Jährlich am 11. Februar findet der „Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft“ statt. Doch geht es bei einem solchen Tag um das volle Ausschöpfen des eigenen Potenzials ohne unnötige Grenzen oder um das Durchsetzen und Erreichen von Quoten? Ersteres erfüllt, macht zufrieden und lässt Frauen all das werden, was sie sein können. Letzteres führt zu eifersüchtigem Abzählen von Quotenplätzen, zu Neid, Unzufriedenheit und Wut.
Kommentar des Monats von Ursula Baumgartner
Mit einem solchen Gedenktag, wie er 2015 von den Vereinten Nationen beschlossen wurde, möchte man die Leistung von Frauen in Wissenschaft und Forschung zu würdigen und weitere Frauen und Mädchen zu ermutigen, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. So weit, so gut. Doch zeigen einige Aussagen zu diesem Tag, dass es damit nicht getan ist. Glaubt man nämlich z.B. manch einer Universität, so liessen sich so ziemlich alle Probleme, die die Welt belasten, durch einen höheren Anteil an Frauen in der Wissenschaft lösen.
Die Angst vor Stereotypen …
„Weltweit geht viel Forschungspotenzial verloren, da zu wenige hoch qualifizierte und gut ausgebildete Frauen in der Forschung arbeiten.“ beklagt die UNESCO. Man darf etwas ketzerisch fragen: Ist das so? Oder soll dieser Satz nur Wut und Unzufriedenheit schüren? Müsste man hier nicht ausnahmsweise tatsächlich einmal den geschlechterübergreifenden Begriff „Personen“ verwenden? Denn in Anbetracht der grossen Zahl an Kindern weltweit, die keine Chance auf Schulbildung haben, geht mit Sicherheit sehr viel Forschungspotenzial verloren – seitens der Mädchen und seitens der Jungen.
Die UNESCO analysiert weiter: „Ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Ungleichheit in den Wissenschaften ist der Abbau der Hindernisse für Mädchen und Frauen im privaten Umfeld sowie im Unterricht und am Arbeitsplatz. Dies erfordert eine Änderung unserer Einstellungen und ein in Frage stellen von Stereotypen; starke Vorbilder spielen eine wichtige Rolle.“ An vielen weiterführenden Schulen sind z.T. weit mehr als 50 Prozent der Lehrer in naturwissenschaftlichen Fächern weiblich. Schüler machen also durchaus bereits Erfahrungen mit weiblichen Vorbildern in diesen Bereichen. Und so liegt auch heute schon vielfach, wenn nicht hauptsächlich, die Verantwortung, das naturwissenschaftliche Interesse künftiger Forscher und – ja, natürlich! – Forscherinnen zu wecken, zu nähren und zu fördern, in der Hand von Frauen. Auch darf man sich fragen, welche Einstellung geändert werden muss. Gibt es heute tatsächlich Menschen, die sich z.B. nicht von einer Ärztin behandeln lassen würden? Ein solches Vorkommnis würde berechtigtermassen sofort Empörung in den Medien auslösen und ginge nicht durch. Seit dem Jahr 2000 wurden 31 Frauen mit einem Nobelpreis geehrt. War hier irgendwo Überraschung zu bemerken, aus der man schliessen könnte, dass man es Frauen nicht zutrauen würde, Forschung zu betreiben oder dass man ihnen den Erfolg nicht gönnen würde? Welche Einstellung erfordert also eine Änderung?
… und der Kampf gegen Hindernisse
In ihrer tieferen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist auch die Forderung nach dem „Abbau der Hindernisse für Mädchen und Frauen im privaten Umfeld“. Was ist denn das hauptsächliche „Hindernis“ im privaten Umfeld einer Frau, was ihre Berufsausübung angeht? Ganz klar: ein Kind. Und ja, natürlich fürchten viele Arbeitgeber die Situation, dass eine wertvolle Arbeitskraft über Monate oder Jahre wegen Schwangerschaft und der anschliessenden Geburt eines Kindes ausfällt. Frauen, die in naturwissenschaftlichen Laboratorien oder in Krankenhäusern arbeiten, fallen dabei häufig sogar länger aus, da sie aufgrund der Infektionsgefahr oder der Gefahr durch Kontakt mit Chemikalien während der Schwangerschaft Berufsverbot erhalten. Dass dies eine schwierige Situation für einen Arbeitgeber ist, ist leicht nachzuvollziehen. Betrachtet man die nationalen und internationalen Bestrebungen, Abtreibung immer liberaler zu regeln, ist es wohl nicht übertrieben oder paranoid, anzunehmen, dass diese längst auch als Mittel zum „Abbau der Hindernisse“ bei der „Gleichberechtigung“ gilt. Doch wenn das „unterscheidend Weibliche“, nämlich die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, offensichtlich eliminiert werden muss, weil es ein Hindernis auf dem Weg zur „Gleichberechtigung“ darstellt, dann ist das Konstrukt als Ganzes zutiefst antifeministisch.
