„Was kann ich als Einzelner schon bewirken?“, fragt man sich gelegentlich mutlos angesichts so vieler Probleme und Widerstände. Doch dass eine einzige Person Grosses bewirken kann, bewies kürzlich der US-Senator Joe Manchin. Als einziger Demokrat stimmte er gegen einen Gesetzesentwurf, der Abtreibungen tiefer im Gesetz verankern sollte. Der Entwurf scheiterte daraufhin.
Ein Kommentar von Ursula Baumgartner
Das Papier mit dem beschönigenden Titel „Women’s Rights Protection Act“ (zu Deutsch etwa: Gesetz zum Schutz der Frauenrechte) dient u.a. als Widerstand gegen die geplante Aufhebung von „Roe vs. Wade“. Diese Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1973 ermöglichte Frauen vielfach erst den Zugang zu Abtreibung als „fundamentales und verfassungsmässiges Recht“. Abhängig vom Fortschritt der Schwangerschaft war der Abbruch entweder vollständig freigegeben oder unterlag bestimmten Auflagen. Erst im letzten Drittel der Schwangerschaft konnten die einzelnen Staaten ein Abtreibungsverbot verhängen, es sei denn, das Leben der Mutter war in Gefahr. 20 Jahre später änderte der Oberste Gerichtshof die Rechtsprechung dahingehend, dass nun auch Abtreibungen ab der 23. Woche von den Staaten verboten werden konnten.
Die Stimme eines Einzigen
Der „Women’s Rights Protection Act“ garantiert das Recht auf Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fetus‘ ohne Angabe von Gründen und danach unter der Voraussetzung, dass die Fortführung der Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren einem nicht näher definierten Risiko aussetzen würde. In einer Abstimmung am 11. Mai 2022 sprachen sich nun alle Republikaner gegen den „Women’s Rights Protection Act“ aus, alle Demokraten dafür – alle bis auf Joe Manchin. Ihm ist es zu verdanken, dass der Gesetzesentwurf mit 49 zu 51 Stimmen abgelehnt wurde.
Die Stärke dieses Mannes ist zu bewundern, v.a. wenn man bedenkt, dass der demokratische Senator Chuck Schumer darauf hingewiesen hatte, dass diese Abstimmung ein Stimmungsbild innerhalb der Partei bezüglich der Abtreibungsthematik zeichnen sollte. Er fügte hinzu: „Die Republikaner haben zwei Möglichkeiten. Sie können entweder zugeben, dass sie die Rechte von Frauen zerstören, oder sie können ihren Kurs ändern und sich um Schadensbegrenzung bemühen.“
Den Druck, der wohl auf Manchin gelastet haben dürfte, kann man sich leicht vorstellen – umso mehr, als bei einer Patt-Situation unter den Stimmberechtigten die Vize-Präsidentin der USA die entscheidende Stimme hätte abgeben dürfen. Und man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, in welche Richtung Kamala Harris hierbei wohl tendiert hätte.
Synonyme für Lebensschützer
Harris sieht in dem Versuch, Roe vs. Wade zu kippen, einen Angriff auf die Freiheit von Frauen. Abtreibung setzt sie mit Selbstbestimmung gleich, mit Gesundheitsfürsorge, mit Sicherheit und mit dem Recht auf Privatsphäre. Doch auch die „Leadership Conference on Civil and Human Rights” schlägt Alarm: Fiele Roe vs. Wade, hätten weite Teile der amerikanischen Bevölkerung keinen Zugang mehr zu Abtreibung. Dies stelle eine ernsthafte Bedrohung für die wirtschaftliche Sicherheit, Gesundheit und Würde (tatsächlich ist hier von Würde die Rede …) von Ärmeren, Farbigen, Immigranten, Behinderten und Mitglieder der LGBTIQ-Community dar. Dass letztere in diese Aufzählung Eingang gefunden haben, erstaunt vielleicht, aber bedenkt man, dass die Conference auch nicht das Wort „Frauen“ in den Mund nimmt, sondern von „people who can become pregnant“ (also „Leute, die schwanger werden können“) spricht, wird schnell klar, dass man hier vergeblich nach sachlicher Korrektheit und Logik sucht.
Fakt ist jedenfalls: Positioniert man sich heute gegen Abtreibung und für das Lebenrecht, muss man darauf gefasst sein, als Rassist, Frauenfeind, Ausländerfeind, Behindertenfeind und natürlich als rückständig sowie als homo- und transphob zu gelten.
Manchinieren Sie!
Dass Joe Manchin solche Vorwürfe kalt lassen, ist nicht anzunehmen. Doch er bewies Rückgrat mit seinem Nein zum demokratischen Vorstoss, das „Recht“ auf Abtreibung noch mehr auszuweiten. Damit ist er zum Vorbild geworden, das uns allen dient. Denn schliesslich sollte der Grundsatz gelten: „Every life matters“ – jedes Leben ist wichtig Lassen wir uns also davon ermutigen, in unserem Umfeld für das Recht auf Leben einzustehen, auch wenn man in so mancher Situation der einzige Pro-Lifer am Stammtisch, im Büro, in der Nachbarschaft oder – Gott sei es geklagt – vielleicht sogar in der Pfarrei sein sollte. Every life matters – jeder kann etwas bewirken in seinem direkten Umkreis. Scheuen wir uns also nicht. Manchinieren wir!