Das Thema „Transidentität“ bekommt in der heutigen Gesellschaft eine überdurchschnittliche Beachtung, obwohl bei genauerem Hinsehen nur eine geringe Anzahl von Menschen davon betroffen ist. Auffällig ist, dass dieser Trend eher bei Mädchen als bei Jungen zu beobachten ist. Was sind die Hintergründe und wo liegen die Ursachen dieser gegenwärtigen Entwicklung?

Von Ralph Studer

Während Menschen, die sich als transsexuell bezeichnen, häufig an ihrem Körper leiden, verbinden Personen, die sich mit dem Begriff „trans“, gender-fluid oder nicht-binär bezeichnen, mit ihrem Erleben kein direktes Leiden. Nicht-binär Empfindende wollen sich nicht der Zweigeschlechtlichkeit des Mann- und Frauseins zuordnen. Bei gender-fluiden Personen wechselt das Geschlechtserleben einmal hin zu einem eher männlichen, dann wieder hin zu einem mehr weiblichen Empfinden oder sie befinden sich irgendwo dazwischen.

Offenhalten der Entwicklung

Bei diesem Themenbereich geht es, so der deutsche Jugendpsychiater Alexander Korte, um viel. Es geht um die Verantwortung für Kinder und Jugendliche. Und es steht viel auf dem Spiel, wenn Kinder oder Jugendliche sagen, dass sie sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht wohl fühlen und die Diagnose Geschlechtsdysphorie (GD) erhalten. Dies bezeichnet einen psychischen Zustand, in dem ein Kind eine ausgeprägte Nichtübereinstimmung zwischen seinem empfundenen Geschlecht und seinem biologischen Geschlecht erlebt.

Gerade dort, meint Korte, wo mit dem Thema leichtfertig umgegangen wird, blendet man die Schwierigkeiten aus, mit denen Menschen konfrontiert werden, die sich auf den Weg einer Geschlechtsumwandlung begeben. Er fordert mit Blick auf ca. 80 bis 90 Prozent von diesen Kindern und Jugendlichen, die am Ende doch ihr biologisches Geschlecht annehmen, das Offenhalten der Entwicklung.

Ausgebildete Geschlechtsidentität

Dabei sind sich die Betroffenen der mangelnden medizinischen Kenntnisse bezüglich Pubertätsblockern und Folgen einer Geschlechtsumwandlung kaum oder viel zu wenig bewusst. „Pubertätsblocker sind keine ‚Pausentaste‘, das Narrativ ist falsch“, so der Jugendpsychiater. Korte weist darauf hin, dass der affirmative Ansatz wie eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ ist und der einmal eingeschlagene „trans“-Weg fast immer bis zum Ende gegangen wird. „95 Prozent der einmal behandelten Kinder“, verdeutlicht Korte, „nehmen dann auch gegengeschlechtliche Hormone ein. Das bedeutet: Der Patient ist sehr wahrscheinlich im Erwachsenenalter unfruchtbar, nimmt erhebliche körperliche Strapazen auf sich, hat womöglich mit lebenslangen Nebenwirkungen zu rechnen. Diese sind übrigens nur wenig erforscht.“

Auch ein Blick auf die Entwicklungspsychologie lässt zur Vorsicht mahnen. Unstrittig ist, dass der Mensch biologisch weiblich oder männlich geboren wird. Als Frau oder Mann geboren zu sein, heisst aber nicht, sich als Frau oder Mann fühlen. „Erst dann“, so der Entwicklungspsychologe Dr. Markus Hoffmann, „wenn das emotionale und kognitive Ja mit dem biologischen Geschlecht in Einklang gebracht ist, kann von einer ausgebildeten Geschlechtsidentität oder Kerngeschlechtlichkeit gesprochen werden.“

„Im falschen Körper geboren“ ist unzutreffend

Dieser Prozess der Aneignung verläuft in unterschiedlichen Phasen und Altersabschnitten, vor allem in der Kindheit und Jugend. Die Wahrnehmung des eigenen Geschlechts ist in der Regel zwischen dem vierten und fünften Lebensjahr abgeschlossen. Im Zuge dieses Aneignungsprozesses kann es zu Fragen und Zweifeln kommen. „Da es aber derzeit keinen genetischen Beleg gibt“, führt Hoffmann weiter aus, „dass die emotionale und kognitive Einstellung zum biologischen Geschlechtskörper angeboren sei, ist es unhaltbar, davon zu sprechen, ein Mensch sei im falschen Körper geboren.“

Pubertät als besondere Herausforderung für Mädchen

Mit Eintritt der Pubertät bzw. bereits im Ausgang des Grundschulalters wird der biologische Körper erneut zur Herausforderung. Die Psychologie spricht davon, dass der Jugendliche vor der Aufgabe steht, seinen Körper neu zu bewohnen. Dabei spielt auch das Idealbild eine Rolle, das sich Mädchen und Jungen von ihrem eigenen Körper machen. Nach diesem Ideal müssen Jungs schlank und muskulös und Mädchen müssen schlank und schön sein.

Hoffmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass vor allem Mädchen mit dem Eintritt der Pubertät vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Denn ihr Körperfettanteil nehme zwischen 8 und 22 Prozent zu, manche Mädchen leiden unter der Brustentwicklung und die Regelblutung werde von 33 Prozent als unangenehm empfunden. Während die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper bei jungen Männern mit ca. 16 Jahren abzunehmen beginnt, wächst er bei jungen Frauen bis in die letzten Schuljahre stetig an, hält Hoffmann fest.

