Jahrelang hat sich die Bildungspolitik fast ausschliesslich mit Strukturfragen, Schulprogrammen, neuen Bildungsinhalten und Integrationsfragen befasst. Dabei geriet in Vergessenheit, dass es vor allem engagierte Lehrerpersönlichkeiten braucht, um eine gute Schule führen zu können.
Von Hanspeter Amstutz
Jetzt haben wir die Quittung für diese Desorientierung in Form eines eklatanten Lehrermangels, dessen trauriger Höhepunkt uns erst noch bevorsteht. Was ist nur los, dass vor allem junge Männer nichts mehr vom Lehrerberuf wissen wollen? Offenbar hat sich das Bild der Lehrerpersönlichkeit bei der jungen Generation stark gewandelt. Die Vorstellung, als Lehrerin oder Lehrer eine Klasse in voller Verantwortung führen zu können, ist ersetzt worden durch das Bild des Teamplayers, der in Zusammenarbeit mit andern Lehrpersonen individualisierend unterrichtet.
Zur Zeit der seminaristisch geprägten Lehrerbildung sah dies noch ganz anders aus. Neu in den Schuldienst eintretende Lehrerinnen und Lehrer freuten sich riesig, endlich eine Klasse übernehmen zu dürfen. Die stofflichen Ziele waren gegeben und steckten das weite Feld der Gestaltungsmöglichkeiten klar ab. Damit bestand von Anfang an ein grosser unternehmerischer Spielraum. Didaktischen Dogmen, welche heute überall den Unterricht beeinflussen und die Klassenführung erschweren, waren verpönt. Frontalunterricht galt nicht als pädagogische Todsünde und keine staatliche Fachaufsicht gab vor, nur wer individualisierend unterrichte, verstehe etwas von Pädagogik.
Gemessen wurde man am schulischen Erfolg und an der täglichen Erziehungsarbeit, die man leistete. Neue Methoden wurden von den Behörden mit Interesse verfolgt, aber man musste als Lehrer beweisen, dass sie zum Ziel führten. Wer diese Grundanforderungen erfüllte, wurde respektiert und meist wohlwollend beurteilt. Erfahrene Kollegen standen einem mit Ratschlägen zur Seite und stellten hervorragendes Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Aber die Verantwortung der Klassenführung und der Mut, eine eigene pädagogische Linie zu finden, blieben Sache jeder einzelnen Lehrperson.
Und heute? Am besten kann man die Veränderungen des Lehrerbilds beim Ausbildungsprogramm der Pädagogischen Hochschulen ablesen. Das neue, schmale Fächerprofil für Sekundarlehrpersonen umfasst nur noch vier Fachbereiche. Dies hat zur Folge, dass besonders auf den unteren Stufen der Sekundarschule die Klassenführung enorm erschwert wird. Deutsch und Mathematik sowie eine Reihe weiterer Fächer können nicht mehr von der gleichen Lehrperson erteilt werden. Dieses Aufspalten des Kernbereichs verunmöglicht das ganzheitliche Arbeiten in zusammenhängenden Unterrichtsblöcken weitgehend. Bei Stundenplänen, die Flickenteppichen aus Einzel- und Doppelstunden gleichen, kann sich pädagogischer Unternehmergeist kaum noch entfalten.
Noch immer möchten die meisten jungen Studierenden ihre Schullaufbahn als eigenverantwortliche Klassenlehrkraft beginnen. Doch die Pädagogischen Hochschulen trauen dies den jungen Lehrpersonen für die Sekundarschule nicht mehr zu. Viel lieber zeichnet man das Bild äusserst schwieriger Jugendlicher in den B-Klassen und hofft, dass kooperierende Dreierteams samt zusätzlichem Fachpersonal den heutigen Herausforderungen besser gewachsen seien. Die spezialisierten Fächergruppenlehrkräfte sollen als Kollektiv für die Klassenführung verantwortlich sein.
Bezeichnend für dieses Konzept der Mutlosigkeit ist, dass viele Neueinsteiger nur noch teilzeitlich arbeiten möchten. Es erstaunt deshalb nicht, dass an der Oberstufe immer mehr Teilzeitangestellte unterrichten. Verlierer dieser Entwicklung sind all die vielen Jugendlichen, die erzieherisch gut begleitet werden müssten. Das darf nicht länger hingenommen werden. Der pädagogische Notstand verlangt eine Aufwertung der Klassenlehrerausbildung. Wer als engagierte und fachlich kompetente Klassenlehrperson mit zwanzig Jugendlichen im gleichen Boot sitzt, versteht junge Menschen am besten und kann sie sicher zum Ziel führen.
Schule sollte nicht langweilig sein. Schülerinnen und Schüler haben Anrecht auf einen attraktiven Unterricht. Mindestens eine Lektion an einem Unterrichtsmorgen müsste ein stofflicher Höhepunkt sein, auf den sich alle freuen. Jeder erfolgreiche Unternehmer hat irgendwo seine ganz starken Seiten. Dies gilt genauso für engagierte Lehrpersonen. Wir alle kennen Lehrpersönlichkeiten, die uns begeistern konnten, sei es in spannenden Geschichtslektionen, bei Entdeckungen in der Welt der Biologie oder in besinnlichen Gedichtstunden. Leider stellen die Pädagogischen Hochschulen die praxisbezogene Förderung der Lehrerpersönlichkeit nicht ins Zentrum ihres Ausbildungskonzepts. Offenbar ist es wichtiger, dass die Studierenden mit unzähligen akademischen Abhandlungen die nötige Punktzahl für den Masterabschluss erreichen als schulnahe Bildungsinhalte gründlich kennen zu lernen.
Was nicht unerwähnt bleiben darf, ist der staatsbürgerliche Aspekt. Was für Lehrerinnen und Lehrer wollen wir eigentlich? Unsere demokratische Gesellschaft ist auf kritisch denkende, verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Unternehmerisch handelnde Lehrpersonen prägen junge Menschen durch ihre Vorbildfunktion in hohem Mass. Wenn von einer Lehrperson zielgerichtetes Engagement, verbunden mit verlässlicher Fairness täglich gelebt wird, entsteht ein tragendes gesellschaftliches Fundament für unsere Zukunft. Lehrerpersönlichkeiten treten für ihre Überzeugungen und Werte ein und lassen sich nicht durch jede so genannte wissenschaftliche Studie gleich ins Bockshorn jagen.
Unternehmerischer Geist ist offen für Neues und wagt sich immer wieder in unbekannte Gebiete vor. Pädagogische Unternehmer merken aber rechtzeitig, wenn sie über die Köpfe der Schüler hinweg unterrichtet haben und eine Kurskorrektur vornehmen müssen. All das macht sie letztlich als Lehrerinnen und Lehrer glaubwürdig.