Mit dem Kampfbegriff «Gender» stellen sie die Welt auf den Kopf. Und doch ist es für sie kaum erträglich kritisiert zu werden. Die Feministinnen der «NGO-Koordination Post Beijing» fürchten um ihre Deutungshoheit über Frauenrechte und Geschlecht. Am 25. März 2017 tagten sie in Bern zum Thema: «Verweigerung von Frauenrechten aufgrund sogenannt christlicher Werte». Ich war als einziger Mann dabei.
Ein Erlebnisbericht von Dominik Lusser
Von der «alliance F» über «Terre des femmes» bis hin zur «IG Frau und Museum». In der «NGO-Koordination Post Beijing» ist so ziemlich alles dabei, was sich in der Schweiz feministisch nennt. Die NGO-Koordination sieht sich als oberste Hüterin von internationalen Frauenrechten in der Schweiz und ist mit allen relevanten Stellen des Bundes bestens vernetzt. Sie verfasst regelmässig Schattenberichte zuhanden der UNO, wie es um die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention in der Schweiz steht. Natürlich schlecht, schreiben die Feministinnen dann jeweils, weil für sie nicht die vielfältigen Interessen von Frauen im Fokus stehen, sondern eine ideologische Agenda, die erst erfüllt ist, wenn auch im hintersten Dorf der Schweiz jeder menschliche Tätigkeitsbereich (feministisch: «Machtbereich») zu gleichen Teilen auf Mann und Frau verteilt ist. «Planet 50:50» nennt UN Women dieses oberste Ziel. Symmetrische Gleichheit um jeden Preis, notfalls auch mit staatlichem Zwang und unter Missachtung der Gleichberechtigung des Mannes.
Doch das einflussreiche, machtbewusste und nach Ausweitung seiner Macht strebende Bündnis reagiert äusserst sensibel auf jede Kritik. Ob von genderkritischen NZZ-Journalistinnen vorgetragen, von Wissenschaftlern oder eben von Christen, deren Wertordnung von Gender auf den Kopf gestellt wird, stets wird jede Kritik mit einem Angriff auf Frauenrechte gleichgesetzt, den man sehr persönlich nimmt. Und gegenwärtig fühlen sich die Feministinnen eben wieder mal gewaltig in der Opferrolle, an die Wand gedrängt durch den sogenannten christlichen «Anti-Genderismus», der in der Schweiz hauptsächlich vom Bistum Chur und von der Stiftung Zukunft CH vertreten werde.
Unverhoffter Widerstand
Dieser Befindlichkeit trug auch das Thema der Jahrestagung 2017 Rechnung, die in der Berner Kirchgemeinde Frieden abgehalten wurde: «Verweigerung von Frauenrechten aufgrund sogenannt christlicher Werte». Im Inputreferat der Theologin Doris Strahm bekamen die rund 50 Teilnehmerinnen und ich (nebst dem Dolmetscher der einzige Mann im Saal) zu hören, wie seit der UN-Frauenkonferenz von Peking von 1995 fundamentalistische christliche Kreise unter der Federführung des Vatikans versuchen würden, die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frau zu bekämpfen. Das sind übrigens Codeworte u.a. für ein angebliches Recht auf Abtreibung, das im internationalen Recht aber nirgends eine Grundlage findet.
Durch eine Umdeutung von Gender zu Gender-Ideologie hätte die katholische Kirche eine Gegenstrategie entwickelt, um die Komplementarität der Geschlechter als gottgewollte Grundlage der Gesellschaft zu verteidigen. Papst Benedikt XVI. habe die von seinem Vorgänger Johannes Paul II. begonnene Opposition gegen Gender fortgeführt. Doch unter dem gegenwärtigen Papst Franziskus habe die kirchliche Gender-Kritik ihren bisher stärksten Ausdruck gefunden. So habe der argentinische Papst sogar von einem weltweiten Krieg «zur Zerstörung der Ehe» gesprochen, der in der Form einer «ideologischen Kolonialisierung» ausgetragen werde. Wer beobachtet, wie westliche Hilfsorganisationen und Regierungen die Entwicklungshilfe von der Durchsetzung einer gesellschaftspolitischen Agenda abhängig machen, wird dem Papst recht geben müssen.
