Ein Sturm zieht auf über dem syrischen Bildungssystem: Geplante Änderungen des Lehrplans sorgen für internationale Besorgnis. Zudem werfen sie dunkle Schatten auf die Reformversprechen der neuen Machthaber nach dem Sturz von Baschar al-Assad. Hat mit der Einführung einer islamischen Agenda, die die Bildungslandschaft und damit die Zukunft des Landes prägen wird, bereits ein konkreter Prozess begonnen?

Der Begriff „Weg des Guten“ beispielsweise soll in den neuen Lehrplänen durch „islamischer Weg“ ersetzt werden. Ein scheinbar harmloser Schritt, der jedoch weitreichende ideologische Konsequenzen hat. Besonders alarmierend ist die geplante Aufnahme von Passagen, die Juden und Christen als „verdammt“ und „vom rechten Weg abgekommen“ bezeichnen.

Neue Begriffe, alte Denkmuster

„Diese Rhetorik zementiert die Ausgrenzung und gefährdet jede Hoffnung auf ein friedliches Miteinander in Syrien“, warnt Marcus Sheff, Geschäftsführer der britischen NGO Impact-SE, die weltweit Lehrmaterialien analysiert.

Weitere Änderungen umfassen die Entfernung negativer Verweise auf das Osmanische Reich. Mit so einem Schritt betreibt man historischen Revisionismus. Auch Inhalte über nicht-muslimische Theorien wie die chinesische Philosophie oder die Evolution sollen gestrichen oder überarbeitet werden. Beides ist ein klares Zeichen für die ideologische Ausrichtung der neuen Regierung.

Ein Land in der Schwebe

Die geplanten Reformen sind Teil eines grösseren politischen und gesellschaftlichen Wandels. Die neuen Machthaber in Syrien, deren Machtbasis radikal-islamische Fraktionen wie Hayat Tahrir al-Sham (HTS) umfasst, hatten zunächst Reformen und Inklusion versprochen. Doch die geplanten Änderungen am Lehrplan zielen nicht in diese Richtung.

HTS, einst ein Ableger von Al-Qaida, hatte sich in der Vergangenheit bemüht, sich als gemässigte politische Kraft zu präsentieren. Die aktuellen Entwicklungen werfen jedoch Zweifel an dieser Selbstinszenierung auf. „Die neue Regierung hat Reformen versprochen, aber die Realität spricht eine andere Sprache“, kritisiert Marcus Sheff.

Ist dies der Anfang einer neuen Ära?

Es war vorhersehbar: Wenn ein Dschihadist wie HTS-Chef Abu Mohammed al-Dscholani und seine Organisation an Einfluss gewinnen, sind Schritte wie diese unumgänglich. Die Wurzeln von HTS liegen im radikalen Dschihadismus und ihre Ideologie bleibt davon geprägt. Der Lehrplan ist kein neutraler Verwaltungsakt, sondern ein ideologisches Instrument, mit dem die neuen Machthaber ihre Vision eines islamistischen Staates untermauern wollen.

Die geplanten Änderungen zielen auf ein syrisches Bildungssystem ab, das sich nach der Scharia richtet und alles ausschliesst, was nicht in dieses enge Weltbild passt. Juden und Christen werden diffamiert, alternative Denkweisen systematisch ausgelöscht. Was hier entsteht, ist nicht nur eine Reform des Lehrplans. Es ist die Basis für ein Kalifat, das sich auf Polarisierung und Intoleranz stützt. Syrien scheint sich in Richtung eines solchen Kalifats zu bewegen, in dem die Ideologie Vorrang vor Wissen hat. Der Preis für diese Entwicklung wird hoch sein.

Die internationale Gemeinschaft darf nicht länger naiv auf die Mässigungsrhetorik von HTS hereinfallen. Al-Dscholani bleibt ein Dschihadist, und HTS ist eine terroristische Organisation, die sich von ihrer Vergangenheit nicht gelöst hat.

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