch stünden diese Behauptungen dennoch in deutlichem Widerspruch zu nahezu allen im internationalen Bereich bekannten Resultaten bisheriger fundierter Gehirnforschung. „Diese bestätigen übereinstimmend, dass das Gehirn von neugeborenen Kindern keineswegs als eine Art ‚ungeschriebenes Blatt‘ gesehen werden kann.“

Doch dies kümmert Gender Studies wenig; geht es ihnen doch letztlich nicht darum, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese nach ihren ideologischen Vorgaben zu verändern.

Weil das genderistische Geschlechter-Konzept „gemessen an Laienvorstellung von dem was Geschlecht ist (nämlich Frau und Mann, Buben und Mädchen)“ einen „hohen Abstraktionsgrad“ hat, setzten sich Lehrveranstaltungen an der Uni Basel auch damit auseinander, wie die „simplistischen Vorstellungen“ von Schülern, Führungspersonen und Entscheidungsträgern und die daraus erwachsenden „Widerstände“ in der Gleichstellungspraxis überwunden werden können.

So aber führt Gender nicht, wie oft behauptet wird, zu mehr Freiheit. Vielmehr führt die behauptete „Befreiung“ von der Natur, die in sich schon eine Vergewaltigung der menschlichen Identität darstellt, zu ganz andersartigen Zwängen, die diesmal tatsächlich durch gesellschaftliche Machtverhältnisse von aussen auferlegt sind.