Landauf landab behaupten Feministinnen und Gleichstellungsexperten, die deutsche Sprache diskriminiere Frauen, weil sie diese unsichtbar mache. In den Leitfäden zur sogenannt geschlechtergerechten Sprache, mit denen seit einigen Jahren Fachhochschul- und Universitätsstudenten tyrannisiert werden, sind darum Sätze wie der folgende zu lesen: „Frauen machen gut 50 Prozent der Gesellschaft aus. Was spricht dagegen, dass das auch sprachlich manifestiert wird? Der ausschliessliche Gebrauch der männlichen Form macht Frauen und ihre Leistungen unsichtbar.“ Doch stimmt die Behauptung, die deutsche Sprache mache Frauen unsichtbar, überhaupt? Aus Sicht des österreichischen Germanisten Tomas Kubelik liegt hier ein Irrtum vor. Die feministische Sprachkritik setze nämlich die irrige Annahme voraus, dass grammatikalisch männliche Namenwörter, die wie „Studenten“ oder „Politiker“ gewöhnlich eine gemischtgeschlechtliche Gruppe kennzeichnen, die weibliche Präsenz in diesen Gruppen unterschlage. Kubelik entkräftet die feministische Unsichtbarkeits-These in seinem Buch „Genug gegendert! – Eine Kritik der feministischen Sprache“ (2013) in überzeugender Art und Weise.
„Der Behauptung, die deutsche Sprache mache Frauen und Männer in unterschiedlicher Weise sichtbar, kann durchaus zugestimmt werden, allerdings sieht die Realität ganz anders aus, als von feministischer Seite behauptet. Dort, wo Frauen explizit als Frauen erwähnt werden sollen, ist dies meist mit sehr einfachen Mitteln möglich. Das Deutsche erlaubt es nämlich, bei sehr vielen Wörtern – meist durch das Anhängen der Silbe „-in“ – eindeutig anzuzeigen, dass eine frau gemeint ist: Sklavin, Schriftstellerin, Mörderin, Kundin, Erbin. Linguistin sprechen von der sogenannten Movierung. Eine analoge Möglichkeit zur Hervorhebung des Männlichen bietet die deutsche Sprache hingegen nicht. Nur sehr wenige Wörter bezeichnen eindeutig eine männliche Person, so etwa Kaufmann, Bräutigam, Seemann, Witwer. In den meisten Fällen müssen sich Männer damit abfinden, dass Maskulina beide Geschlechter im gleichen Masse erfassen. Wer etwa fragt, wie viele Studentinnen an einer Universität studieren, erhält die Zahl der dort immatrikulierten Frauen. Wer hingegen die Anzahl der Männer an jener Universität wissen will, muss die umständliche Formulierung wählen: Wie viele männliche Studenten studieren an dieser Universität? Fragt man nach der Einwohnerzahl eines Landes, käme niemand auf die Idee, nur Männer zu zählen. „Wer von den Rechten der Indianer in Nordamerika berichtet, geht nicht davon aus, dass damit nur die Rechte von Männern gemeint sind, sondern schliesst die weiblichen Angehörigen dieser Kultur mit ein“ (Dewald Ulrich). Wenn wir wissen, dass in einer Grundschule 200 Schüler von 18 Lehrerinnen unterrichtet werden, dann kennen wir das Geschlecht der Lehrkräfte, das der einzelnen Kinder aber nicht. Wenn man sagt, Franz Kafka sei im Prager Judenviertel aufgewachsen, zweifelt kein Mensch daran, dass dort auch Frauen wohnten und dass der Bürgersteig auch für sie gedacht war. (…)“ (S. 63 f.)
Die deutsche Sprache macht, so Kubeliks Schlussfolgerung, dort, wo es notwendig ist, Frauen sogar in höherem Masse sichtbar als Männer: „Denn sie hält im Unterschied zu Männern für Frauen eine eigene grammatikalische Form bereit. Ausschliesslich von Männern zu sprechen ist darum viel umständlicher. Der feministische Vorwurf läuft demnach ins Leere. Diese Tatsache war freilich noch nie Anlass für irgendjemanden, damit eine Wertung zu verbinden und eine Benachteiligung zu orten, geschweige denn die Forderung nach einer Umgestaltung der überkommenen Sprachgewohnheiten zu erheben.“ (S. 64)
Von Dominik Lusser