2017 erfolgten 103 Abtreibungen zwischen der 17. und 22. Schwangerschaftswoche, in 41 Fällen noch später. Was für die Beteiligten (Eltern und Spitalpersonal) eine immense Belastung darstellt, und für das Kind tödlich endet, ist nach wie vor mit einem gesellschaftlichen Tabu belegt.
Von Regula Lehmann
In einigen amerikanischen Bundesstaaten sollen Spätabtreibungen gesetzlich wieder erlaubt werden. Was vielen Schweizern nicht bewusst ist: Auch in der Schweiz werden ungeborene Mädchen und Jungen bis kurz vor der Geburt abgetrieben. Während der Widerstand gegen die Tötung und Entsorgung von (ungeborenen) Tieren wächst, erhebt kaum jemand die Stimme gegen die Tatsache, dass in unseren Spitälern lebensfähige Babys sterben gelassen und anschliessend mit dem Spitalabfall entsorgt werden.
Was für werdende Eltern und für das betroffene Pflegepersonal eine immense Belastung darstellt, wird von der Schweizer Öffentlichkeit mehrheitlich ignoriert oder tabuisiert. Einzige Ausnahme im Blätterwald bildet die Weltwoche, die bereits 2017 (Nr. 12/2017) dezidiert auf die Zunahme von Spätabtreibungen hinwies und dafür heftige Kritik in Kauf nahm. Viele Schweizer wollen offenbar gar nicht wissen, dass hinter den Gebärsaaltüren kleine Mädchen und Jungen in einem Körbchen, lediglich mit Schmerzmitteln versorgt, langsam ihr Leben aushauchen. Lebenserhaltende Massnahmen werden unterlassen, teilweise wird das Ungeborene auch kurz vor dem Eingriff mittels einer Kaliuminjektion ins Herz getötet.
Die Eltern entscheiden über Leben und Tod ihres Kindes, denn laut der Fristenlösung darf beim Vorliegen einer schweren körperlichen oder seelischen Notlage der Mutter auch nach der 12. Schwangerschaftswoche abgetrieben werden. Diese äusserst schwammige Formulierung schafft einen Interpretationsspielraum. Insbesondere wenn beim ungeborenen Kind Fehlbildungen oder Behinderungen wie beispielsweise Trisomie 21 festgestellt werden, entscheiden sich viele Eltern für eine Abtreibung, obwohl die Schwangerschaft schon weit fortgeschritten ist.
Nicht immer können Ärztinnen und Ärzte solche Abbrüche mit ihrem Gewissen und ihrem Berufsethos vereinbaren. Dies bedeutet, dass Eltern, die ihr Kind beispielsweise wegen einer Lippen-Gaumenspalte abtreiben möchten, sich möglicherweise einen anderen Gynäkologen suchen müssen. Manche wittern hier einen Notstand. Andrea Büchler, Präsidentin der Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK), schwebt darum vor, dass – im Sinne der Versorgungssicherheit – in jeder Region mindestens ein Spital zur Verfügung stehen sollte, das Abbrüche auch bei einer fortgeschrittenen Schwangerschaft ermöglicht. Eine fragwürdige Ethik!
In einer Zeit, in der die Wünsche von Erwachsenen im Vordergrund stehen und die grosse Mehrheit sich in Schweigen hüllt, haben ungeborene Kinder als schwächste Mitglieder der Gesellschaft schlechte Karten. Während Tierschützer gesellschaftlichen Aufwind geniessen, werden Menschen, die sich für das Lebensrecht Ungeborener einsetzen, diffamiert. Welch eine „verkehrte“ Welt!