Doch auch weit nüchterner vorgetragene Kritik aus kirchlichen Kreisen wird von den Gender-Feministinnen als Bedrohung empfunden. Besonders auf dem Kieker haben sie offenbar Johannes Paul II., der wenige Monate vor der Pekinger Konferenz in einem Brief an die Frauen der Welt zur Differenzierung mahnte: «Eine gewisse Verschiedenheit in den Rollen stellt keineswegs eine Benachteiligung der Frauen dar, sofern diese Verschiedenheit nicht das Resultat einer willkürlichen Auferlegung, sondern Ausdruck dessen ist, was für das Mann- und Frausein charakteristisch ist.» Damit deutete er im Einklang mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft an, dass die Geschlechterrollen eben doch nicht in dem Masse eine soziale Konstruktion darstellen, wie die Gender-Lobby dies gerne hätte.
Gefangen in Denkmustern
Der Unwille oder die Unfähigkeit, mit Leuten wie dem polnischen Philosophen-Papst in einen Dialog zu treten, und ihn stattdessen zu einem patriarchalen Feind zu stempeln, offenbart die wahre Absicht des Gender-Konzepts. Dieses zielt, wie auch die Tagung in Bern unverblümt deutlich zeigte, auf die Marginalisierung des biologischen Geschlechts und der Leiblichkeit, welche die katholische Kirche als identitätsstiftenden Bestandteil der menschlichen Person sieht und verteidigt.
Das Schlimmste sei, so Strahm, dass die kirchlichen Gender-Gegner versuchten, die Deutungshoheit über Gender zu bekommen. Befürchtet wird, dass sich Gender als Bumerang erweisen könnte. So sehr, dass – wie eine Vertreterin von Amnesty International einwarf – manche Feministinnen darüber nachdenken, ob Gender letzten Endes nicht ein «Eigentor» gewesen sei. Strahm selbst hat erst durch die Lektüre eines Hirtenworts von Bischof Vitus Huonder vom Dezember 2013 überhaupt vom kirchlichen Widerstand gegen Gender erfahren. Sie hielt aber den Churer Bischof zunächst für einen «einsamen Spinner» und entdeckte erst später, dass die Front viel älter und breiter ist. Ein böses Erwachen. Zita Küng von der «feministischen fakultät» war der vatikanische Anti-Genderismus schon früher aufgefallen, und zwar in Zusammenhang mit Debatten auf Ebene der UNO. Doch habe sie diesen fälschlicherweise als unbedeutend eingeschätzt. Christine Löw, Chefin der Sektion Völkerrecht beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA bestätigte den frühen Widerstand gegen Gender durch «unheilige Allianzen» von US-amerikanischen evangelischen Christen mit dem Vatikan. Da haben die Gender-Feministinnen, wie es schien, ein echtes Problem.
Beim Widerstand gegen Gender handle es sich, wie Strahm mit einem Wisch all ihre Gegner zu stigmatisieren versuchte, um «gefährliche Allianz von christlich-konservativen, fundamentalistischen und rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Kräften». Diese würden versuchen, eine konservative Geschlechterordnung politisch durchzusetzen. Das klang in meinen Ohren alles sehr unterkomplex, und auch widersprüchlich. Denn Gender-Vertreter sind ja dafür bekannt, dass sie (undifferenziertes) Kategorisieren von Personen (z.B. in Männner und Frauen) eigentlich ablehnen. Dass das Schubladisierungsverbot für ihre Gegner offenbar nicht gilt, wäre eine separate Analyse wert.
