„Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet“, schrieb Nietzsche am Ende des 19. Jahrhunderts. In den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts wurde aus dieser Philosophie mörderische Politik. Jetzt, im 21. Jahrhundert, werden daraus Spiele gemacht.
Von Josef Jung
Den Gottestod erfährt man, wenn man THE LAST OF US spielt – dabei ist es unerheblich, ob man den ersten Teil (2013) oder den zweiten (2020) vor sich hat. Das Spiel ist die hoffnungslose Hochauflösung der Nietzsche-Apokalypse – mit einer Ausnahme: es gibt keine Übermenschen, sondern Überlebende.
Die Überlebenden sind jene, welche die Absurdität aushalten und keine Antidepressiva haben. Die neuen Namenlosen erwachen in der Postapokalyse und kennen keinen Himmel mehr. Wenn es keinen Gott gibt, ist nicht nur alles erlaubt, es sind auch alle Albträume möglich. Wenn es keinen Tröster, keinen Vergelter und keinen Verbesserer letzter Hand mehr gibt, wird das Chaos zum Naturgesetz. In Kunst und Kultur wird schon lange über die Konsequenzen des Gottestodes spekuliert – natürlich wird er nicht offen diskutiert, sondern unterschwellig vorausgesetzt. Einige Beispiele sind: I AM LEGEND, THE WALKING DEAD und THE LAST OF US.
Sinn- und hoffnungslos
Im Spiel THE LAST OF US mutiert im Jahr 2013 ein Cordyceps-Pilz. Seine Sporen nisten sich im Menschen ein und beginnen die Kontrolle zu gewinnen. Die infizierten Menschen werden zu Zombies. Sie haben nur ein Ziel: fressen und infizieren. Wenn sich der Pilz im Menschen ausbreitet, wird er zum brutalen Raubtier. Eine Infektion ist unheilbar, wer nicht an ihr stirbt, wird zum Zombie.
Man überlebt in dieser pandemischen Welt nicht, indem man nett ist, sondern indem man tötet, um nicht getötet zu werden. Es gibt keine Hoffnung, kein Heilmittel, keine Besserung. Die einzigen Akteure sind Tote, Infizierte und (noch) Lebende. Überleben ist die einzige Maxime. Es gilt immer zu überlegen, welche Menschen einem wichtig sind, welche sozialen Beziehungen wert sind, dass man sie schützt, und welche Menschen man dafür töten muss.
Ein brutales Beispiel für den Gottestod liefert die Begegnung von Sam und Ellie. Beide sind Teenager. Sam fragt Ellie, ob sie daran glaube, dass es trotz dieser Seuche und dem Verlust von Freunden und Familie einen Himmel gebe, in dem man seine verstorbenen Angehörigen und Freunde wiedersehe. Sie antwortet: „Ich würde es gern glauben“ und fährt dann fort, als er nachfragt, ob sie es denn glaube: „Ich denke nicht.“ Am nächsten Morgen stellt sich heraus, dass Sam von infizierten Menschen gebissen und angesteckt wurde. Er beginnt nun selbst zum Zombie zu werden und wird von seinem älteren Bruder erschossen. Er erträgt seine Tat nicht. Im Affekt hält er sich eine Pistole gegen seine Schläfe und drückt ab.
Bittere Enttäuschung
Ellie überlebt das alles unverletzt, hat aber erneut vertraute Menschen verloren und kämpft weiter den hoffnungslosen Überlebenskampf. Infizierte töten sich oft selbst, um nicht zum Zombie zu werden oder qualvoll zu sterben. Es ist immer gefährlich und tragisch, mit jemandem sein Leben zu teilen und sich jemandem anzuvertrauen. Ja, in diesem Spiel ist Gott wirklich tot, aber die Hölle lebt. Wer je an die Apokatastasis glaubte, kennt die Apokalypse nicht.
Das Bemerkenswerte in dieser Welt voller Enttäuschungen ist, dass nicht nur schlechte Empfindungen vorkommen. Neben Hass, Verzweiflung, Bitterkeit und Tod gibt es auch Trauer, Angst, Mut, Freundschaft, Opferbereitschaft und Liebe. Die schlechtesten und besten Eigenschaften des Menschen kommen zum Vorschein. Es kommt trotz der erlebten Hoffnungslosigkeit immer einmal ein Funke Zuversicht auf – die dann umso bitterer enttäuscht wird.
Das Spiel zeigt nicht nur eine grausame Welt, sie ist auch wunderschön. Jeder Moment der Schönheit schenkt Ablenkung. Wenn es möglich ist, versucht man im Elend die Momente der Schönheit, wie einen Sonnenaufgang oder eine grandiose Aussicht, zu bestaunen. Es gibt Liebesbeziehungen, Kinder werden geboren, aber zugleich werden Menschen infiziert und erschossen. Absurd bleibt alles, aber zwischendrin gibt es Menschlichkeit. Dann wünscht man sich, die Zeit bliebe stehen.
Sobald die Uhr wieder tickt ist es dann vorbei. Was hat sie Seuche aus den Menschen gemacht? Sie sind alle zu Mördern geworden. Jeder gegen jeden, Gruppe gegen Gruppe. Es gibt kein Gut und Böse. Ok, nicht alle machen alles mit, aber nicht alle sind immer bis zum Äussersten getestet worden.
Wenn Ordnung und Wohlstand wegbrechen
„Survival of the fittest“ ist ein weiteres Diktum des 19. Jahrhunderts und das Endzeit-Statement in THE LAST OF US. Das Spiel ist keine Billigware. Es ist, wie IGN, die Kritikerseite schlechthin, resümiert, ein „Masterpiece“ mit einem Score von 10/10. Millionenfach gekauft, millionenfach gespielt. THE LAST OF US ist nicht nur Survival-Horror für Supernerds, sondern tonangebend für die Digitalkultur. THE LAST OF US thematisiert unsere Kultur 2020 als Zombieapokalypse – ein abstrakter Ausdruck für den Gottestod.
Die Frage des Spiels ist, wie sich dieser Gottestod auswirkt, wenn die Schranken des Wohlstands und der Ordnung wegbrechen. Es zeigt das Dunkle, den Schatten des Wohlstandshedonismus, der zynisch zusammenbricht, wenn das Licht ausgeht. Kunst und Kultur, Film und Spiel, sie atmen mittlerweile den Gottestod. Wie grossartig ist es dann, wenn man seine Hoffnung auf den Auferstandenen setzen kann.
Quelle: cathwalk.de