Psychiater und Psychologen weibeln im Parlament für das Recht von Kindern , am schulfreien Mittwochnachmittag auch ohne das Wissen der Eltern mal kurz beim Zivilstandbeamten vorbeizuschauen, um sich ihr neues Wunschgeschlecht im Personenstandsregister eintragen zu lassen. Wo sind wir bloss hingekommen?
Ein Kommentar von Dominik Lusser
Gäbe es noch „Blick am Abend“, hätte der Artikel „Trans-Experten fühlen sich von Keller-Sutter ‚missverstanden‘“ unbedingt in der Rubrik „Neues aus Absurdistan“ erscheinen müssen. Es sei absurd, empörte sich Alecs Recher vom Transgender Netzwerk Schweiz (TGNS) am 27. August 2020 gegenüber dem Blick. „Für die ganze medizinische Anpassung – die Hormonbehandlung, Operationen oder einfache Namensänderungen – sind urteilsfähige minderjährige Transmenschen nicht auf die Zustimmung der Eltern angewiesen.“ Bei der Anpassung des Geschlechts auf dem Papier hingegen schon.
Die Rede ist von einer Änderung im Zivilgesetzbuch, über welche die Rechtskommission des Nationalrats ebenfalls am 27. August beriet. Gemäss einem Gesetzesvorschlag aus dem Bundesamt für Justiz (BJ) sollen sogenannte „Trans“-Menschen, die an einer Geschlechtsidentitätsstörung leiden und darum ihren gesunden männlichen oder weiblichen Körper ablehnen, durch eine einfache Erklärung vor dem Zivilstandsbeamten Vorname und Geschlecht ändern können. Jede Begründungspflicht und ärztliche Begutachtung soll entfallen.
Auch Minderjährige jeden Alters sollen vom bedingungslosen Geschlechtswechsel profitieren können, allerdings nur mit Zustimmung ihrer Eltern, was den Transgender-Lobbyisten des TGNS zu wenig weit geht. Sie bestreiten partout den pathologischen Charakter des quälenden, bei Minderjährigen aber häufig ebenso flüchtigen Empfindens, im falschen Körper geboren zu sein.
„Missverstandene“ Experten
Im Ständerat, der die Vorlage bereits im Juni abgesegnet hat, warb Justizministerin Karin Keller-Sutter mit Berufung auf Experten für die Beibehaltung der elterlichen Zustimmungspflicht: „Kinder und Jugendliche sind im Bereich der Geschlechtsidentität, gerade während ihrer Pubertät, verletzlich“, argumentierte sie. Die jungen Menschen benötigten deshalb einen besonderen Schutz „gegen leichtsinnige Erklärungen oder den Einfluss von Dritten“. Sie habe diesen Aspekt intensiv mit Fachleuten diskutiert, erklärte die Justizministerin den Ständeräten. Doch soll sie angeblich etwas falsch verstanden haben, wie Experten nun in einem dem Blick vorliegenden Brief behaupten. Darin richten sich verschiedene Psychiater und Psychologen an die nationalrätliche Rechtskommission und erklären, Keller-Sutter habe ihre Haltung „missverständlich wiedergegeben“: Und weiter: „Es ist uns ein grosses Anliegen, Ihnen als Kommissionsmitglieder gegenüber richtigzustellen, dass wir Fachpersonen ein solches Zustimmungserfordernis stets abgelehnt haben.“ Wer diese Fachleute sind, verschweigt der Blick.
Allerdings ist es mittlerweile bekannt, dass die führenden Schweizer Fachpersonen, was Geschlechtsidentitätsstörungen bei Kindern angeht, der Transgender-Lobby sehr nahestehen. Auch ist zu beobachten, dass im Ausland kontrovers diskutierte Fragen zum Umgang mit sogenannten „Transkindern“ und „Transjugendlichen“ hierzulande unter der Glasglocke einer selbstreferenziellen Community – in einem „wissenschaftlichen“ Safe Space gewissermassen – behandelt werden. So ist es bezeichnend, dass das BJ schon 2018 in seinem Bericht zuhanden des Parlaments festhalten konnte: „Die Revision wird von allen konsultierten Personen unterstützt.“ Dieses Ergebnis mag zwar auch mit der ideologischen Wellenlänge des BJ zu tun haben, jedoch nicht nur. Die im Brief geforderte, wissenschaftlich nicht begründbare Radikalisierung der Vorlage spricht für sich.
Wenn sich die Trans-„Identität“ in Luft auflöst
Persönlich war ich in den letzten Tagen mit einem Artikel für die „Tagespost“ beschäftigt, in dem ich versuche, Schweizer Experten mit den Argumenten renommierter deutscher Psychiater und Sexualmediziner zu konfrontieren. Diese plädieren, wie sie 2016 in der Zeitschrift für Sexualforschung darlegten, einerseits dafür, die Entscheidung über einen amtlichen Geschlechtswechsel bei minderjährigen Betroffenen aus entwicklungspsychologischen und familiendynamischen Gründen nicht allein den Eltern und ihren Kindern zu überlassen, sondern auch dafür, unbedingt eine ärztliche Begutachtungspflicht für Minderjährige – zumindest bis 16 Jahre – beizubehalten. Bedauerlicherweise aber lehnten es alle angefragten Schweizer Psychiater und Psychologen ab, zu den Argumenten ihrer deutschen Kollegen Stellung zu beziehen– namentlich Prof. Dr. Udo Rauchfleisch sowie Dr. David Garcia Nuñez, die beide bereits vom BJ angehört worden waren; ferner Prof. Dr. Dagmar Pauli und lic. phil. Marie-Lou Nussbaum. Ob hier etwa „Alpenindianer_innen“ Angst vor der Kavallerie aus dem grossen Nachbarkanton bekommen haben?
