Wie kommt es, dass zahlreiche linke Aktivisten und Akademiker die Hamas und ihren blutigen Kampf gegen Israel unterstützen, ja zu rechtfertigen versuchen? Wo kreuzen sich die Wege der radikalislamischen Hamas-Terroristen und der ‚woken‘ Linksaktivisten, welche in diesen Tagen mit palästinensischen Fahnen durch die Strassen unserer Städte marschieren? Eine Spurensuche führt in die 1960er-Jahre und deckt Wurzeln der Gewaltbereitschaft auf.
Von Peter Bruderer, Daniel-Option
Das grausame Massaker an israelischen Zivilisten vor einigen Wochen hat schockiert und tief betroffen gemacht. Zurecht wurde die dafür verantwortliche Hamas von Menschen aus allen politischen Lagern verurteilt. Dennoch haben die vergangenen Wochen auch klar gemacht: Die Terroristen der Hamas scheinen in der westlichen Welt in den Reihen linker Aktivisten und Akademiker ihre heimlichen oder gar offenen Fürsprecher zu haben. Ob an der renommierten Harvard Universität, in den Studierstuben der Queer-Elite oder an den Klimademos von Greta Thunberg: viele Linksaktivisten solidarisieren sich mit den Palästinensern gegen die ‚unterdrückerische Besatzungsmacht‘ des Zionistenstaates Israel.
Dabei ist es scheinbar egal, dass es die palästinensische Hamas – die regierende Partei in Gaza – war, welche den wiederaufgeflammten Nahostkonflikt am 7. Oktober 2023 mit einem beispielslosen Blutbad an der israelischen Zivilbevölkerung losgetreten hat. Um die Relationen etwas aufzuzeigen: Es ist davon die Rede, dass die Ereignisse des 7. Oktobers das grösste Massaker an Juden seit dem Holocaust vor 80 Jahren waren. Das tiefsitzende Trauma der Juden wird durch diese grausame Abschlachtung von wehrlosen Zivilisten – darunter Frauen, Kinder, Holocaust-Überlebende – mit einem Schlag wiedererweckt.
Wie schräg die Identifikation gewisser ‚woker‘ Kreise mit radikalislamistischen Kriegstreibern im Gaza Streifen ist, hat in den vergangenen Wochen für Diskussionen gesorgt. Denn Feministinnen, welche in unseren Strassen ihre Palästina-Flagge schwenken, würden spätestens im muslimischen Gaza ihre Gleichberechtigung verlieren. Greta Thunbergs Klimaprogramm ist den Palästinensern schnuppe. Die ‚Queers for Palestine‘-Gruppe dürfte gar an Leib und Leben bedroht sein, wollte sie in Gaza-Stadt ihre Pride-Parade aufziehen.
Trotzdem werden die Fahnen geschwenkt, werden die „From the River to the Sea“-Chöre angestimmt, welche die Idee einer totalen Judenvertreibung aus dem Staatsgebiet Israels beschwört.
Wie kann es sein, dass eine ‚woke‘ Bewegung, welche sich den Kampf für eine gerechtere Welt auf die Fahne geschrieben hat, bei einem solchen Massaker einfach wegschauen kann? Wie kann es sein, dass selbst gewisse gestandene Politiker im linken Spektrum den Hamas-Terror um keinen Preis beim Namen nennen wollen?
Das Letzte, was ich möchte, ist, mich mit diesem Artikel als Fachmann für den Palästina-Konflikt präsentieren. Die Komplexität des Konfliktes ist enorm und das Leid tatsächlich auf allen Seiten gross. Die ganze Situation schreit zum Himmel. Ich für mich möchte hier nur der Frage nachgehen, woher die eigentümliche und scheinbar blinde Sympathie gewisser linker Kreise für ein palästinensisches Programm des gewaltsamen Kampfes gegen das jüdische Volk kommt.
