Am 7. Januar 2024 fand der Auftakt für das 1300-Jahr-Jubiläum der Klosterinsel Reichenau statt. Die UNESCO zeichnete die Reichenau im Jahr 2000 als Welterbe aus und würdigte sie als ein Beispiel für die religiöse und kulturelle Bedeutung der Benediktiner im Mittelalter.
Im Jahr 724 gründete der heilige Pirmin auf der Insel Reichenau das Kloster Mittelzell (heute Münster St. Maria und Markus).
Die Herkunft Pirmins ist nicht bekannt. In der Forschung werden Irland, Südwest-Gallien oder auch Paris als Heimat diskutiert. Nach der Hornbacher Pirminsvita aus dem 9. Jahrhundert war er Bischof in Meaux bei Paris, bevor er unter dem Schutz des karolingischen Hausmeiers Karl Martell nach Alemannien einwanderte. 724 gründete der heilige Pirmin auf der Reichenau ein Kloster zu Ehren der Gottesmutter und der Apostel Petrus und Paulus. Die Insel war gemäss Überlieferung noch nicht bewohnt und verwildert. Doch Schlangen, Kröten und anderes Getier sollen die Insel fluchtartig verlassen haben, als der Heilige die Insel betrat. Pirmin habe anschliessend mit seinen vierzig Männern die Insel gerodet und urbar gemacht. Ausgrabungen belegen hingegen, dass die Insel schon vor Ankunft der Mönche besiedelt war.
Der erste Klosterbau war bereits eine vierflügelige Anlage um einen Kreuzgang herum. In den 1980er-Jahren wurden von diesem ersten Holzkloster bei Grabungen Pfostenstümpfe gefunden, deren dendrochronologische Datierung ein Fälljahr aus der Gründungszeit nachweist.
Der heilige Pirmin musste bereits drei Jahre nach der Klostergründung die Insel wieder verlassen, da es zu politischen Spannungen zwischen dem Karolinger Karl Martell – dem Förderer Pirmins – und dem alemannischen Herzogtum kam. Pirmin soll in den nächsten Jahren verschiedene Klöster gegründet haben. Er starb am 3. November 753 in seiner letzten Klostergründung in Hornbach (Südwestpfalz). Schon Ende des 8. Jahrhunderts wird er in einer Metzer Handschrift als Heiliger bezeichnet und in einem Reichenauer Brevier war bereits Anfang des 9. Jahrhunderts ein Fest des heiligen Pirmin zu finden.
Von der Gartenkunst bis zur Weltchronik
Das Kloster Reichenau war im Mittelalter eines der bedeutendsten geistlichen und kulturellen Zentren Europas. Zwischen etwa 800 und 1200 erblühten dort Buchkunst, Musik, Theologie und Wissenschaften. Mönche wirkten als politische Berater; die Klosterschule bildete Eliten aus.
Auf der Reichenau verfasste Abt Walahfrid Strabo um 840 den „Hortulus“, den ersten Gartenbau-Ratgeber. In ihm werden 24 Heil- und Küchenkräuter sowie Blumen beschrieben. Der entsprechende Garten wird bis heute in der Nähe des Münsters gepflegt.
Der Universalgelehrte Hermann der Lahme (1013–1054) schrieb eine Weltchronik, forschte in der Mathematik und komponierte bis heute gesungene Kirchenlieder. Ihm werden auch die marianischen Antiphonen „Alma redemptoris mater“ und „Salve Regina“ zugeschrieben.
Berühmt ist auch der „St. Galler Klosterplan“, die früheste Darstellung eines Klosterbezirks aus dem Mittelalter, der auf der Reichenau entstand und heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt wird. In wissenschaftlichen Kreisen gilt das Kloster Reichenau zudem als möglicher Ort, wo die an Schönheit und Symbolkraft einzigartige Reichskrone hergestellt wurde.
Politisch gelangte die Reichenau unter Abt Hatto III. (888–913) zu einer einzigartigen politischen Macht.
1540 verlor das Kloster weite Teile seines Besitzes und seine Eigenständigkeit an den Konstanzer Bischof. 1757 wurden die verbliebenen Mönche vertrieben und das Kloster im Zuge der Säkularisation 1803 aufgelöst. Im September 2001 kehrten Benediktiner zurück auf die Insel. Zunächst ein Projekt, wurde die „Cella St. Benedikt“ am 13. Juni 2004 offiziell durch den Erzabt Theodor Hogg OSB als abhängiges Haus der Erzabtei St. Martin zu Beuron kanonisch errichtet.
Eine Insel der Geschichte und der Kultur
Im Jahr 2000 zeichnete die UNESCO die Klosterinsel als Welterbe aus. Die Weltkulturorganisation würdigt die Reichenau als Beispiel für die religiöse und kulturelle Bedeutung der Benediktiner im Mittelalter.
Die drei romanischen Kirchen auf der Insel gelten als bedeutende Zeugnisse der frühmittelalterlichen Architektur. Die von ihrem Ursprung älteste Kirche ist das Münster St. Maria und Markus, die ehemalige Klosterkirche. Der einfache Holzbau wurde noch im 8. Jahrhundert durch einen etwa 40 m langen Steinbau ersetzt und die Gebäude erweitert; Mitte des 9. Jahrhunderts zählte der Inselkonvent bereits 134 Mönche. Sein heutiges Erscheinungsbild erhielt das Münster durch das unter Abt Berno errichtete Westwerk. Es wurde 1048 in Anwesenheit Kaiser Heinrichs III. geweiht. In den Jahren 1236/37 wurde der tonnenförmige normannische Dachstuhl eingebaut; in spätgotischer Zeit kam der gotische Chor dazu.
In der Schatzkammer sind zahlreiche Reliquienschreine und weitere Kultgegenstände aus dem 5. bis 18. Jahrhundert zu sehen.
Die Ende des 9. Jahrhunderts erbaute Kirche St. Georg enthält monumentale Wandmalereien aus dem 10. Jahrhundert: Acht grossflächige Wandbilder im Mittelschiff zeigen die Wundertaten Jesu und gehören zu den frühesten Zeugnissen ihrer Art nördlich der Alpen.
St. Peter und Paul wurde auf den Grundmauern eines karolingischen Vorgängerbaus im 11. Jahrhundert neu errichtet. Das Apsisgemälde zeigt den thronenden Christus, die Apostel und Propheten und ist ein imposanter Ausdruck der Reichenauer Malschule.
Die auf der Insel Reichenau im zehnten und elften Jahrhundert verfasste Handschriften sind ein herausragendes Zeugnis der ottonischen Buchmalerei und gehören seit 2003 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Die Mönche schufen im Auftrag von Kaiser, Königen und Reichsbischöfen mit grosser künstlerischer Begabung, hoher Qualität und Präzision Kunstwerke, die noch heute durch ihre Schönheit faszinieren. Eine der grossen Leistungen der Reichenauer Buchmalerei sind die ausführlichen Miniaturzyklen zum Leben Christi, welche die Malerei der folgenden Jahrhunderte beeinflussten.
Aber auch für die Entwicklung der deutschen Sprache spielten die Bodenseemönche im Mittelalter eine grosse Rolle: Allein acht sogenannte Textdenkmäler des Althochdeutschen und mehr als 40 Wörterbücher vom späten 8. bis ins 11. Jahrhundert sind auf die Reichenauer Schreibschule zurückzuführen. Gemäss der Bamberger Sprachwissenschaftlerin Stefanie Stricker gilt damit die Reichenau als sehr wichtig für das Althochdeutsche und damit auch für die Entwicklung der deutschen Sprache.
Quelle: Swisscath vom 7. Januar 2024