Ist der Islam tatsächlich Quelle eines brutalen Fundamentalismus? Kürzlich hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sich nicht nur erneut zu dem Anschlag mit mehr als 140 Toten bei Moskau bekannt, sondern darüber hinaus weltwei­te Angriffe auf Juden und Christen angekündigt. In einer 40-minütigen Audiobot­schaft forderte IS-Sprecher Abu Hudhaifah al-Ansari die „einsamen Wölfe“ dieser isla­misti­schen Bewegung auf, noch während des laufenden Fastenmonats Ramadan Chris­ten und Juden überall anzugreifen und ins Visier zu nehmen – insbesondere auch in Euro­pa. Kann sich dieser brutale Appell wirklich aus der Weltreligion namens Islam ab­leiten?

Von Werner Thiede

Vielfach wird im Westen unterschätzt, was an negativer Energie aus Quellen des Islam  spru­delt. Oft heisst es, der Islam sei doch eine Religion des Friedens, wie sein Name bereits besa­ge. Und entsprechend friedlich verhielten sich die aller­meisten Muslime. Die terroristischen Verbrechen seien rein politisch-extre­mistischer Natur. Allenthalben wird damit in unserer säkularisierten Kultur verkannt, dass sich im Islam Politik und Religion generell nicht so deutlich trennen lassen wie im Christentum – und was es daher bedeutet, dass die islamis­tischen Terrorakte meist mit frommen Aus­rufen der paradiesesgewissen, dem „Märtyrertod“ ins Auge schauen­den Atten­täter abge­schlossen werden. Ganz nüchtern ist festzustellen: Der­artige brutale Agitationen rund um den Globus sind in der Moderne von keiner anderen Reli­gion bekannt. Zu unterschiedlich sind offenbar die Religio­nen dieser Welt, als dass sie einfach auf einen gemeinsamen humanistischen Nenner zu brin­gen wären.

Was den Islam insgesamt betrifft, so ist er zweifellos sehr vielschichtig und in sich uneinheitlich – doch ihn einen die gemeinsamen Quellen des Koran und der Scharia. Von daher ist er schon im Ansatz viel stärker als das Christentum auf unmittelbare politische Gestaltung aus – mit ex­pan­dieren­der Grundtendenz. Der von ihm gewollte Frieden ist letztlich eine „Pax Islami­ca“. Die von ihm bejahten Men­schen­rechte sind lediglich in einem einge­schränkten Sinn ak­zeptiert. Und der in seinen Reihen hier und dort emporwachsende Fundamentalismus ist dem­gemäss von einer besonderen Art des Zupackens.

Nicht von ungefähr unterstreicht der inter­national bekannte Professor und Reform-Muslim Bassam Tibi, unter den Fun­da­men­ta­lismen der Welt­religionen lasse sich eine direkte, massive Verbindung von politi­scher Religion und Welt­po­li­tik allein im Islam beobachten. Gerade des­sen Fun­damenta­lismus sei neben Kom­mu­nis­mus und Faschismus zu einer dritten Spielart des Tota­li­ta­rismus in neu­­erer Zeit gewor­den.

Aufruf zu Tötung und der Verbreitung von Schrecken

Bekanntlich versteht sich der Koran selbst als eine dem Propheten Mohammed durch Allah diktierte Urkunde von höchstem Geltungsrang. Diese Interpretation erschwert eine historisch-kritische Deutung solch „heiliger Schrift“ schon im Ansatz und legt im Gegen­teil eine funda­mentalistische Auffassung nahe. Wenn diese sich nun mit einem politisch aufgeladenen „‑is­mus“ innerhalb des Islam verbindet, werden einschlägige Koran-Stellen, die zum Töten und zum Verbreiten von Schrecken aufrufen, mitnichten als Aussagen in den Kampfsi­tuatio­nen der Entstehungszeit des Korans gelesen, sondern als Appelle für die je­wei­lige Gegenwart. In Sure 8,12 etwa heisst es: „Wahrlich, in die Herzen der Ungläubigen werfe ich Schrecken. So haut ein auf ihre Hälse und haut ihnen jeden Finger ab!“ Wenige Sätze später soll den Kämp­fern spirituelle Ent­lastung verschafft werden durch die Beteue­rung: „Nicht ihr habt sie getötet, sondern Gott hat sie getötet.“ Von daher erklärt Hamed Abdel-Samad in seinem Buch „Der islamische Faschis­mus – eine Analyse“, der Islam trage als Religion fa­schistoide Züge. An­ders als im Christentum sei das Streben nach poli­tischer Macht, ja nach Weltherrschaft im Islam selbst ange­legt. Gewiss – die einstigen Heiligen Kriege im Mittel­alter waren tragische Irrläufer und entsprachen keineswegs der neutestamentlichen Quelle­nlage. Aber sie sind in den Köpfen der Islamisten, die heutzutage einen brutalen „Dschihad“ bejahen, nur allzu prä­sent.

Christen und Juden müssen sich daher weltweit und zeitnah auf brutale Attacken im Namen der Religion namens Islam gefasst machen. Ge­fordert ist heute mehr denn je eine intensive religionstheologische Aufarbeitung der Terror-Proble­ma­tik auch unter den muslimischen Gottesgelehrten – sowie eine differenzierte, aber ehrliche Wahrnehmung des Zusammenhangs von Islam und islamistischen Gruppierungen in den christlichen Kirchen und Medien.

Prof. Dr. Werner Thiede ist Pfarrer i.R. der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern
und Publizist (werner-thiede.de). Sein Buch „Die Wahrheit ist exklusiv“
(Neuausgabe 2022) enthält auch ein Kapitel über Islamismus.