Strahm fuhr fort: Religiöser Fundamentalismus und Rechtspopulisten hätten gemeinsam, dass sie in Krisenzeiten Gewissheit und stabile Identitäten versprächen. Und überhaupt sei der christliche «Fundamentalismus», womit sie scheinbar alle gender-kritischen Christen meinte, eine Reaktion auf die Unsicherheiten, Ängste und Konflikte, die mit Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen verbunden seien und als Krise erfahren würden; ja eine patriarchale Protestbewegung gegen eine als gottlos erlebte säkularisierte Welt. Solche Plattheiten hatte ich von Strahm dann doch nicht erwartet. Mir scheint ehrlich gesagt der säkulare Rechtsstaat in Europa heute eher durch die staatlich propagierte Gender-Ideologie bedroht als durch die Christen, deren Grundrechte (z.B. auf Erziehung ihrer Kinder nach eigenen Wertüberzeugungen) immer mehr unter die Räder geraten.
Gender-Fragen seien gar das Herzstück christlich-konservativer Ideologie, leitete Strahm in den entscheidenden Teil ihres Referats ein, in dem sie ihre tiefsten Ideen offenbarte. Und gab dann gleich auch die Antwort, warum das so sei: weil eben «jeder religiöse Fundamentalismus als ‘radikaler Patriarchalismus’ zu verstehen ist». Hinter dem christlichen Widerstand gegen Gender vermutet Strahm denn auch nichts anderes als die Angst von Männern, Macht und Privilegien zu verlieren. Dazu – auf katholischer Seite – unbewältigte sexuelle Probleme einer zölibatär lebenden Priesterkaste. Andere Denkmuster als diese mittlerweile abgedroschenen, unterkomplexen Phrasen hatte sie nicht zu bieten. Damit ist die Theologin aber in guter Gesellschaft mit den «säkularen Feministinnen», wie sich noch zeigen sollte.
«Feindbild Gender-Forscherin»
«Ich bin für gewisse Leute ein personifiziertes Feindbild», stellte sich Fabienne Amlinger, Kommunikationsbeauftragte des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung der Uni Bern, vor. Damit machte Amlinger, die auch selbst Gender-Forschung betreibt, schon zu Beginn klar, wem hier Opferstatus zukomme. Der Genderismus-Vorwurf sei nichts als eine Diffamierungsstrategie, welche den Gender Studies Unwissenschaftlichkeit unterstelle, ging es dann weiter. «Für ein akademisches Fach ein brutaler Vorwurf.» Zweifellos! Bleibt allerdings die entscheidende Frage, ob er tatsächlich aus der Luft gegriffen ist.
Die «vormals renommierte NZZ» habe kürzlich ein langes «Pamphlet» von Birgit Schmid über die Gender Studies abgedruckt, wetterte Amlinger weiter. Aussagen wie die eines ehemaligen Lehrstuhlinhabers der Uni Zürich: «Mit dem Genderismus hat auch die politische Korrektheit Einzug gehalten», fordern natürlich heraus. Auch die von Schmid zitierte Aussage eines Biologen, demgemäss Gender Studies auf einer rein sozialwissenschaftlichen Deutung beruhten, was sie «in den Zustand einer Ideologie» erhebe, ist ein starker Vorwurf. Doch mit der simplen Aussage, Schmids Artikel sei «gewaltförmig», anstatt auf irgendein Argument einzugehen, bestätigte Amlinger nur die akademische Unglaubwürdigkeit ihres Fachs. Dass dieselbe NZZ am 25. März der Berner Literaturwissenschaftlerin Virginia Richter die Chance gab, das Renommee des gedemütigten Fachs wieder aufzupolieren, fand keine Erwähnung. Es hätte die Zelebration der Opferrolle auch entscheidend gestört.
