Die Gleichstellungslobby meint noch immer, durch pädagogische Massnahmen die Verhaltensunterschiede zwischen Mädchen und Jungen einebnen zu können. Der Hirnforscher Dick Swaab widerspricht: Fraglich sei nicht nur, was eigentlich gegen genderspezifisches Verhalten spreche. Es gelte auch zu bedenken, welchen Schaden eine genderneutrale Erziehung anrichten könne.

Von Dominik Lusser

In seinem neuen Buch „Unser kreatives Gehirn – Wie wir leben, lernen und arbeiten“ (November 2017) geht der niederländische Hirnforscher Dick Swaab über mehrere Seiten dem heftig diskutierten Thema der Geschlechtsunterschiede nach.

Noch immer werde das Vorliegen einer geschlechtlichen Differenzierung des Gehirns und des Verhaltens von einigen Feministinnen schlichtweg geleugnet, schreibt Swaab, der als einer der international führenden Hirnforscher gilt. Bei ihnen herrsche noch die feministische Sicht der sechziger und siebziger Jahre vor, wonach jeglicher Geschlechtsunterschied im Verhalten allein durch die repressive Männergesellschaft erzeugt würde. So bezeichne die Psychologin Cordelia Fine die Vorstellung von angeborenen Geschlechtsunterschieden im Gehirn als „Neurosexismus“ (Die Geschlechterlüge, 2012).

Plastizitäts-Mythos

Die neurowissenschaftliche Forschung zeigt Swaab zufolge ein anderes Bild: „Jungen neigen eher zum Spielen mit Soldaten oder Autos, die meisten Mädchen hingegen spielen lieber mit Puppen. Studien aus den letzten Jahrzehnten belegen, dass der Geschlechtsunterschied im Spielverhalten vornehmlich von der Interaktion zwischen Geschlechtshormonen und den sich entwickelnden Hirnzellen bestimmt wird.“

Natürlich wird diese Entwicklung, was Swaab durchaus gelten lässt, auch durch äussere Faktoren wie die Sozialisation beeinflusst. Doch offensichtlich nicht in dem Mass, wie jene Feministinnen meinen, die die biologische Bedingtheit menschlichen Verhaltens am liebsten ganz ausschalten würden. Darauf haben bereits andere Forscher hingewiesen.

Der amerikanische Neurowissenschaftler Larry Cahill beispielsweise hält die in diesem Zusammenhang oft ins Spiel gebrachte Plastizität des Gehirns für problematisch: Schliesslich könnten auch Verhaltensweisen, die sich erst im Lauf der Zeit herausbildeten, einen biologischen Ursprung haben – etwa bei der Sprachentwicklung, dem Gehen oder der Rechtshändigkeit, schrieb Cahill 2014. Umweltbedingte Veränderungen hätten biologische Schranken. Das Plastizitätsargument hält Cahill für eine moderne Variante der längst widerlegten Tabula-rasa-Theorie, der Annahme also, das menschliche Gehirn sei wie ein unbeschriebenes Blatt und durch Erfahrungen beliebig veränderbar. Für den Wissenschaftler der University of California in Berkeley sind die Gehirne von Männern und Frauen grundlegend verschieden. Dass Studien bisweilen starke Überlappungen zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften zeigen, liegt laut Cahill daran, dass entsprechende Analysen nur isolierte Funktionen betrachten: „Das ist, als würde man nach detaillierter Prüfung von Glas, Reifen und Bremsen zu dem Schluss kommen, dass es keine bedeutsamen Unterschiede zwischen einem Volvo und einer Corvette gibt.“

Kritik am behaupteten Ausmass der Gehirn-Plastizität äusserte auch der deutsche Hirnforscher Manfred Spreng im Interview mit Zukunft CH. Es gäbe im Zusammenhang mit der Konstruktion der Geschlechtsidentität immer wieder Behauptungen, dass Unterschiede in den Gehirnen von Mann und Frau nahezu ausschliesslich das Ergebnis von Erziehung, Erfahrungen und Umfeld nach der Geburt seien. Dabei wird laut Spreng auf die zweifellos vorhandene beachtliche Plastizität des Gehirns verwiesen. Auf die Hirnforschung könne sich die These von der weitgehend nur sozial konstruierten Geschlechtsidentität allerdings nicht stützen: „Diese Behauptungen stehen im deutlichen Widerspruch zu nahezu allen im internationalen Bereich bekannten Resultaten bisheriger fundierter Gehirnforschung, welche übereinstimmend bestätigen, dass das Gehirn von neugeborenen Kindern keineswegs als eine Art ‚unbeschriebenes Blatt (blank slate)‘ gesehen werden kann.“

