In ihrem Buch „Säen bei Nacht“ beschreibt Marita Lanfer aus der Perspektive einer Lehrerin mit grossem Engagement, welche Lehren wir für die Erziehung aus dem selbstlosen Einsatz der Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in unserer Gegenwart ziehen können und sollten.
Von Gabriele Kuby
„Volk“, „Nation“, „Vaterlandsliebe“, „preussische Tugenden“, „Ehre“, „Pflicht“ – diese Begriffe in ihrem sinngebenden Kontext positiv zu gebrauchen, kommt einer vorsätzlichen Selbst-Cancellation aus dem öffentlichen Diskurs gleich. Aber gerade sie bezeichnen die Werte und Ideale, die Zehntausende Deutsche dazu gebracht haben, gegen das nationalsozialistische Verbrecherregime aufzustehen, sei es mit einem verweigerten Hitlergruss oder einer militärischen Verschwörung, und dafür ihr Leben zu opfern.
Die „deutsche Schuld“, als singulär in der Weltgeschichte eingestuft, ist zum zentralen Merkmal deutscher Identität geworden. Der mit über einer Milliarde staatlich finanzierte „Kampf gegen Rechts“ erscheint den Heutigen als Bewältigungsstrategie dieser Schuld und wird im Selbstverständnis etwa der Antifa als „Mut“ und heroischer Widerstand verbucht. Ein naiver Betrachter der Geschichtsläufe würde vermuten, dass ein Volk, welches sich ununterbrochen der furchtbaren Verbrechen der Nazi-Diktatur anklagt, jenen Denkmäler setzt, die im Kampf gegen diese Diktatur ihr Leben gelassen haben – in den Geschichtsbüchern, Filmen, Strassennamen, Gedenktagen, Museen. Er würde vermuten, dass sie der nachwachsenden Generation als Vorbilder nahegebracht würden, damit auch sie die Kraft aufbringen könnten, die Freiheit in der Gegenwart zu verteidigen, denn Freiheit ist immer bedroht und muss von jeder Generation neu errungen werden. Aber weit gefehlt! Wer an die Werte der Widerstandkämpfer erinnert, läuft Gefahr, als politisch unkorrekt betrachtet zu werden, und bringt den, der sich trotzdem erinnert, in den Verdacht der Rechtslastigkeit.
Diesem Risiko setzt sich Marita Lanfer, Autorin des Buches „Säen bei Nacht – Der Deutsche Widerstand als Auftrag zur Erziehung‟, unerschrocken aus. Sie schreibt: „Es ist paradox. Was die hier vor Augen geführten Persönlichkeiten des Deutschen Widerstandes an Prägungen und Überzeugungen zu ihrer vorbildlichen Haltung in politisch dunkelsten Jahren führte, würde ihnen heute mehr oder weniger als Beweis einer nicht gänzlich überwundenen nationalsozialistischen Einfärbung ausgelegt.“ Dieses Paradox ist Ausdruck des pathologischen Selbstverständnisses der Deutschen, die ihr Geschichtsbewusstsein auf die zwölf Jahre der Nazi-Diktatur beschränken.
Marita Lanfer war Lehrerin und leidenschaftlich am Wohl ihrer Schüler interessiert. 40 Jahre lang hat sie den beispiellosen Niedergang des deutschen Bildungssystems miterlebt. Sie litt mit ihren Schülern, die in den zerbrochenen Familien und den „Pippi Langstrumpf-Schulen“ keinen Halt, keine Orientierung, keine Charakterbildung, keine Vorbilder mehr fanden, und wagt es mit diesem Buch, Ihnen die Männer des Deutschen Widerstandes als Vorbilder vor Augen zu führen. Was hat diese Männer geprägt? Was waren ihre Kraftquellen? Wie war es möglich, dass sie mit erhobenem Haupt, ja triumphierend in den Tod gingen? Triumphierend, weil sie sich dem, was ihnen ihr Gewissen gebot, rückhaltlos ausgeliefert hatten.
Wer kennt noch die Namen: Philipp Freiherr von Boeselager, Henning von Tresckow, Ewald von Kleist-Schmenzin, Graf Schulenburg, Adam von Trott zu Solz, Hans von Wedemeyer, Peter Graf Yorck von Wartenburg, Carl Dietrich von Trotha, Hans von Dohnanyi, Justus Delbrück, Carl-Hans Graf von Hardenberg, Dietrich Bonhoeffer, Klaus Bonhoeffer, Ernst von Borsig, Julius Leber, Pater Alfred Delp und Pater Rupert Mayer? Allenfalls dürften noch die Geschwister Scholl und Graf von Stauffenberg einen Schimmer der Erinnerung auslösen. Fast alle namhaften Widerstandskämpfer entstammen dem Adel und dem Bildungsbürgertum, was heute ein Grund ist, sie zu vergessen, wenn nicht zu desavouieren.