Zum anschliessenden Workshop «Genderismus» in der Cafeteria, zu dem sich neben mir 15 Frauen eingeschrieben hatten, erschien Amlinger mit einem Buch. Im Sammelband «Anti-Genderismus» nimmt mit Andrea Maihofer und Franziska Schutzbach die Crème de la Crème der Schweizer Gender Studies die Gender-Kritik aus christlichen bzw. rechts-konservativen Kreisen der Schweiz ins Visier. Mehr als die Hälfte der Texte, welche die beiden Dozentinnen vom Basler Institut für Gender Studies einer echt Foucaultschen Diskursanalyse unterziehen, stammen aus der Redaktion von Zukunft CH.
Foucaults durchaus interessanter Ansatz, Macht und Wissen in Beziehung zu setzen, wird meiner Meinung nach dort zum Problem, wo er, wie in den Gender Studies, zum ausschliesslichen Schlüssel des Zugangs zur Wirklichkeit erhoben wird. Wenn Wissen immer nur «machthaltiger Zugriff auf die Welt» sein soll, dann wird letztlich Wissenschaft für unmöglich erklärt. Es gibt dann nur noch einen Machtkampf um Deutungshoheit, aber keinerlei objektive Erkenntnis. Von Vertretern der politischen Philosophie wurde Foucault deswegen auch vorgeworfen, durch die Verneinung eines Erkenntnisstandpunkts ausserhalb der Macht letztlich die Möglichkeit aufzugeben, Macht und Herrschaft begründet kritisieren zu können. Und dieser Vorwurf fällt natürlich auch auf Maihofer und Schutzbach zurück, welche die gender-kritischen Texte, von denen ich selbst einige verfasst habe, einer Machtanalyse unterziehen. Der einzig auf den machthaltigen Diskurs gerichtete Forscherblick erspart sich letztlich auch die Mühe, sich mit dem Wirklichkeitsgehalt einer Aussage auseinanderzusetzen, d.h. sie einem Realitätscheck zu unterziehen. Gerne hätte ich also mit Amlinger über all dies geredet, doch es kam ganz anders.
Kaum hatten sich die Teilnehmer am Workshop der Reihe nach vorgestellt, womit auch den noch Unwissenden meine Identität offenbar wurde, kam aus der Runde der Vorschlag, ob es nicht angebrachter wäre, wenn ich als «Gegner» die Runde verliesse. Man sei sonst befangen und unfrei, sich auch über Strategien auszutauschen. Ich willigte ein. Dann wurde ich freundlich in den Garten verbannt, obwohl man mir zuvor in sympathischen Flurgesprächen scherzhaft zugesichert hatte, eine offene Gesellschaft zu sein. Doch dies galt, wie ich nun erfuhr, offenbar nur meinem Geschlecht, nicht aber meiner Gesinnung.
Zurück an die Macht
Die abschliessende Podiumsdiskussion, zu der ich wieder zugelassen war, brachte dann doch auch einige von den Strategien ans Licht, die in den einzelnen Workshop-Gruppen ausgearbeitet worden war. Der Widerstand gegen Gender aus christlichen und rechts-populistischen Kreisen wird als orchestriert wahrgenommen, sodann als systematischer Versuch, Gender niederzumachen und ein falsches Bild über Gender zu vermitteln. In diesem Widerstand gegen die Gender Studies orten ihre Foucault-geschulten Vertreterinnen natürlich nichts als das Motiv, Privilegien und Macht zu verteidigen. Auf einer anderen Ebene können sie sich, wie mir immer deutlicher wurde, kritischen Argumenten auch gar nicht nähern. Dieses Weltbild, in dem es nur den ständig tobenden Kampf um Deutungshoheit und Macht gibt, lässt es nicht zu.