Die Neue Linke definierte Täter und Opfer von Diskriminierung
Die Antworten zu meiner kleinen Frage sind unter anderem in neomarxistischen Ideen zu finden, welche in den späten 1960ern in einer linken westlichen Kulturelite auf fruchtbaren Boden fielen, aber auch in gewissen ehemaligen Kolonialstaaten Afrikas und des Orients für Inspiration sorgten.
Damals sprach man von der sogenannten ‚New Left‘ – der ‚Neuen Linken‘. Diese Bewegung suchte nach Wegen, wie marxistische Utopien auch in westlichen Kulturen Gestalt annehmen könnten, nachdem es dort mit dem ersehnten ‚Aufstand des Proletariats‘ nicht wirklich funktioniert hatte. Wegweisend für die Strategie, mit denen die New Left den Westen ‚knacken‘ wollte, waren Theorien des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci (1891–1937) und der sogenannten Frankfurter Schule mit der von ihr begründeten Kritischen Theorie.
Die neue Strategie fokussierte auf ein breites Spektrum sozialer Themen wie Bürgerrechte, Feminismus, Rechte von Homosexuellen, drogenpolitische Reformen oder die Revision traditioneller Familienwerte und Geschlechterrollen. Die Ziele sollten primär über das Einfordern von mehr sozialer Gerechtigkeit in diesen Bereichen erreicht werden.
Instrumente wie die Kritische Theorie und darauf aufbauend das Konzept der sogenannten Intersektionalität halfen, diskriminierte Gruppen und deren Diskriminierungsgrade sowie unterdrückende Gruppen und Systeme zu definieren. So kam es, dass der ‚weisse heterosexuellen Mann‘ zum Inbegriff des privilegierten Unterdrückers wurde, übertroffen nur noch vom ‚weissen heterosexuellen Christen‘.
In dieser Art, die Welt zu sehen, ist wahre moralische Autorität stets bei jenen Gruppen, die als diskriminiert identifiziert werden, die einen Opferstatus haben. Diese haben die Deutungshoheit über gesellschaftliche Situationen. Ihnen muss deshalb auch zugehört und geglaubt werden. Der privilegierte ‚weisse heterosexuelle Mann‘ aber, hat Busse zu tun für seine Privilegien und für die unterdrückende Wirkung seiner Peergruppe. Um seine moralische Stellung zu verbessern, muss er sich mit den Werten und Zielen der als diskriminiert identifizierten Gruppe solidarisieren und sich dem legitimen Kampf gegen ‚Aggressoren‘ anschliessen. Er muss zum ‚Alliierten‘ der Diskriminierten werden. Tut er das nicht, bleibt er gemäss dem neomarxistischen Deutungsmuster ein Aggressor, gegen den mit lauteren oder auch unlauteren Mitteln vorgegangen werden darf und der an den Pranger der öffentlichen Wahrnehmung gestellt werden muss.
Die ganze damit zusammenhängende Dynamik ist in unseren Tagen ausserordentlich prägend für unsere gesellschaftliche Entwicklung im Westen.
Die neomarxistische Logik der ‘woken’ Palästina-Solidarität
Ausgehend von einer akademischen Elite haben sich die erläuterten Konzepte mittlerweile tief in das Selbstverständnis unserer westlichen Gesellschaft eingegraben. Sie prägen auch die aktuelle Diskussion rund um die Palästina-Frage.
So haben die Denker der Neuen Linken und ihre ideologischen Erben auch die Kategorien der ‚Indigenous Peoples‘ (Indigene Völker) als marginalisierte Gruppe und der ‚White Settlers‘ (Weisse Siedler) als privilegierte, unterdrückende Gruppe geschaffen. Instrument der Unterdrückung ist in dieser Machtkonstellation der Kolonialismus.