Die wissenschaftliche Exzellenz
Die Universität Münster verkündet: „Gleichberechtigung und wissenschaftliche Exzellenz gehen Hand in Hand.“ Man darf auch hier wieder fragen: Ist das so? Oder sind das zwei Paar Stiefel, die da zusammengepackt werden und die diesen Tag letztlich ideologisch aufladen? Das eine hat mit dem anderen nicht notwendigerweise etwas zu tun. Ja, mehr noch: Dieser Satz kann sogar völlig falsch sein. Wenn man nämlich Gleichberechtigung nur dadurch erreicht, dass man Unterschiede zwischen den Geschlechtern (wie z.B. typische Interessenslagen oder körperliche Unterschiede wie z.B. bei der Fortpflanzung) komplett ignoriert oder sogar aktiv leugnet, steht es um Exzellenz der Wissenschaft nicht allzu gut. Wissenschaftliche Exzellenz wird erreicht, wenn Fachmänner und Fachfrauen sich mit grossem Interesse, Neugier, Geduld, Frustrationstoleranz, Offenheit und einer gewissen Portion Demut, kurz: mit Hingabe alten und neuen Forschungsfragen widmen. Sie wird erreicht, wenn die Frage, was erforscht wurde, wichtiger ist als die Frage, wer es erforscht hat. Doch sie ist keine Frage von Quoten.
Die Universität Stuttgart versteigt sich gar zu folgender Hoffnung: „Mehr Frauen an der Universität sind ein Potential, um die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wie die Covid19-Pandemie, den Klimawandel und den Umstieg auf erneuerbare Energien zu bewältigen.“ Und nochmal sei die Frage gestellt: Ist das so? Oder, man verzeihe die Süffisanz, wollte da jemand möglichst viele Reizthemen in einem einzigen Satz unterbringen?
Natürlich ist auch das Gegenteil nicht wahr. Weniger Frauen an der Universität lösen diese Probleme auch nicht. Doch mit all diesen völlig unbewiesenen Behauptungen erreicht man zweierlei: Zum einen kann man jeden, der die Notwendigkeit eines solchen Gedenktages in Zweifel zieht oder hinterfragt, als wissenschaftsfeindlich und fortschrittsfeindlich abtun, ja, auch als „Klimaleugner“ oder „Covidiot“, obwohl das ursächlich nicht das Geringste miteinander zu tun hat. Zum anderen aber artet dadurch ein solcher Tag, der ja an sich eine gute Idee ist, wieder einmal in einen Kampf der Geschlechter aus, in dem das Patriarchat gegeisselt wird, auch ohne es explizit so zu nennen. Männer, die scheinbar mühelos und massenweise hoch geachtete, gut bezahlte Positionen besetzen, werden einmal mehr zum Feindbild der Frau von heute gemacht, ohne dass in irgendeiner Weise daran gedacht wird, dass auch für die Herren der Schöpfung solche Positionen nicht auf Bäumen wachsen, sondern dass nur sehr wenige die Ränge erreichen, für die eine Frauenquote gefordert wird.
Brauchen wir diesen Tag?
Ist ein solcher Tag also heute noch notwendig? Ich schreibe diesen Artikel als Frau, die ohne Widerstände Abitur machen und danach ein Studium der Naturwissenschaften absolvieren konnte. Insofern: Ja, natürlich profitiere ich von den Errungenschaften meiner Vorkämpferinnen der vorangegangenen Generationen. Aber der hier diskutierte Gedenktag, der 2016 zum ersten Mal begangen wurde, ist damit nicht gerade ein Zeitzeugnis aus der Ära der Suffragetten. Wenn also auch heute noch eine ungleiche Verteilung von Männern und Frauen in bestimmten Berufsfeldern zu verzeichnen ist, liegt es vielleicht weniger an Chancenungleichheit als vielmehr an ungleich verteilten Interessen zwischen den Geschlechtern.
Das einzige Ziel, das ein solcher Tag heutzutage haben sollte, ist die Ermutigung eines jedes jungen Menschen unabhängig vom Geschlecht, sich ungeachtet der Konventionen mit seinen Fähigkeiten und Talenten auseinanderzusetzen und sich frei für die Laufbahn zu entscheiden, die ihm am besten liegt – ohne diesen Tag sozialpolitisch aufzuladen. Damit legt man wirklich den Grundstein für wissenschaftliche Exzellenz und die Lösung aktueller und zukünftiger Probleme jedweder Natur.