Der Standpunkt, mit dem sich auseinanderzusetzen ich die Fachleute vergeblich gebeten hatte, kann in etwa so zusammengefasst werden: Vor und während der Pubertät lässt sich nicht mit genügender Sicherheit sagen, ob jemand auch als Erwachsener transsexuell leben wird. Bisherige Studien zeigen, dass sich in mindestens 75 Prozenten der Fälle eine im Kindesalter diagnostizierte Geschlechtsidentitätsstörung bis zur späten Adoleszenz – so die Experten wörtlich – „in Luft auflöst“, d.h. die Jugendlichen ihr Geschlecht und ihren gesunden Körper akzeptieren können. Umgekehrt verweisen die Experten darauf, dass eine zu frühe soziale Transition, zu der auch der amtliche Geschlechtswechsel gehört, den möglichen Aussöhnungsprozess mit dem eigenen Geschlecht negativ beeinflussen kann. Nicht zuletzt, weil auf einen amtlichen Geschlechtswechsel in vielen Fällen erwartungsgemäss hormonelle Geschlechtsumwandlungen folgen, die in ihren Konsequenzen teilweise nicht revidierbar und noch wenig erforscht sind, plädieren die Experten für eine Beibehaltung einer ärztlichen Begutachtungspflicht bis ca. 16 Jahre.
Warten schadet nicht
Vor dem Hintergrund des neuen, von Lisa Littman erst 2018 wissenschaftlich beschriebenen Phänomens der „Rapid-Onset Gender Dysphoria“, also einer plötzlich auftretenden Geschlechtsidentitässtörung im Jugendalter, nachdem die Betroffenen als Kinder keinerlei entsprechende Anzeichen gezeigt hatten, spräche einiges sogar für eine Begutachtungspflicht bis zur Volljährigkeit. Littman beschreibt die „Rapid-Onset Gender Dysphoria“, von dem viele ältere Teenager über 16 Jahre betroffen sind, als ein Phänomen sozialer Ansteckung, für das besonders psychisch vorerkrankte Jugendliche anfällig sind. Von Littman in einer Studie befragte Eltern berichten, dass sich ihre jugendlichen Kinder offenbar wegen der Beeinflussung in sozialen Medien oder in der Peergroup wie aus dem Nichts heraus als transsexuell outeten.
Wenn Bundesrätin Karin Keller-Sutter darum Kinder immerhin etwas besser schützen will, als es den Wünschen der Transgender-Lobby entspricht, verdient sie dafür alle Unterstützung. Unter Aspekten des Kindeswohls betrachtet, ist die Vorlage allerdings auch in der vom Bundesrat gutgeheissenen Fassung als grobfahrlässig zu bezeichnen. Es ist in der Tat absurd, Minderjährige, deren Identitätsfindung in vollem Gange ist, durch juristische Weichenstellungen in der Ablehnung ihres Körpers zu unterstützen.
In einem allerdings ist Trans-„Mann“ und Jurist Alecs Recher, der in der Bibliografie des BJ-Berichts gleich dreifach auftaucht, vollständig recht zu geben: Es ist nämlich ebenfalls absurd, wenn Minderjährige ohne elterliche Zustimmung eine hormonelle oder chirurgische Geschlechtsumwandlung machen können, das amtliche Geschlecht aber nicht alleine ändern dürfen. Die Frage ist nur, wie man diesen eklatanten Widerspruch auflöst. CVP-Nationalrat und Mitglied der Rechtskommission, Philipp Matthias Bregy, scheint dafür eine vernünftigere Lösung zu haben als die Trans-Lobbyisten von TGNS. Der Walliser fände es laut Blick richtig, wenn Jugendliche auch für die Hormontherapie die Zustimmung der Eltern bräuchten.
Mal kurz zum Zivilstandsbeamten?
Es ist in dieser ganzen Debatte immer wieder hilfreich, sich klar darüber zu werden, dass es einen Geschlechtswechsel, einen „sex change“ gar nicht geben kann und entsprechende Behauptungen darum nach Absurdistan gehören. Ein umoperierter Körper ist kein Körper des Wunschgeschlechts, sondern unfruchtbar. Darum haben sehr umstrittene Wissenschaftler wie John Money Mitte des letzten Jahrhunderts den Begriff „gender“ zur Bezeichnung einer vom Körper unabhängigen, innerlich gefühlten Identität erfunden, um damit die Praxis „geschlechtsumwandelnder“ Operationen bei Menschen mit Geschlechtsidentitätsstörungen zu rechtfertigen.
In einer an der Realität orientierten Gesellschaft und Politik würde man hingegen alle Geschlechtsumwandlungen – ob auf dem Papier, hormonell oder mit dem Messer – zum Schutz Minderjähriger gesetzlich zumindest von der Erreichung der Volljährigkeit abhängig machen. Doch heute muss man bescheiden bleiben, denn die Irrationalität scheint fast im Stundentakt mehr Raum einzunehmen. Soeben (28. August, 15.15 Uhr) erreichte mich die Medienmitteilung der nationalrätlichen Rechtskommision: Mit 15 zu 5 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgen deren Mitglieder dem ominösen Experten-Brief. Kindern soll es also möglich werden, z.B. am schulfreien Mittwochnachmittag auch ohne das Wissen der Eltern mal kurz beim Zivilstandbeamten vorbeizuschauen, um sich ihr neues Wunschgeschlecht eintragen zu lassen.
Das Plenum des Nationalrats hat es nun in der Herbssession in der Hand, dieser unerträglichen Absurdität Einhalt zu gebieten. Gutes Gelingen!