Als Mittel gegen den «Anti-Genderismus» nannte Amlinger «juristische Ansätze», was sie aber leider nicht weiter ausführte… Wer sachliche Kritik als Gewalt auffasst, dem ist aber durchaus zuzutrauen, dass er die Meinungsfreiheit als Gefahr empfindet. Und er würde wohl auch nicht zögern, Gender-Kritik gesetzlich verbieten zu lassen, sobald es seine Machtposition zuliesse. Ferner müssten die Gender Studies, fuhr Amlinger fort, über ihre Kommunikationsstrategien nachdenken. Intern kommunizierten die Gender Studies nämlich mit einen hohen Differenzierungsgrad, weswegen eine Komplexitätsreduktion in der Kommunikation nach aussen zentral sei. Die sehr elaborierte, elitäre Sprache der Gender Studies wirke auch leicht ausschliessend. «Besonders für die Wirklichkeit», hätte ich diese Aussage gerne ergänzt. Doch wollte ich nicht noch ein zweites Mal die feministische Idylle stören und konzentrierte mich stattdessen umso konzentrierter aufs Mitschreiben.
Auch Birgit Schmids Text, den Amlinger sichtlich als Akt der Aggression empfindet, kam nochmals zur Sprache. Es bringe nichts, meinte Amlinger, auf solche Artikel immer direkt zu reagieren. Gegen die NZZ hätte man «sowieso keine Chance». Vielmehr riet sie, «auf eine höhere Ebene» zu gehen. Wie könnte man die Uni-Leitungen der Schweiz dazu bringen, gemeinsam gegen den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit Stellung zu nehmen, fragte sie in die Runde. «Denn die haben Macht.» Und schliesslich sei ja die Kritik an den Gender Studies eine «Verleumdung des ganzen Wissenssystems»
Mit Katharina Fontana geriet dann auch noch eine weitere NZZ-Journalistin unter Beschuss. Fontana war kürzlich in ihrem Artikel «Austausch unter Gleichgesinnten» der Entstehungsgeschichte des UN-Frauenberichts zur Schweiz nachgegangen. Dabei hatte sie u.a. aufgedeckt, dass die NGO-Koordination gesellschaftlich gar nicht so breit aufgestellt ist, wie sie gerne von sich behauptet, sondern ein Zusammenschluss von grossmehrheitlich linken Gruppierungen darstellt. Entsprechend waren auch die Reaktionen emotionsgeladen. Die Moderatorin der Tagung wurde sogar persönlich: Man wisse ja inzwischen, dass Fontana zur Weltwoche wechselt. Und das sage viel aus über ihre Person. Sie ticke offenbar schon jetzt nach dem Motto ihres neuen Arbeitgebers: «Stell dich quer, dann bist du wer.»
Burka-Feminismus
Weiter wurde im Plenum händeringend darüber debattiert, wie man angesichts dieser schwierigen Lage die verloren geglaubte Diskurshoheit über Gender und Frauenrechte zurückgewinnen könnte. Säkulare und religiöse Feministinnen müssten mehr zusammenarbeiten, fand Strahm. Amlinger rief in Erinnerung, dass Feminismus immer ein Solidaritätsprojekt sei und dass es auch sehr viel Spass mache, rebellisch zu bleiben. Strahm toppte dies mit der Ermunterung, noch viel radikaler und frecher zu werden. So sprach man sich gegenseitig Mut zu und ermahnte, ob der schlimmen Lage auch den Humor nicht zu verlieren. Auch der könne ein probates Mittel im Geschlechterkampf sein.
Als Testfall für einen feministischen Neuanfang wurde der Widerstand gegen die Anti-Burka-Initiative ausfindig gemacht. Denn auch dadurch sieht man die eigene Deutungshoheit über Frauenrechte massiv bedroht. Man kann zu dieser zweifellos heiklen Vorlage stehen, wie man will. Aber um was es den Feministinnen mit ihrem Widerstand letztlich allein geht, verhindert schon von vornherein eine sachliche Auseinandersetzung. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass unter dem Deckmantel von Frauenrechten eine zutiefst fremden- und islamfeindliche Kampagne geführt werde. Ist das wirklich das Zentrale? Die Kreise der Initianten sollten, wie die Moderatorin einwarf, mal zuerst ihre Hausaufgaben machen, bevor sie sich zu Frauenbeschützern aufspielten. Der Feind meines Feindes ist mein Freund, lautet hier offenbar die Devise. Doch die typisch marxistisch-feministische Zweiteilung der Welt in fremde, unterdrückte Frauen und weisse herrschsüchtige Männer, ist ein zu beschränkter Raster, um die Komplexität unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Probleme auch nur einigermassen angemessen zu erfassen.