Es ist allgemein bekannt, dass die historische Realität und die aktuelle Sachlage in Israel äusserst komplex sind. In den Kategorien der Kritischen Theorie aber sind die Rollen klar festgelegt: Der Staat Israel wird als ein Projekt des ‚westlichen Siedler-Kolonialismus‘ gesehen und gehört damit beseitigt. Ist die Kategorie des privilegierten Aggressors erst einmal so gesetzt, wird es für den ‚woken‘ Menschen mit Bewusstsein für Diskriminierung zur ‚heiligen Pflicht‘, sich als Alliierter auf die Seite der als marginalisiert und unterdrückt identifizierten Palästinenser zu stellen.
Doch um zu verstehen, warum selbst bestialische Gewalt gegen jüdische Zivilisten, wie sie am 7. Oktober stattgefunden hat, die ungebrochene Solidarität mit den Palästinensern nicht gefährden konnte, muss man einen Blick auf die Bedeutung von Gewalt im Denken der ‚New Left‘ werfen. Beispielhaft kann dies anhand von zwei Figuren vollzogen werden, welche in den 1960ern auch für unsere Zeit einflussreiche Schriften publizierten: der deutsch-amerikanische Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse (1898–1979) und der frankophone und im algerischen Unabhängigkeitskrieg engagierte Psychiater und Philosoph Frantz Fanon (1925–1961).
Frantz Fanon und seine Medizin der Gewalt
Wer den Spuren der akademischen Wurzeln des Hamas Terrors nachgeht, wie dies beispielsweise in einem guten Fachartikel vor einigen Wochen gemacht wurde, wird nicht nur auf Figuren wie den einflussreichen amerikanisch-palästinensischen Literatur-Professor Edward Said (1935–2003) stossen, sondern früher oder später auch auf Frantz Fanon. In Frantz Fanon finden wir eine Person, dessen Ideen nicht nur die Vordenker einer palästinensischen Befreiungsbewegung inspiriert haben, sondern in den 1960ern auch vom ‚Vater‘ der Neuen Linken, Herbert Marcuse aufgenommen wurden. Hier kreuzen sich die Wege der westlichen Sexualrevolutionäre und der antikolonialistischen Wortführer der dritten Welt.
Mit einflussreichen Büchern wie „Schwarze Haut, weisse Masken“ (1952) oder „Die Verdammten dieser Erde“ (1961) schrieb Fanon mitten in die Hochblüte afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen hinein. Fanon beeinflusste dabei sowohl Entkolonialisierungsbewegungen in der dritten Welt als auch revolutionäre Bewegungen innerhalb der westlichen Welt wie zum Beispiel die Bewegung der Black Panther in den USA.
Mit dem erwähnten Buch „Schwarze Haut, weisse Masken“ gab Fanon diesen Bewegungen ein Bewusstsein für psychologische Pathologien, die durch den Kolonialismus hervorgerufen werden. Seine These: Kolonialismus und Rassismus lässt die Psyche sowohl der Schwarzen als auch der Weissen verderben, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Der ‘Negro’ wird dabei durch seinen Minderwert versklavt und der ‘Weisse Mann’ durch seine Überlegenheit. Fanons Feststellung, dass Rassismus nicht nur durch individuelle Vorurteile oder Institutionen, sondern auch durch die Kultur in Form von tief verwurzelten Denkmustern überlebt, ist richtig und wichtig. Seine in diesem Buch entwickelte Sprache findet heute Widerhall in modernen Begriffsbildungen wie zum Beispiel ‚white Supremacy’ (=weisse Vorherrschaft).
