„Mehr gefährdete Jugendliche und zu wenig Schutz – Die Gesellschaft muss jetzt handeln!“ Mit diesem Warnruf veröffentlichte die Stiftung „Sucht Schweiz“ am 21. März 2024 das diesjährige Schweizer Suchtpanorama. Alarmierend ist: Die Zahl von Jugendlichen, die unter psychischen Belastungen leiden, nimmt zu. Besonders betroffen sind junge Mädchen.
Von Ursula Baumgartner
Im jährlich erscheinenden Suchtpanorama präsentiert die Stiftung „Sucht Schweiz“ aktuelle Zahlen und Daten zu verschiedenen Abhängigkeiten. Zudem wirft sie einen Blick auf die Bestrebungen in der Politik und stellt Forderungen zu Verbesserungen im jeweiligen Bereich.
Legale und illegale Drogen
11 Prozent der Frauen und 19 Prozent der Männer betrinken sich dem Bericht zufolge mindestens einmal im Monat. Einige Kantone setzen beim Thema Alkohol inzwischen mehr auf Eigenverantwortung. In der Prävention tätige Fachleute kritisieren dies mit der rhetorischen Frage: „Wie viel Eigenverantwortung ist Betrunkenen zuzumuten?“ Sucht Schweiz plädiert für Sensibilisierung auch beim Thema Suchterkrankungen bei Müttern. Zudem macht sich die Stiftung stark für Mindestpreise bei alkoholhaltigen Getränken, ein Nachtverkaufsverbot sowie Einschränkungen bei der Alkoholwerbung, die Jugendliche verführt.
Der Nikotinkonsum bleibt bei Erwachsenen laut dem aktuellen Suchtpanorama gleich, bei Jugendlichen steigt er jedoch an. Letzteres führt Sucht Schweiz auf das Aufkommen von E-Zigaretten zurück. Doch auch die „herkömmlichen“ Zigaretten werden nach wie vor häufig konsumiert. Bei den Dreizehnjährigen hat sich der Anteil der Raucher seit 2018 verdoppelt. Sucht Schweiz fordert auch in diesem Zusammenhang, Nikotinwerbung zu verbieten, die auf Jugendliche Einfluss hat. Auch müsse sichergestellt werden, dass Kinder und Jugendliche nicht über das Internet an Nikotinprodukte herankämen. Probleme durch das Rauchen verursachten laut einer Studie im Jahr 2017 im Gesundheitswesen der Schweiz Kosten von über drei Milliarden Franken. Sucht Schweiz schlägt daher vor, Tabak- und Nikotinsteuern zu erhöhen sowie Nikotinersatzprodukte zur Entwöhnung von den Krankenkassen zahlen zu lassen.
Der Konsum von Cannabis ist bei Jugendlichen rückläufig, bei Erwachsenen ist er etwa gleich geblieben. Ähnliches gilt für Kokain. Hier müssten bestehende Massnahmen wie das Vier-Säulen-Modell (neue Konsumräume, Notschlafstellen, Sozialarbeit, polizeiliche Massnahmen) auf Bundesebene überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, fordert Sucht Schweiz.
Das Leiden der Jugendlichen
Sucht Schweiz warnt: „Der Anteil vulnerabler Jugendlicher ist grösser geworden und diese haben ein höheres Risiko, zu Suchtmitteln wie Nikotinprodukten zu greifen oder in die sozialen Medien zu flüchten.“ Ein Sechstel der Jugendlichen spielt täglich online Videospiele. Über 80 Prozent der 15-Jährigen ist täglich in den sozialen Netzwerken aktiv. Etwa die Hälfte gibt als Grund an, damit „vor negativen Gefühlen zu flüchten“. Bei sieben Prozent spielt sich die Nutzung sozialer Medien sogar in einem problematischen Umfang ab. Die Tendenz ist seit 2018 steigend, v.a. bei den Mädchen. Dazu passt, dass fast neun Prozent der 15- bis 24-jährigen jungen Frauen für das jetzige Panorama angab, psychisch mittel oder stark belastet zu sein. 2017 lag dieser Anteil noch bei knapp vier Prozent.
Diese Parallelen sind bedrohlich. Über Plattformen wie Instagram, TikTok etc. vergleichen sich junge Mädchen – meist zu ihrem eigenen Nachteil – mit zahllosen „Influencerinnen“. Fragwürdige und nicht erreichbare Schönheitsideale werden verbreitet, die Mädchen in der Pubertät nicht selten zu einer Art Selbsthass verleiten. Die Gefahr von Essstörungen als Folge davon ist dabei ebenso real wie die der „Flucht“ in eine Trans-Identität.
Wie auch bereits im Vorjahr geht Sucht Schweiz jedoch leider nicht darauf ein, welch ein grosser Anteil junger Menschen sehr häufig, ja täglich Pornografie konsumiert. Das Suchtpotential hierbei ist enorm, die Auswirkungen auf Frustrationstoleranz, Beziehungsfähigkeit und -qualität katastrophal. Und nicht zuletzt ist auch das Leiden vieler Frauen darauf zurückzuführen, dass sie gegen eine ewige sexuelle „Konkurrenz“ in der Phantasie ihres Mannes ankämpfen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass Sucht Schweiz diesem so wichtigen Thema im Suchtpanorama 2025 endlich ein eigenes Kapitel widmet.
Die Stiftung Zukunft CH hat einen Ratgeber erarbeitet, der Eltern und Pädagogen dabei helfen soll, Kinder wirksam vor Pornografie zu schützen. Er kann über das Bestellformular oder unter 052 268 65 00 bezogen werden. (Bestellungen aus dem Ausland nur bei Übernahme des Portos.)