Wohin dieser Burka-Feminismus letztlich führen kann, zeigte vor genau einem Jahr die junge Grüne Irina Studhalter, die nach den Anschlägen in Brüssel twitterte: «Ich habe Angst. Nicht vor dem Islam, nicht vor Terror – sondern vor der rechtspopulistischen Hetze, die folgen wird.» Spätestens hier wird die Blindheit des Feminismus zum Sicherheitsproblem. Dazu fällt mir eigentlich nur noch ein, dass der Mensch nicht auf seine Ideologie reduziert werden darf. Es besteht immer die Hoffnung, dass er sich aus dem Korsett einengender Gedankengebäude löst, um sich der Wirklichkeit selbst zuzuwenden.
Perfektes Gejammer
Es waren spannende und lehrreiche vier Stunden, die ich an jenem Samstagnachmittag unter Feministinnen verbringen konnte. Ich betone nochmals: Unfreundlich wirkten nur ihre Theorien, wenn sie am Stehpult jene Schminke auftrugen, die aus Frauen Radikalfeministinnen macht. In Erinnerung bleiben wird mir besonders die Inszenierung der eigenen Ohnmacht, welche die Feministinnen bis zur Perfektion beherrschen: Sie stellten sich dar, als stünden sie mit dem Rücken zur Wand, total in der Defensive, abseits des Mainstreams, während ihre Gegner aus dem christlichen Lager angeblich die Diskurshoheit über Geschlecht und Sexualität innehaben. Eine noch stärker verzerrte Wahrnehmung der tatsächlichen Verhältnisse ist schwerlich denkbar.
Und während ich am folgenden Montagmorgen diese «machthaltigen», «gewaltförmigen» Zeilen schreibe, fällt mein Blick auf eine Pendlerzeitung. Ich schlage auf: Und da ist sie wieder, die geballte Ladung Gender-Feminismus, die dem Durchschnittsschweizer fast täglich zugemutet wird. Es geht angeblich um ein Streitgespräch: «Wir haben eine Gesellschaft, die sich seit Jahrhunderten am weissen Mann orientiert. Unser Feminismus ist das Gegenprojekt dazu. Wir wollen Machtstrukturen, die Frauen, die LGBTQ-Community oder Menschen mit anderer Hautfarbe diskriminieren, angreifen» donnert Juso-Präsidentin Tamara Funiciello gegen die imaginierten Feindbilder des Feminismus. Auch müssten wir uns eingestehen, dass wir alle sexistische Gedanken hätten. «Ich wurde so sozialisiert, dass ich das Gefühl habe, dass Busfahrer eine Arbeit für Männer ist. Solche Mechanismen wollen wir Feministinnen aufdecken.» Und dazu, denn von dagegen kann nicht die Rede sein, ein Markus Theunert vom Männerdachverband männer.ch, der sich mit jeder seiner Antworten Funiciellos Ideologie weiter unterwirft. Na ja, denk ich mir. So schlecht kann es um den Einfluss des Gender-Feminismus auf die öffentliche Meinung in der Schweiz also nicht stehen. Leider!
Wer so viel Macht hat, kann eigentlich nur an sich selbst scheitern. Beim Gender-Feminismus sind es die postfaktischen Theorien, die von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern als realitätsfernes und freiheitsfeindliches politisches Programm durchschaut werden. Für manche ist das ein Grund zum Jammern, für mich und viele andere ein Grund zur Hoffnung!