Fanon lieferte aber nicht nur ein Psychogram für die Unterdrückten, sondern auch ein Programm, eine Medizin. Diese Medizin hiess Gewalt. Davon handelt sein letztes Buch „Die Verdammten dieser Erde“, welches kurz vor seinem Tod publiziert wurde. Einige Auszüge aus dem ersten Kapitel des Buches geben einen Eindruck:
„Nationale Befreiung, nationale Wiedergeburt, Rückgabe der Nation an das Volk oder das Gemeinwesen, egal wie man es nennt, egal wie man es ausdrückt, die Entkolonialisierung ist immer ein gewaltsames Ereignis.“ (eigene Übersetzung)
„In ihrer nackten Realität riecht die Dekolonisierung nach glühenden Kanonenkugeln und blutigen Messern. Denn wenn die letzten die ersten sein sollen, so kann das nur nach einer mörderischen und entscheidenden Konfrontation zwischen den beiden Protagonisten geschehen.“ (eigene Übersetzung)
„Man kann eine Gesellschaft, so primitiv sie auch sein mag, nicht mit einer solchen Agenda desorganisieren, wenn man nicht von Anfang an entschlossen ist, jedes Hindernis, auf das man stösst, zu zerschlagen. Der Kolonisierte, der sich dazu entschlossen hat, dieses Programm zu realisieren, sich zu seinem Motor zu machen, ist von jeher auf die Gewalt vorbereitet. Seit seiner Geburt ist es für ihn klar, dass diese beengte, mit Verboten durchsetzte Welt nur durch absolute Gewalt herausgefordert werden kann.“ (eigene Übersetzung)
„Die koloniale Welt zu zerstören, bedeutet nichts anderes, als den kolonialen Sektor zu vernichten, ihn so tief wie möglich in den Boden einzustampfen oder ihn aus dem Gebiet zu verbannen.“ (eigene Übersetzung)
In den Texten von Fanon wird Gewalt zum Ritual mit religiösen Zügen. Tod und Wiedergeburt des unterdrückten Menschen geschehen durch Gewalt. Gewalt ist die Taufe, welche aus dem Unterdrückten einen neuen Menschen macht. Gewalt ist ein notwendiger Akt zur psychologischen Wiederherstellung des Unterdrückten.
Der Philosoph Jean-Paul Sartre beschreibt dieses Denken von Fanon in seiner Einleitung zur englischen Übersetzung folgendermassen:
„Einen Europäer zu töten bedeutet, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, Unterdrücker und Unterdrückte in einem Zug zu beseitigen, den einen zu töten und den anderen freizulassen.“ (eigene Übersetzung)
Zur Verteidigung der Gewaltausübung kolonisierter Volksgruppen argumentierte Fanon, dass Menschen, welche von ihren Kolonialherren nicht als solche betrachtet werden, gegenüber ihren diesen auch nicht an die Grundsätze der Menschlichkeit gebunden sind.
Herbert Marcuse und seine Intoleranz gegen alles Nicht-Linke
Interessant ist nun die Feststellung, dass die gewalttätigen Befreiungsfantasien von Fanon nicht nur in marxistischen Bewegungen der dritten Welt oder in muslimischen Befreiungsbewegungen wie derjenigen der Hamas Fuss gefasst haben. Sie haben unter anderem auch durch den ‘Vater’ der neuen Linken, Herbert Marcuse, in die DNA von linksaktivistischen Bewegungen unserer Tage Eingang gefunden.
Beispielhaft dafür kann der einflussreiche Aufsatz von Marcuse über „Repressive Toleranz“ aus dem Jahre 1965 beigezogen werden. Marcuse lehnt darin einen ‚neutralen‘ Toleranzbegriff kategorisch ab. Die angebliche gesellschaftliche Toleranz für alternative Konzepte und Perspektiven sei vielmehr bestimmt von repressiver Toleranz gegenüber diesen Alternativen. Die dominante Gruppe erhält ihre Macht aufrecht, indem sie Toleranz vorgibt, tatsächlich aber durch ihre hegemoniale Macht über den Zivilapparat die in der Gesellschaft vorherrschende Ideologie kontrolliert.