Heutige Sexualpädagogik blendet Fakten aus

Diese Ausführungen zeigen, mit welchen Fragen und Zweifeln der Weg zur Geschlechtsentwicklung behaftet ist. Erschreckend ist, dass diese sehr wohl geläufigen Erkenntnisse kaum oder nicht in die Sexualpädagogik einfliessen. Im Gegenteil. Liest man etwa die WHO-Standards zur Sexualpädagogik, dann wird dort bereits Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren beigebracht, dass es mehrere unterschiedliche Geschlechter gäbe.

Dass damit nicht allein der Unterschied zwischen „Mann“ und „Frau“ gemeint ist, wird dem Leser klar, der etwa zum Buch „Mädchen und Jungen in der KiTa“ von Tim Rohrmann und Christa Wanzek-Sielert greift. Dort ist zu lesen, dass Geschlecht und geschlechtliche „Vielfalt“ unter Jungs und Mädchen vor allem dann top-down beeinflusst werden müssen, wenn diese sich in ihre Geschlechtsgruppen zurückziehen, um sich in ihrer je eigenen biologischen Geschlechtlichkeit zu erziehen.

Dabei handelt es sich nicht um eine Pädagogik, welche die Mädchen und Jungs in ihrer je eigenen geschlechtlichen Identität bestärkt, sondern vielmehr um eine Verunsicherungspädagogik. Kinder bräuchten hingegen in dieser sensiblen Phase ihrer Geschlechtsentwicklung vor allem eine Begleitung, die sich mit deren Fragen und Herausforderungen auseinandersetzt und sie in ihrer natürlichen Entwicklung unterstützt.

Mögliche Ursachen dieses Trends

Es wäre unbedingt zu prüfen, ob diese Art von Pädagogik dazu führt, dass derzeit immer mehr junge Frauen bei Kindern- und Jugendpsychiatern vorstellig werden, weil sie keine Übereinstimmung mit ihrem biologischen Geschlecht empfinden. Auffällig ist, dass Mediziner in den westlichen Ländern einen Anstieg im Bereich Transsexualität feststellen, sagt Hoffmann deutlich.

Und der Entwicklungspsychologe weiter: „Während die jungen Menschen, die unter einer Geschlechtsinkongruenz oder einer Geschlechtsdysphorie leiden, bei ca. 1 Prozent aller Jugendlichen liegen, machen diejenigen, die sich als nicht-binär, trans oder gender-fluid bezeichnen, inzwischen 4 bis 5 Prozent der Jugendlichen aus.“ Von diesem Trend betroffen sind vor allem Mädchen.

Als mögliche weitere Ursachen für diese Entwicklung sehen Fachleute unterschiedliche Aspekte: Einige Wissenschaftler sagen, dies hänge mit den Medien und einer Philosophie zusammen, die behaupte, dass der Geschlechtskörper des Menschen frei beschreibbar wäre. Eltern berichten, dass sich betroffene Jugendliche in Internetforen bewegen, in denen das Thema Transsexualität beworben werde. Manche Psychologen vermuten, dass die Transsexualität junger Frauen mit der schwierigen Aneignung des weiblichen Geschlechtskörpers zusammenhängt. Soziologen, die sich mit gesellschaftlichen Trends beschäftigen, sehen die Ursachen im zunehmenden Einfluss der LGBTIQ+-Bewegung, die in der Öffentlichkeit und in den Medien grosse Aufmerksamkeit bekommt.

Keine Frage gesellschaftlicher Toleranz

Dass es beim Anstieg der Diagnose Geschlechtsdysphorie nicht um eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz geht, stellt Korte klar: „Wäre allein Toleranz verantwortlich für die exponentielle Zunahme, müsste es auch deutlich mehr Transmänner über 40 Jahre geben, doch das sehen wir Ärzte nicht. Die Selbstdiagnose ‚trans‘ ist überwiegend zum Zeitgeistphänomen geworden. Influencer auf Tiktok und Instagram werben geradezu dafür. Nemo, der ‚nonbinäre‘ Schweizer Gewinner des diesjährigen Eurovision Song Contest, wird den Hype noch verstärken.“

Dabei stecken hinter Geschlechtsdysphorien häufig ganz andere Probleme. „Das reicht von vorübergehenden pubertären Krisen über eine abgewehrte Homosexualität der Patienten bis hin zu Erkrankungen aus dem Autismus-Spektrum“, so Korte.

Kindeswohl?

Im Interesse junger Menschen ist es dringend angezeigt, diese möglichen Ursachen wissenschaftlich vertiefter zu erforschen und den Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Unterstützung und Behandlung zu ermöglichen. In jedem Fall wäre es falsch und des Kindeswohls abträglich, wenn Ärzte und Psychologen sich dem gegenwärtigen Trend unterwerfen.

Denn wie die selbst betroffene Keira Bell ausführt: „Es muss in erster Linie Unterstützung für die psychische Gesundheit geben.“ Und in dieselbe Richtung geht auch Kortes Forderung. Es braucht, so der Jugendpsychiater, zuerst eine intensive psychiatrische und psychologische Untersuchung, Beratung und Begleitung, wenn es um den Wunsch nach Pubertätsblockern und anderen medizinischen Eingriffen geht.