Stellen Sie sich vor, Sie sind Gynäkologe. Bei einer schwangeren Patientin diagnostizieren Sie eine schwere Behinderung des Kindes: Alle Anzeichen deuten auf das Prune-Belly-Syndrom hin. Umso überraschter sind Sie, als Sie das Ungeborene als weiblich erkennen, schliesslich betrifft dieses Syndrom zu 95 Prozent Jungen.

Stellen Sie sich vor, Sie sind diese schwangere Patientin, deren erste beiden Töchter gesund zur Welt kamen und deren dritte Schwangerschaft bis zum vierten Monat unauffällig verlief. Nun werden Sie plötzlich mit der Diagnose konfrontiert, dass Ihre dritte Tochter unter einer schweren Krankheit leidet, bei der sich die Bauchmuskulatur nicht oder nicht vollständig entwickelt. Dadurch wird sie motorisch schwer eingeschränkt sein, vielleicht kann sie niemals laufen. Ausserdem droht ein Nierenschaden, da sich der Urin in der Blase wegen einer fehlenden Harnröhre teilweise bis in die Nieren zurückstaut. Somit ist zu erwarten, dass das Kind früher oder später auf Dialyse, dann auf eine Spenderniere angewiesen sein wird.

Als Arzt raten Sie der Patientin, das Kind abzutreiben. Ein so schwer krankes Kind auszutragen, erscheint Ihnen ethisch nicht vertretbar. Als Mutter widersetzen Sie sich dem Arzt, auch als er ankündigt, Sie nicht weiter zu unterstützen.

Als Arzt stehen Sie dieser Entscheidung verständnislos gegenüber. Das Kind hat höchstwahrscheinlich schwere Missbildungen und ein Nierenversagen ist absehbar. Warum nicht ihm das Leid ersparen und sein Leben beenden, solange es der gesetzliche Rahmen noch erlaubt? Als Mutter fühlen Sie sich unter Druck gesetzt, als bereits vorgeburtlich ein Eingriff zur Entlastung der Blase notwendig ist, den der Arzt verweigert. Will denn niemand Ihrer Tochter eine Chance geben?

Jahre später überlegen Sie als Arzt, ob es richtig war, den Eltern zur Abtreibung zu raten. Ja, es war richtig, sind Sie überzeugt, auch wenn Sie wissen, dass das Mädchen, um das es damals ging, inzwischen acht Jahre alt ist, in die Regelklasse geht und fleissig mit dem Rollator trainiert, um eines Tages laufen zu können. Es war richtig, denn von einer so guten Prognose hätte damals niemand zu träumen gewagt.

Malea ist der Name der jungen Kämpferin, über deren Geschichte der „Nebelspalter‟ am 22. März 2022 berichtete. Welche Schwierigkeiten ihre Eltern überdies zu überwinden hatten und was ihnen die Kraft gab, sich für ihr Kind, trotz aller Prognosen, zu entscheiden, wird in dem Artikel eindrucksvoll dargestellt. Die Geschichte zeigt, wie Eltern um ihr heute lebensfrohes Kind kämpfen mussten und wie wenig selbstverständlich ein Leben mit Einschränkungen heute akzeptiert und als lebenswert anerkannt ist. Dabei wird gerade bei solchen Beispielen klar, wie sehr Eltern in solchen Situationen Hilfe benötigen und Menschen, die ihnen zeigen, wie wertvoll ein Leben auch mit Behinderung ist.

Für Eltern in unsicheren Situationen gibt es verschiedene Hilfsangebote in der Schweiz. Einen Überblick gibt es z.B. hier: Hilfe für Betroffene

Zum Artikel des Nebelspalters: Nur mit Glück am Leben