Der linksrevolutionär Marcuse will die Menschen unbedingt in die Freiheit seiner marxistischen Utopie führen. Die repressive Toleranz der dominanten Kultur steht im Wege. Für ihn ist deshalb klar, dass wahre und befreiende Toleranz nur durch die Etablierung einer neuen Intoleranz möglich ist:
„Befreiende Toleranz würde mithin Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts bedeuten und Duldung von Bewegungen von links.“
Wenn dem Volk zu einer aus Sicht von Marcuse ‚befreiten Toleranz‘ verholfen werden soll, geht dies nur über eine Intoleranz gegenüber rechten Bewegungen. Das dies selbst wiederum ein gefährliches totalitäres Konzept ist, versteht sich hoffentlich von selbst.
Interessant ist nun, dass Marcuse zur Stützung seiner These mehrfach Frantz Fanon und „Die Verdammten dieser Erde“ referenziert. So zitiert er aus der von Jean-Paul Sartre verfassten Einleitung:
„Aber wenn das gesamte Regime und selbst eure gewaltlosen Gedanken durch jahrtausendealte Unterdrückung bedingt sind, dann dient eure Passivität nur dazu, euch auf die Seite der Unterdrücker zu stellen.“
Marcuse greift hier Gedanken aus dem Buch von Fanon auf, welche die gewaltlose Einstellung Betroffener quasi als Produkt repressiver Toleranz darstellen. Die implizite Botschaft: Mit Gewaltlosigkeit dient der Unterdrückte nur dem Unterdrücker. Es gibt demzufolge eine legitime Alternative, bei der man sich nicht der passiven Unterstützung des Unterdrückers schuldig macht: Gewaltausübung.
Ebenfalls greift Marcuse zum von Fanon geprägten Begriff der ‚Verdammten dieser Erde‘ in seinem programmatischen Appell, Andersdenkende mittels Toleranzentzug zu erziehen:
„Es sollte mittlerweile klar sein, dass die Ausübung bürgerlicher Rechte durch die, die sie nicht haben, voraussetzt, dass die bürgerlichen Rechte jenen entzogen werden, die ihre Ausübung verhindern, und dass die Befreiung der Verdammten dieser Erde nicht nur Unterdrückung ihrer alten, sondern auch ihrer neuen Herren voraussetzt. Dass rückschrittlichen Bewegungen die Toleranz entzogen wird, ehe sie aktiv werden können, dass Intoleranz auch gegenüber dem Denken, der Meinung und dem Wort geübt wird (Intoleranz vor allem gegenüber den Konservativen und der politischen Rechten) – diese antidemokratischen Vorstellungen entsprechen der tatsächlichen Entwicklung der demokratischen Gesellschaft, welche die Basis für allseitige Toleranz zerstört hat. Die Bedingungen, unter denen Toleranz wieder eine befreiende und humanisierende Kraft werden kann, sind erst herzustellen.“
Diese Zeilen lesen sich etwas kompliziert. Aber sie geben Hinweise auf die gesellschaftliche Strategie, welche linksaktivistische Kreise seit Jahren sehr erfolgreich umsetzen. Demnach sind demokratische Gesellschaften nicht imstande, die Rahmenbedingungen für die gewünschte ‚befreiende Toleranz‘ sicherzustellen. Es braucht deshalb eine Umerziehung des Menschen. Diese geschieht durch Machtergreifung in den meinungsbildenden gesellschaftlichen Gefässen und durch das Etablieren einer Kultur der Intoleranz gegenüber dem Denken, der Meinung und dem Wort derer, welche nicht ins ideologische Programm passen. Wehe, du äusserst dich heute an der Öffentlichkeit kritisch gegenüber gewissen gesellschaftlichen Auswüchsen unserer Zeit. Da hast du sofort deinen Shitstorm oder riskierst gar deine berufliche Stellung.
Mittendrin in dieser für unsere westliche Welt so entscheidenden Rationalisierung einer linken Intoleranz finden wir also auch Frantz Fanon. Dies zeigt auf, wie tief auch seine Gedankenwelt die Neue Linke geprägt hat. Die Befreiung der ‚Verdammten dieser Erde‘ bedingt die Unterdrückung ihrer Herren. Der Zweck heiligt dabei die Mittel. Die Vision einer befreienden linken Utopie bedingt den Aufbau einer bewusst intoleranten Leitkultur mit Sprach- und Gedankenpolizei.
