Für den renommierten australischen Bioethiker und Philosophen Peter Singer, der seit vielen Jahren unbehelligt am „Zentrum für menschliche Werte“ der amerikanischen Princeton-Universität lehrt, genügt es nicht, Vertreter der Art Mensch zu sein, um Anspruch auf den unbedingten Schutz seines Lebens zu haben. In einem Beitrag in der schottischen Zeitung „The Scotsman“ schreibt er am 15. August 2012:
„Die Abtreibungsgegner wenden ein (…), dass durch die Abtreibung ein lebendiges und einzigartiges menschliches Lebewesen getötet werde. Es ist schwierig, diese Tatsache zu leugnen, zumal dann, wenn man mit dem Wort ‚menschlich‘ einen Vertreter der Art Homo sapiens meint. (…) Ebenso ist es wahr, dass wir die ethische Frage nach dem moralischen Status des Fötus nicht einfach durch den Verweis auf das ‚Wahlrecht‘ der Frau beantworten können. Denn wenn der Fötus wirklich den gleichen moralischen Status wie jedes andere menschliche Wesen hätte, wäre es schwierig zu begründen, warum das Wahlrecht der schwangeren Frau das Recht einschliessen sollte, den Tod des Fötus herbeizuführen; ausgenommen vielleicht für den Fall, dass das Leben der Frau in Gefahr wäre. Der Irrtum des Arguments gegen die Abtreibung liegt vielmehr in der Annahme, dass aus der wissenschaftlich korrekten Aussage, wonach der Fötus ein lebendiges Individuum der Art Mensch ist, die ethische Weisung abgeleitet werden könnte, dass der Fötus das gleiche Recht auf Leben wie jedes andere menschliche Wesen hat.“

Zwar anerkennt Singer hier ganz klar, dass auch ungeborene Kinder Menschen sind, leitet aber daraus unglaublicherweise kein ethisches Verbot der Abtreibung ab. Wie die französisch-niederländische Journalistin Jeanne Smits auf ihrem Lebensrechts-Blog leblogdejeannesmits.blogspot.ch bemerkt, sei für Singer nicht jeder Mensch eine Person mit entsprechenden Personenrechten. Die Kriterien des Personseins seien für ihn vielmehr Bewusstsein und Autonomie. Wer diese Eigenschaften noch nicht besitze oder bereits eingebüsst habe, hätte kein unbedingtes Recht auf Leben und sei der Willkür und den Interessen seiner Umgebung, meistens von Eltern und Verwandten, ausgeliefert. Peter Singer befürworte daher konsequenterweise nicht nur die Abtreibung ungeborener Kinder, sondern auch die Tötung von Kleinkindern sowie die Euthanasie. Letztere habe, wie Smits Singers Position beschreibt, gemäss den Interessen der Verwandten zu erfolgen, deren Leben durch ein menschliches Wesen eingeschränkt und behindert werde, das seine kognitiven Eigenschaften eingebüsst habe.

Hierzu sei angemerkt, dass Singers Position einer fundierten philosophischen Kritik nicht standhält. Denn zum einen sind die Eigenschaften des Bewusstseins und der Autonomie keineswegs eindeutig bestimmt, da die Wirklichkeit zahllose Graduierungen sowohl von Bewusstsein wie auch von Selbstbestimmung aufweist. Auch der Schlafende zum Beispiel, dem Singer wohl kaum den unbedingten Schutz seines Lebens absprechen würde, hat ein vermindertes Bewusstsein. Das gleiche gilt für die Autonomie. Ein vierjähriges Kind ist zwar graduell sehr viel autonomer als ein Säugling, doch würde auch es ohne die Fürsorge seiner Eltern nicht lange überleben. Ebenfalls bedenkenswert scheint in diesem Zusammenhang, dass jede Art von Sucht die freie Selbstbestimmung einschränkt. Schon die in der Wirklichkeit selbst begründete Unschärfe von Singers Kriterien deutet also darauf hin, dass diese für eine Definition, ab wann Menschen als Personen zu gelten haben, nicht taugen.

