Im Vorfeld der Abstimmung am Ostersonntag zu seiner Ausstattung mit unumschränkten Vollmachten erlaubte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zunehmend gehässigere Angriffe auf innenpolitische Gegner und Kritiker im Ausland, ob er sie in Deutschland, den Niederlanden oder zuletzt auch der Schweiz ausfindig machte. Mit Verdächtigungen von Christen in der Türkei oder Angriffen auf westliche Kirchen hatte sich Erdogan bisher zurückgehalten – doch nun scheint es auch damit ein Ende zu haben.
Von Heinz Gstrein
Auf einer Kundgebung in Istanbuls Armenviertel Gaziosmanpasa verglich er Ende März die angebliche Verfolgung seiner Muslim-Landsleute in Mitteleuropa mit der „optimalen“ Lage von Christen in der Türkei. In seltenen Ausnahmefällen würde „hart gegen die Verantwortlichen vorgegangen“. Dazu klang Erdogans Drohung an, mit seinen christlichen Untertanen bald anders umzuspringen, sie quasi als Geiseln für ein Wohlverhalten der Europäer und Amerikaner zum Regime von Ankara zu nehmen.
Schon die Behauptung, dass Christen in der Türkei im Unterschied zu den Muslimen in der Schweiz und EU gut behandelt würden, ist blanker Hohn und entspricht schlichtweg nicht der Wahrheit: In der Türkei werden Christen nicht nur diskriminiert, sie werden sogar teils wegen ihres Glaubens ermordet. Christliche Gemeinden haben kein Eigentumsrecht, dürfen nicht einmal ihre Kirchen besitzen. In den letzten Jahren mussten unter Erdogan ein türkischer Pastor, ein evangelischer Christ und der deutsche Missionar Tilmann Geske, ein katholischer Bischof, ein italienischer Pfarrer und ein prominenter armenisch-orthodoxer Publizist ihren Glauben mit dem Leben bezahlen. Dabei konnte auch von Erdogans behauptetem „harten Vorgehen gegen die Verantwortlichen“ keine Rede sein: Im Fall der Morde von Malatya im April 2007 liess die Verurteilung der Täter bis zum Herbst 2016 auf sich warten, nachdem sie zwischendurch sogar einmal freigelassen wurden. Und beim im Januar 2007 in Istanbul auf offener Strasse ermordeten Armenier Hrant Dink ist das Strafverfahren gegen seine Mörder nach zehn Jahren immer noch im Gang.
Schon jetzt hat Erdogans Stellvertreter und Sprecher Numan Kurtulmus das lang verpönte Schimpfwort für Christen und Juden wieder salonfähig gemacht: Gavur, wörtlich Ungläubiger, doch im Sinne gebraucht von „Sauchrist“ bzw. „Saujude“. Er verkündete: „Was uns das Referendum am 16. April bringen wird – Die Unabhängigkeit, mit erhobenem Haupt alle Nicht-Muslime Sau-Ungläubige nennen zu dürfen!“
Inzwischen tun das TV-Sprecher, die Erdogan-Presse und unzählige Blogs schon in erschreckendem Ausmass. 2015 war nach Zählung einer türkischen Menschrechtsvereinigung „nur“ 65-mal die Beschimpfung „Gavur“ im Druck oder digital gewagt worden. Vor der Abstimmung tönte es nun aber an allen Ecken und Enden: „Gavura vurur gibi ‘Evet’ mührü vuracağız – Wie du den Sauchristen schlägst, so haust du dein Ja in die Abstimmungsurne!“