Immer öfter werden Literaturklassiker zum Opfer der Löschkultur. Die Zensur literarischer Werke aufgrund diskriminierender oder anstössiger Inhalte geschah zunächst in den USA. So verschwand dort Anfang 2022 Art Spiegelmanns „Maus“ aus den Bibliotheken, ein Comic über die NS-Zeit und ihre Opfer (der Autor ist Nachfahre von Überlebenden der Schoa). Der Trend sei nun auch in Europa angekommen, wie die britische Zeitung The Times berichtet.
Bereits zehn Universitäten in England gaben bekannt, dass Werke, welche die Themen Suizid oder Sklaverei behandeln, von den Leselisten gestrichen werden sollen. Mehr als 1000 weitere Texte werden mit Warnungen versehen oder von Pflicht- zu optionaler Lektüre herabgesetzt. Die Studenten sollten vor „herausfordernden Inhalten“ geschützt werden. Sogar Dickens und Shakespeare sind von der Bücherverbannung betroffen. Der Standard berichtet, Shakespeares „Sommernachtstraum“ werde an der Universität Aberdeen als „klassistisch“ und somit problematisch eingestuft. Auch Werke von Jane Austen, Charlotte Brontë und Agatha Christie werden mit der Warnung versehen, dass Leser sich vom Inhalt gestört fühlen könnten: wegen Sexismus, Rassismus oder Tierleid.
Derlei Eingriffe in die Literatur hätten weitreichende Folgen. Eine Umfrage unter britischen Studenten ergab, dass sie heute weniger tolerant gegenüber anderen Meinungen seien als noch vor sechs Jahren. Einschränkungen der freien Rede werden häufiger befürwortet. Michael Wurmitzer bezeichnet diese Entwicklungen im Standard als ein „hochbedenkliches, sich selbst verstärkendes System“.
Quellen: VDS vom 28. August 2022, DerStandard vom 23. August 2022