Die Quellen ihrer Kraft waren die Herkunftsfamilie, ihre charakterliche Erziehung in Elternhaus und Schule, die Jugendbewegung, die Liebe zur Heimat und zum Vaterland, das geistig-kulturelle Erbe an Musik, Literatur und Geschichtsbewusstsein. „Ehrfurcht vor der Vergangenheit und die Verantwortung gegenüber der Zukunft geben fürs Leben die rechte Haltung“ schreibt Klaus Bonhoeffer im Abschiedsbrief an seine Kinder.
Die Erziehung vermittelte ihnen feste Normen und Werte. Der Vater war kein Kumpel, sondern Vorbild und Autorität, der sie dazu erzog, „das als wahr Erkannte bedingungslos über das eigene Wohl zu stellen und allein der Autorität des Gewissens zu gehorchen.“ Die Mütter wurden geliebt und verehrt. Sie waren gebildete, ebenbürtige Weggefährtinnen ihrer Ehemänner. Dietrich Bonhoeffer schreibt aus der Zelle: „Es ist der Beginn der Auflösung und des Zerfalls aller menschlichen Lebensordnungen, wenn das Dienen der Frau als Zurücksetzung, ja als Kränkung ihrer Ehre angesehen wird.“ Die Liebe zu ihren Ehefrauen und ihren Kindern, denen sie Vorbild sein wollten, so wie ihre eigenen Eltern ihnen Vorbild gewesen waren, trugen sie durch die Wüste der Einsamkeit in der Zelle. „Mein Herz“, schreibt Graf von Moltke an seine Frau, „binde das Seil, an dem Du über den Strom steuerst, an die Pflöcke ‚Dank‘ hinter Dir und ‚Glaube‘ vor Dir, so wirst Du schon irgendwie über den Strom kommen.“
Diese Frauen hielten aus Sorge um ihre eigene Zukunft ihre Männer nicht zurück, ihrem Gewissen zu folgen, vielmehr gaben sie ihnen Kraft, indem sie ihren Weg bis unter das Kreuz mitgingen und ihr eigenes Lebensglück opferten. Die Ehefrau von Helmut Graf von Moltke schreibt ihm in die Todeszelle: „Ich möchte auch die schwarzen Stunden immer weiter mit Dir teilen, da ich doch auch so viel Herrliches mit Dir erleben darf. Denke nie, Du könntest mich mit irgendetwas belasten.“
Das tiefste Fundament des Lebens und Sterbens der Widerständler war jedoch der von Kindheit an gelebte christliche Glaube, der ihnen im Angesicht der bevorstehenden Hinrichtung die Gnade ausserordentlicher Gottesnähe schenkte. Auch wenn ihre Frauen ihre grösste menschliche Stütze waren, mussten die zum Tode Verurteilten den letzten Weg doch allein gehen und bestehen. Ihre Briefe aus der Todeszelle zeugen von der totalen Auslieferung an den Willen Gottes, was sie „hinaufriss in die Höhe unanfechtbarer Gnade“, wie die Autorin formuliert. Pater Alfred Delp, dem von der Gestapo das Angebot der „Freilassung gegen Ordensaustritt“ angeboten wurde, lehnte trotz schwerer Folter ab. Er erlebte „den grossen Trost, den nur der kennt, der die innersten und äussersten Grenzen des Daseins abgeschritten ist.“ In seinem Abschiedsbrief am Tag seiner Hinrichtung, dem 2. Februar 1945, schreibt er: „Ich will mir Mühe geben, als fruchtbarer Samen in die Scholle zu fallen, für Euch alle und für dieses Land und Volk, dem ich dienen und helfen wollte… Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“
Unsere Zeit verweigert die Annahme dieses Erbes. Sie erkennt nicht einmal mehr seinen Wert. Politiker verlassen sich auf sich selbst, sie meinen, sie bräuchten nicht mehr die Hilfe Gottes, um die Geschicke eines Volkes zu lenken. Sie kennen keine Instanz über sich, der sie Rechenschaft schuldig sind. Das ist gefährlich.
„Ist es nicht heute an uns, statt uns zu willigen Mitläufern machen zu lassen, von neuem hellwach zu werden und damit endlich das Erbe des Deutschen Widerstandes anzutreten?“, fragt Marita Lanfer. Ja, es ist an uns. Derzeit erwacht massenhaft der Widerstand gegen totalitäre staatliche Anmassung. Möge das in so schöner Sprache geschriebene Buch von Marita Lanfer dazu beitragen, den Samen des Deutschen Widerstandes heute fruchtbar werden zu lassen.
„Säen bei Nacht – Der Deutsche Widerstand als Auftrag zur Erziehung‟ von Marita Lanfer, erschienen im Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2021, 467 Seiten, ISBN 978-3-87336-724-1