Doch Gleichstellungsbeauftragte und Genderforscherinnen – wie kürzlich Christa Binswanger von der Uni St.Gallen – ziehen immer wieder gegen geschlechterspezifische Spielsachen sowie die Werbeindustrie zu Felde, die ihrer Meinung nach Jungen- und Mädchenstereotype verstärkt und dadurch einen nachhaltigen Einfluss auf die spätere Berufswahl der Kinder ausübt. Swaab allerdings sieht keine beweiskräftigen Anhaltspunkte für solche Befürchtungen.

Einfluss der Spielzeugindustrie?

Bezüglich der Überbewertung der sozialen Formbarkeit von Vorlieben und Neigungen verweist der Niederländer auf Forschungen von Alexander und Hines (2002), welche denselben Geschlechtsunterschied in Bezug auf die Spielzeugwahl auch bei Affen nachweisen konnten. Swaab schreibt dazu: „Affenmädchen greifen am liebsten zu einer Puppe und zeigen mütterliche Verhaltensweisen, während Affenjungen überlegen, was sich mit einem Auto alles anfangen lässt. Diese Differenzierung, die ihnen wohl kaum von der Affengesellschaft aufgezwungen worden sein kann, macht deutlich, dass der Vorliebe für eine bestimmte Art von Spielzeug ein Mechanismus zugrunde liegt, der (…) auf einer genetischen Grundlage basiert.“

Die geschlechtsspezifischen Interessensunterschiede bleiben, so Swaab, „auch in der Adoleszenz bestehen – Jungen zum Beispiel bauen lieber etwas, während Mädchen lieber tanzen. Auch im Erwachsenenalter gibt es deutliche Interessenunterschiede. Männer bevorzugen Berufe, in denen sie sich mit Gegenständen beschäftigen, und Frauen Berufe, in denen sie mit Menschen zu tun haben.“

Für Swaab ist nicht das genderspezifische Verhalten das Problem, sondern der Versuch, dieses durch Erziehungsmassnahmen ändern zu wollen: Er hält es für „besorgniserregend, wenn in Schweden eine Bewegung Zuspruch findet, die eine ‚genderneutrale Erziehung‘ propagiert.“ Demnach dürfe man Eltern nach der Geburt ihres Kindes nicht mehr fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei, weil dies angeblich keine Rolle spiele. „Die Kinder sollen geschlechtsneutrale Kleidung tragen und statt Puppen oder Autos, für die sie sich so sehr begeistern können, nur geschlechtsneutrales Spielzeug bekommen.“ So nehme man Kindern viel von ihrer Freude.

Die Freude der kleinen Prinzessinnen

Ausserdem hält Swaab es für unwahrscheinlich, dass sich durch solche Massnahmen die genderspezifischen Vorlieben für ein bestimmtes Spielerhaften revidieren lassen. Doch fraglich ist für Swaab nicht nur, was eigentlich gegen genderspezifisches Verhalten spricht. Es gelte auch zu bedenken, welchen Schaden eine genderneutrale Erziehung anrichten könne.

Dazu erzählt er auch ein persönliches Erlebnis: „Im Frühjahr 2014 fuhren meine Frau und ich mit unserem in Paris lebenden vierjährigen Enkel nach Disneyland. Nicht gerade ein Park, in den es mich jedes Jahr hinzieht, auch wenn die abschliessende professionelle Parade mit allen bekannten Disney-Figuren und -Geschichten hervorragend war. An diesem Tag sahen wir überall Mädchen in Prinzessinnenkleidchen herumlaufen. Die Ernsthaftigkeit und Freude, mit der sie diese Kleider trugen, machte deutlich, dass sie sich damit auch in eine andere Welt begaben, eine Welt, die ich ihnen nicht nehmen möchte.“