Im Dezember 2017 wurden sechs Schulen aus vier Kantonen mit dem „Schweizer Schulpreis“ ausgezeichnet. Dieser geht jedes zweite Jahr an „innovative und zukunftsorientierte Schulen“. Die Kriterien dabei sind methodengeleitete Merkmale wie beispielsweise selbstorientiertes und computerbasiertes Arbeiten. Lernwirksamer Unterricht scheint hingegen eine untergeordnete Rolle zu spielen, wie Carl Bossard, Dozent an der PH Zug, in seinem Beitrag „Schulpreise für schöne Äusserlichkeiten“ auf Journal21.ch kritisiert.
Wer sich auf der Website des Vereins „Schweizer Schulpreis“ nach zielgeleiteten, konkreten Kriterien für die Preisverleihung kundig mache, werde enttäuscht. Stattdessen stosse man dort, so der PH-Dozent, auf öffentlichkeitswirksame Schlagworte wie „Schülerinnen und Schüler [nehmen] ihr Lernen selbst in die Hand“ oder „Schulen [pflegen] pädagogisch fruchtbare Beziehungen zu ausserschulischen Personen und Institutionen sowie zur Öffentlichkeit“.
Belohnt werden laut Bossard Worthülsen oder „Claims“, wie die Werbesprache diese nenne. Da heisse es zum Beispiel von einer prämierten Gemeinde: „Vorbildlich ist die Schule, weil sie zeigt, wie eine grosse Schule mit verschiedenen Schuleinheiten einen gemeinsamen Entwicklungsprozess anstossen und vorantreiben kann. Die Schulen [nn] erhalten den Schulpreis für einen sorgfältig erarbeiteten und ausgezeichnet umgesetzten Changemanagement-Prozess, der für viele andere Schulen, die sich auf den Weg machen wollen, Vorbild und Musterbeispiel sein kann.“ Verkündet habe diese frohen Worte Vladimir Petković, Trainer der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft.
Wohin der „Changemanagement-Prozess“ führen und welche Ziele damit erreicht werden sollen, davon habe Petković hingegen nichts gesagt. „Geschweige denn, was sich in dieser Schulgemeinde in der Zwischenzeit verändert und welche Lernfortschritte sie bei den Kindern erreicht hat.“
Wer näher heranzoome, so der Kern von Bossards Kritik, und die preisgekrönten Merkmale mit John Hatties vielfach bestätigten Wirkfaktoren verbinde, erkenne schnell: „Da dominieren Oberflächensignaturen, da figurieren Faktoren, die praktisch keinen Effekt erzielen. Beim ‘Schweizer Schulpreis’, gesponsert von deutschen Stiftungen und Protagonisten einer ‘neuen’ Schule, geht es wohl weniger um lernwirksamen Unterricht als um schöne Äusserlichkeiten wie altersdurchmischtes und selbstorientiertes Lernen oder webbasiertes und individualisiertes Arbeiten. Nach Hattie aber kommt all diesen Faktoren eine sehr geringe Wirkkraft zu. (…) Die Massnahme bleibt also – kognitiv wie sozial – wirkungslos.“
Der Züricher Bildungspolitiker Hanspeter Amstutz bestätigt im aktuellen Newsletter der Initiative „Lehrplan vors Volk“ Bossards Kritik am „Schweizer Schulpreis“: „Seit die Volksschule durch beunruhigende PISA-Tests und vorgeschriebene Forschungsaufträge der Pädagogischen Hochschulen einem Reformeifer unterworfen ist, jagen sich die Meldungen über fortschrittliche Schulen.“ Dabei sei offenbar entscheidend, dass die Zielsetzungen einer Schule im didaktischen Trend lägen. Schulteams, die wertvolle pädagogische Leistungen auf eher traditionelle Weise erbrächten, kämen hingegen kaum in die Kränze.
Wenn etwa eine preisgekrönte Basler Schule mit einem Bild eines Grossraumbüros als Ort des effizienten Lernens auf sich aufmerksam mache, müsse dies – so Amstutz – unweigerlich Reaktionen auslösen. „Das Bild ist von symbolischer Aussagekraft, was die mögliche Zukunft unserer Schule betrifft. Auch mir sträubten sich die Haare, als ich die streng getrennten Schüler in ihren Lernboxen und den kontrollierenden Moderator-Lehrer dazwischen sah.“ Amstutz verweist auf seine Erfahrung, wonach in instruierenden Computerprogrammen generell weit weniger herausschaut, als meist behauptet wird: „Bei der ganzen Diskussion um moderne Lernformen fehlt oft der wichtige Hinweis auf die absolut zentrale Bedeutung des gemeinsamen Klassenunterrichts.“
Gerade für jüngere Jugendliche spiele es eine grosse Rolle, dass sie die Dynamik des gemeinsamen Lernens täglich erlebten. Die Farbigkeit eines gemeinsamen und gut geführten Lernprozesses lasse sich durch kein digitales Bildungsprogramm ersetzen, so Amstutz.
Am 4. März wird im Kanton Zürich über die Mitbestimmungsinitiative „Lehrplan vors Volk“ abgestimmt. Ein Ja an der Urne könnte die Voraussetzung dafür schaffen, manche der Fehlentwicklungen im Bildungswesen zu korrigieren.