Flugangst, Panik im Aufzug, Spinnenphobie – Ängste sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Diesen Ängsten ist der Mensch nicht schutzlos ausgeliefert. Er kann etwas dagegen unternehmen. Das ist die gute Nachricht.
Von Ralph Studer
Ängste sind grundsätzlich nichts Schlechtes, sondern überlebensnotwendig. Ohne sie würden wir im reissenden Fluss ertrinken, vom hohen Baum stürzen oder blind jedem Bösewicht vertrauen. Jedoch ist es wichtig, zu unterscheiden. Es gibt leider auch sogenannte „irreale Ängste“, die nicht sein müssen und unser Leben erschweren. Von solchen Ängsten ist fortan im Artikel die Rede. Besonders verbreitet sind Tierphobien, Höhenangst und Klaustrophobie, also Angst in engen Räumen. In manchen Fällen entwickeln Betroffene Strategien, mit dieser Angst ausreichend umzugehen, und dies ohne professionelle Hilfe.
Nicht schicksalhaft
Wie das Universitätsspital Zürich schreibt, sind Menschen mit schwierigen Kindheitserfahrungen und vielfältigen Belastungen im Leben mehr gefährdet. Genetische Faktoren können die Entstehung von Ängsten zusätzlich begünstigen. Auch Menschen mit wenig sozialen Beziehungen sind häufiger betroffen.
Doch Ursachen und deren Auswirkungen müssen unser Leben nicht schicksalhaft bestimmen. Wichtig ist, dass sich der Mensch nicht seinen irrationalen Ängsten unterwirft, sondern „sich zur vollen Grösse seines Menschseins aufrichtet“, wie es Professorin und Psychotherapeutin Dr. Elisabeth Lukas ausdrückt. Lukas ist die bekannteste Schülerin von Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie (sinnzentrierte Psychotherapie). Und hierfür hilft eine innere Distanzierung von sich selbst zur Angst: Ich habe zwar Angst, aber ich bin nicht meine Angst. So gelingt es der Person, sich über ihre Angst zu stellen und ihr „den Wind aus den Segeln zu nehmen“, wie es Frankl formulierte.
Der Personkern ist heil
Sein Leben in Fülle zu leben, kann ein wirksamer Faktor sein, um der Entstehung allfälliger Ängste etwas entgegenzusetzen. Solange der Mensch eine Aufgabe hat und die Chancen nutzt, die ihm das Leben bietet, „findet die Angst keinen Anhalt in unserer Seele“, schreibt Lukas.
Selbst seelisch kranke Menschen, denen das Leben schwere Wunden geschlagen hat und die lange den falschen Weg gegangen sind, können solchen Ängsten trotzen. Lukas ist überzeugt, dass auch der seelisch kranke Mensch einen „heilen Personkern“ hat, der nicht beschädigt ist. „Wir können unbeirrt darauf bauen“, so die Psychotherapeutin, „dass geistige Potenziale im Menschen vorhanden sind und sich – sein Bewusstsein vorausgesetzt – auch entfachen lassen.“
Sinn erkennen
Dieses geistige Potenzial kann der Mensch am besten dann aktivieren, wenn er „einen Sinn erkennt, wofür es wichtig ist, dass er sich aufrafft, dass er sich eine letzte Chance gibt, dass er sich noch einmal überwindet, dass er versucht, sämtliche Kräfte, die er hat, noch einmal zu mobilisieren und etwas in sich zu verändern“, so Professorin Lukas. Sie widerspricht dezidiert der Ansicht, dass der Mensch festgelegt sei und gar nicht anders könne: „Das ist ein anthropologischer Irrtum.“
Heilsamer Ausweg
Hier sind wir bei einem zentralen Punkt angelangt. Der Mensch hat selbst in schwierigen Lebenssituationen und Ängsten die Wahl. Er hat die Freiheit, aber auch die daraus fliessende Verantwortung. Er ist nicht einfach nur Opfer seiner Umstände, sondern kann sein Leben aktiv gestalten. Rekapituliere ein Patient sein Leben, enthüllten sich nach Lukas „auch diejenigen Phasen, in denen er über sich hinausgewachsen ist, in denen er etwas völlig Unerwartetes getan hat, in denen er seinem Leben eine Wende gegeben hat.“
Verweist man auf diese Phasen, fördert das ermutigende „Das schaffen Sie wieder!“ einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft. Was dem Betroffenen in der Vergangenheit gelang, kann ihm auch jetzt wieder gelingen.
Andere Fragestellung kann zu einer Wende führen
Zentral in solchen schwierigen Lebenssituationen ist die Art der Fragestellung. Die Frage nach dem „Warum“ nimmt Kraft und Lebensenergie, die Frage nach dem „Wofür“, nach dem „Wozu“ hingegen schenkt Freiheit und Perspektive. Dieser gewichtige Unterschied kann das eigene Leben grundlegend verändern. In diesem „Wozu“ liegt die entscheidende Erkenntnis und Wahrheit. Wofür lohnt es sich, alle Kräfte nochmals zu mobilisieren, und einen Neuanfang zu wagen?