Die weissen Fahnen der Taliban mit ihren Koransprüchen wehen seit Ende August auch am Flughafen von Kabul. Mit seiner Räumung durch die letzten US-Soldaten wurde das einzig noch offene Fenster zur freien Welt geschlossen. Über 100‘000 nicht-islamistische Afghaninnen und Afghanen konnten ausgeflogen werden, fast eine Viertelmillion hatten sich vergeblich bei der Luftbrücke angestellt. Jetzt fallen sie dem Terror der Dschihadisten anheim.
Dr. phil. Heinz Gstrein, Orientalist
Bei denen hat sich zu den patriotischen Taliban auch schon ein Ableger der globalen Terrormiliz „Islamischer Staat“ gesellt: Der IS-Provinz Chorasan. Seit Ausrufung ihres inzwischen im Irak und Syrien untergegangenen „Kalifats“ in Mossul 2014 teilen diese Politmuslime die Welt in „Provinzen“ ein. Afghanistan ist unter seinem mittelalterlich-arabischen Namen Chorasan eine davon. Daraus ergibt sich Rivalität zu den Taliban, deren „Emirat“ nur das afghanische Bergland und Ansprüche auf die sogenannten „Stammesgebiete“ von Pakistan umfasst.
Beim Terror gibt es aber keinen Unterschied von Taliban und IS. Und er hat schon begonnen. Allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz. Der sommerliche Abzug jener internationalen Truppen, die vor 20 Jahren zur Terroristenjagd nach Afghanistan gekommen waren, liefert dessen Menschen dem neuerlichen Muslimterror der Taliban aus. Dieser macht auch vor der Hauptstadt Kabul nicht Halt, die dank dort ausharrenden Journalisten und Hilfswerken weiter im Blickfeld der Welt steht: Aus einem Hilferuf des französischen Chefprofessors an der 2006 in Kabul gegründeten Amerikanischen Universität von Afghanistan (AUAF), Michel Berry, geht hervor, dass eine Jagd auf deren Lehrkörper, aber auch Bedienstete – sogar die afghanischen Reinigungskräfte nicht ausgenommen – begonnen hat: Taliban und lokaler Mob dringen in ihre Wohnungen ein, plündern Wertgegenstände und Mobiliar, erpressen mit Misshandlungen Schutzgelder vor schlimmeren Tätlichkeiten.
Auch erste Todesopfer sind schon zu beklagen: Die Taliban bringen Journalistinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen und Regisseurinnen um, wo immer sie ihrer habhaft werden. Als erstes generelles Verbot wurde die Ächtung jeder weltlichen Musik in Kraft gesetzt. Der beliebte Volkssänger Fawad Andarabi glaubte sich davon ausgenommen. Sein Lied „Unser schönes Tal“ war in Afghanistan eine Art zweite Nationalhymne geworden. Als ihn jetzt die Taliban zum Tee luden, fühlte er sich noch sicher. Bei dem Treffen wurde er aber unverzüglich mit einem Kopfschuss liquidiert …
Kein Wunder, dass sich aus Afghanistan jetzt alle zu retten versuchen, die nur immer können und sich nicht zur fanatischen Ideologie der Taliban bekennen. Und das sind Millionen Menschen. Sie stauen sich am letzten noch offenen offiziellen Grenzübergang nach Pakistan, versuchen zum Logarpass hinauf zu kommen, um drüben das von ihnen überflutete Paratschinar zu erreichen, wo es für sie nur mehr Schlafplätze am nackten Boden gibt, und klettern über die schon jetzt im September verschneiten Berge von Tschitral.
Früher oder später wird die neue Welle von Flüchtlingen aus Afghanistan auch Europa erreichen. Bei uns haben junge Afghanen, die sich oft noch minderjährig mit dem grossen Schub von 2015 bis in die EU und Schweiz durchgeschlagen haben, meist einen schlechten Ruf: Drogenhandel mit dem aus ihrer Heimat stammenden Opium und Heroin, Kriminalität und sexuelle Übergriffen auf für sie provozierend gekleidete Mädchen oder auch halbwüchsige Knaben in den Umkleidekabinen von Freibädern. Anziehende Frauen ohne schützende Männerbegleitung sind eben in Afghanistan Freiwild, und das nicht erst seit Auftreten der Taliban.
Die jetzt schon Evakuierten sind hingegen eine europäisch gebildete und geprägte Elite oder auch afghanische Christen, die als frühere Muslime jetzt um ihr Leben als „Apostaten“ fürchten müssen. Unter den jetzt folgenden Flüchtlingsmassen werden aber vermutlich auch viele Dschihadisten und damit potentielle Attentäter sein – ebenso Afghanen, die mit unseren sittlichen Standards nicht gemein haben. So sind jene Stimmen, die vor einer zu grosszügigen Flüchtlingsaufnahme und -behandlung warnen, nicht ganz unbegründet. Da gilt es Vorsicht walten zu lassen, trotz aller christlich-humanen Tradition der Schweiz.
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