Der Bundesrat zeigt Haltung, zum Entsetzen jener, die immer damit gerechnet haben, dass er nachgeben werde.

Von Dominik Feusi, Mitarbeit Serkan Abrecht

Von einem zweiten „EWR-Moment” war vor der grossen Pressekonferenz die Rede. Und was dann um Viertel nach drei bei den Journalisten unter Embargo eintraf, hatte genau diese Dimension.

„Das Institutionelle Abkommen Schweiz-EU wird nicht abgeschlossen”, schrieb der Bundesrat in dicken Lettern über seine Medienmitteilung. Noch deutlicher wurde er in seinem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Da steht schon im dritten Absatz kurz und knapp: „Es ist besser, die laufenden Verhandlungen zu beenden”.

Klar und deutlich

Wer – je nach Standpunkt – gehofft oder befürchtet hatte, der Bundesrat würde irgendwelche abgeschwächten Formulierungen mit Interpretationsspielraum wählen, sah sich getäuscht. Dieses Ende ist klar und deutlich.

Nach sieben Jahren Murkserei hat der Bundesrat damit reinen Tisch mit der EU gemacht. Er will lieber ein Ende mit möglicherweise Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Verantwortlich dafür sind die institutionellen Fragen des geplanten Abkommens: die Übernahme von EU-Recht, die Streitschlichtung mit dem Europäischen Gerichtshof, die Überwachung durch die EU-Kommission und die Super-Guillotine.

Fünf Chefunterhändler

Die Schweiz ist das grosse Problem einer institutionellen Annäherung, die Souveränitätsfrage über alle die Jahre nie losgeworden. Zwei Bundesräte und fünf Chefunterhändler haben es vergeblich versucht und sowohl der Öffentlichkeit wie auch der EU-Kommission so getan, als würden sich diese Fragen irgendwann in Luft auflösen.

Der Entscheid im Bundesrat war dem Vernehmen nach klar. Es sei nicht einmal abgestimmt worden, heisst es aus dem Umfeld der Regierung. Bundespräsident Guy Parmelin betonte, der Bundesrat habe den Entscheid als Kollegium gefällt. „Das war immer so und wird noch lange so bleiben.”

„Nachteile in Kauf nehmen”

Und nun? Die EU-Kommission reagierte erbost. Ihre Drohkulisse steht. Der Bundesrat sei sich bewusst, dass die EU möglicherweise Massnahmen ergreife, sagte Bundesrat Cassis. „Wir werden gewisse Nachteile in Kauf nehmen.” Aber man werde wieder vernünftiug werden und „gut und eng zusammen arbeiten”.

Der Bundesrat wiederum betonte mehrfach, er wolle den bilateralen Weg weiterführen. Er hat dafür drei Massnahmen beschlossen. Erstens bietet er der EU einen politischen Dialog an, zweitens will er dem Parlament empfehlen, den Kohäsionsbeitrag zu deblockieren und ihn trotz Diskriminierungen der Schweiz bezahlen und drittens will er das schweizerische Recht „wo sinnvoll” (Bundesrätin Karin Keller-Sutter) dem EU-Recht angleichen.

Das ist alles nicht wahnsinnig überzeugend. Der politische Dialog dürfte nicht viel mehr bringen als schon bekannt ist. Ob der Kohäsionsbeitrag im Parlament und womöglich vor dem Volk eine Chance hat, wenn die EU wie angekündigt „sachfremde und kontraproduktive Verknüpfungen” (Bundesrat Ignazio Cassis) macht, ist mehr als fraglich. Und wozu die Schweiz ihr Recht jenem der EU angleichen soll, wenn sie sich dafür nichts als Regulierungskosten einhandelt, dürfte noch zu reden geben.

Kein „schwarzer Mittwoch”

Ein Journalist bezeichnete den Entscheid des Bundesrats wiederum als „schwarzer Mittwoch”, eine Anspielung auf die Aussage von Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz als der EWR-Beitritt an der Urne abgelehnt wurde. „C’est un dimanche noir”, sagte er 1992. Bundespräsident Guy Parmelin (SVP) findet den Vergleich aber höchst unpassend. „Man muss jetzt nicht so tun, als ob die Schweiz sich abgekoppelt hätte”, ergänzte Karin Keller-Sutter sichtlich genervt.

Grosser Jubel kommt naturgemäss von der SVP: „Sieg für die Selbstbestimmung und die direkte Demokratie der Schweiz”, heisst es in einer ersten Mitteilung. Die SVP nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich der jahrzehntelange Kampf gelohnt hat.” Das Institutionelle Abkommen mit der EU hätte einen massiven Souveränitätsverlust für die Schweiz bedeutet – und die direkte Demokratie ausgehebelt. „Heute ist endlich auch der Bundesrat zur Einsicht gekommen, dass die Verhandlungen zu diesem Unterwerfungsvertrag abzubrechen sind.”

Wut bei den EU-Turbos

Wütend klingt es bei den Grünliberalen: „Nachdem der Bundesrat das Europadossier jahrelang konzept- und führungslos vor sich hinschob, hat er heute den grossen Scherbenhaufen produziert. Er nimmt den Zerfall der bilateralen Beziehungen zur Europäischen Union mutwillig in Kauf”, schreiben Fraktionspräsidentin Tiana Moser und Parteipräsident Jürg Gossen. Mit weniger Schaum vor dem Mund spricht man bei der Mitte: „Heute hat der Bundesrat entschieden, die Verhandlungen mit der EU für ein institutionelles Rahmenabkommen zu beenden. Die Mitte nimmt diesen Entscheid zur Kenntnis. Jetzt gilt es, die Sozialpartnerschaft, die unnötig destabilisiert wurde, wieder zu stärken.”

Die SP bedauert den Entscheid und wiederholt, sie hätte bei der Unionsbürgerrichtlinie nachgegeben, um dann den Lohnschutz zu retten. Ein Vorschlag, der die Zerrissenheit der Partei offen zur Schau stellt und von Brüssel vermutlich abgelehnt worden wäre. „Bedauern und Besorgnis”, äussert die FDP ob dem Entscheid. Die EU habe es „aus ideologischen Gründen versäumt, den Schweizer Interessen entgegenzukommen.”

Zufriedene Sozialpartner

Einig hinter dem Bundesrat stehen dafür die Sozialpartner. Ein „Akt der Vernunft” sei der Entscheid, heisst es beim Gewerbeverband. Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund begrüsst den Entscheid. Er stehe für gute und geregelte Beziehungen mit der EU. „Doch der Preis eines Verhandlungsabschlusses über dieses Rahmenabkommen wäre für die Arbeitnehmenden in der Schweiz zu hoch gewesen.”

Auch im benachbarten Deutschland schlägt die Nachricht des Verhandlungsabbruchs ein wie ein Blitz: „Die Schweiz sägt an der Brücke nach Europa”, schreibt beispielsweise die „Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Weshalb die EU eine Brücke nach Europa sein soll, wird nicht beantwortet. Auch die ARD und ZDF berichten: „Schweiz lässt Rahmenabkommen mit der EU platzen”, heisst es da.

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 26. Mai 2021 bei dem liberalen Schweizer Onlineportal www.nebelspalter.ch.