Eine noch tiefer gehende Kritik an Singers Personenverständnis verweist darauf, dass die vom australischen Bioethiker angeführten menschlichen Eigenschaften – die Akte des Bewusstseins und der freien Selbstbestimmung – unverkennbare Ausdrucksformen einer menschlichen Artnatur sind. Sie machen diese Natur aber nicht aus, sondern sind eben nur deren Äusserungen, die nicht während der ganzen Existenz eines Menschen andauern. Macht man nun aber das Personsein an diesen Äusserungen anstatt an der rationalen Artnatur als der sich durchhaltenden Voraussetzung von Autonomie und Bewusstsein fest, so bestreitet man damit, dass eine menschliche Person eine Kontinuität in der Zeit besitzt. Denn dann wäre ich nach einer Bewusstlosigkeit oder einem Filmriss infolge übermässigen Alkoholkonsums nicht mehr die gleiche Person wie vorher. Doch beweist uns schon die Möglichkeit, sich an vorher erinnern zu können, dass Personalität etwas sich Durchaltendes im menschlichen Leben sein muss. Auch aus dieser tiefergreifenden Perspektive erweist sich also das Vorhaben, das Personsein an diskontinuierlichen Eigenschaften menschlicher Existenz festzumachen, als unhaltbar. Als viel vernünftiger erscheint es da, jedes menschliche Individuum jederzeit als Person mit entsprechenden Rechten anzuerkennen.

Nimmt man aber sinnvollerweise die menschliche Artnatur als entscheidendes Erkennungsmerkmal nicht nur des Menschen, sondern auch der Person, so muss die Entstehung einer neuen menschlichen Person zum Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei und Samenzelle angesetzt werden. Denn die rationale menschliche Natur ist beim Menschen als Individualität stiftendes Lebensprinzip von Anfang an anwesend. Dieses Prinzip, das sich im Übrigen nach einhelliger Meinung einer langen Reihe von Denkern, die von Aristoteles bis Robert Spaemann reicht, nicht auf Materie reduzieren lässt und seit jeher Seele genannt wird, steuert und koordiniert die einheitliche Entwicklung von Gehirn und Organen, tritt mit deren Hilfe schon früh in Interaktion mit der Aussenwelt und befähigt, nach einer langen Phase physischer, psychischer und nicht zuletzt auch moralischer Reifung, zur freien und selbstbewussten Lebensgestaltung. Auch ein kürzlich unter dem Titel „Die Geburt des Ich – Neun Monate, die unser ganzes Leben prägen“ erschienen Spiegel-Artikel bestätigt die Sichtweise, wonach schon die ersten Entwicklungsstadien des Menschen zu seiner individuellen Biographie und somit zu seiner Persönlichkeit gehören. Geht man aber bei der Bestimmung des Personsseins von der Artnatur aus, so ist es eine weitere Selbstverständlichkeit, auch behinderte Menschen, deren natürliches Potential aufgrund eines genetischen oder organischen Defekts nie ganz zur Entfaltung gelangen kann, dem Kreis der Personen zuzurechnen.

Falsch wäre es nun, Singers auf Nützlichkeit fixierten Umgang mit dem menschlichen Leben für eine blosse – und wie eben gezeigt –, nicht sehr durchdachte philosophische Theorie zu halten. Der Einfluss solchen Denkens auf die Gesetzgebung und die öffentliche Meinung ist weltweit gewaltig. Deutlich werde, so Jeanne Smits, der Gedanke, dass das noch nicht selbstbestimmt auftretende menschliche Wesen keine Personenrechte habe, etwa im französischen Aufbewahrungsgesetz für Embryonen. Deren Zerstörung gilt als erlaubt, sofern sie nicht Gegenstand eines „Elternschaftsprojekts“ sind, durch welches dem ungeborenen Kind erst Personenwürde verliehen wird. Doch auch in der Schweiz hat der Umgang mit den Menschen, die ihren Willen noch nicht oder nicht mehr kundtun können, längst barbarische Züge angenommen. In einer Gesellschaft aber, in der nicht objektive Tatsachen, sondern Willkür über Leben und Tod entscheiden, ist niemand sicher, nicht früher oder später selbst einer Gruppe von Menschen anzugehören, denen das Recht auf Leben abgesprochen wird.

Bedenkenswert scheint aber auch die Frage, wie Peter Singer als Sohn von Wiener Juden, die während der NS-Zeit nach Australien auswandern mussten und mehrere Familienmitglieder im Holocaust verloren haben, solche Auffassungen vertreten kann?

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Von Dominik Lusser