Wer nach dem klassischen Lese-Menü für einen durchschnittlichen 68er-Revolutionärs sucht, der wird zum Beispiel im Sammelband „The New Left Reader“ aus dem Jahre 1969 fündig. Hier wird dem fortschrittlichen und nach gesellschaftlicher Transformation strebenden Menschen jener Zeit vorgeschlagen, wie die Utopie einer neuen und gerechteren Welt Gestalt annehmen könnte. Hier finden wir sie alle vereint: ob es nun der marxistische Revolutionär Fidel Castro oder der grüne Studentenführer und Pädophilen-Sympathisant Daniel Cohn-Bendit ist, ob es nun der Sexualrevolutionär Herbert Marcuse oder der Prophet der Gewalt Frantz Fanon ist.
Um es nochmals festzuhalten. Hinter die gewalttätigen Befreiungsträume von Fanon hat sich der berühmte Jean-Paul Sartre gestellt. Herbert Marcuse hat ihn geadelt. Diese Denkweise, dass Gewalt ein probates Mittel zur Durchsetzung der linken Ideologie ist, trägt bei den alljährlich Nachdemonstrationen am 1. Mai ihre logischen Früchte.
Auch in unseren Tagen wird Fanon gehuldigt. Zuletzt durch den allseits respektierten Bürgerrechtler und Philosophen Cornel West. Für die aktuelle englischsprachige Kindle Ausgabe von „Die Verdammten dieser Erde“ hat er eine glühende Einleitung geschrieben. Die ersten Worte daraus:
„Frantz Fanon ist der grösste revolutionäre Visionär von Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Er ist auch der relevanteste für das einundzwanzigste Jahrhundert.“ (eigene Übersetzung)
Wir müssen verstehen: Cornel West hat Professuren für rund sieben verschiedene Universitäten gehalten. Darunter Harvard, Yale und Princeton.
Die Wege der links-progressiven westlichen Bewegungen, welche uns in den vergangenen Jahrzehnten sexuelle Befreiung als politisches Programm und in der jüngeren Geschichte Theorien der sexuellen Vielfalt, queere Theorie und dergleichen gebracht haben, kreuzen sich in den 1960er Jahren mit gewaltbereiten Befreiungsphilosophien, welche heute radikale muslimische Bewegungen wie die Hamas inspirieren.
Die Hamas und ihr ‚wokes‘ Vokabular
Ein Blick auf ein aktuelleres Positionspapier der Hamas aus dem Jahre 2017 zeigt, wie gut diese Terrorbewegung es versteht, neben islamistischen Kampfparolen auch das Vokabular einzubauen, welches das Herz jedes ‚woken‘ Marxisten höherschlagen lässt. So lesen wir beispielsweise, Israel als „zionistisches Projekt“ sei „ein rassistisches, aggressives, koloniales und expansionistisches Projekt“. Das sind Worte, welche dem ‚woken‘ Neomarxisten sofort sagen, mit welcher Seite er sich zu solidarisieren hat. Es sind Worte, welche direkt aus einem akademischen Paper an einer westlichen Universität zitiert sein könnten. Es sind Worte, welche zum Beispiel aus der Abteilung ‚Urban Studies‘ der Universität Basel stammen könnten, welche ‚Zionismus‘ in einem Atemzug mit ‚Rassismus‘, ‚Antisemitismus‘, ‚Islamophobie‘, ‚Sexismus‘, ‚Homophobie‘ und ‚Transphobie‘ nennt.
Wer in die Entstehungszeit der Hamas zurückgeht, findet in ihrer Gründungscharta weitere solche Formulierungen. Ein Beispiel aus Artikel 15 über die Pflicht zum ‚Dschihad‘ zur Befreiung Palästinas:
„Das Bildungssystem muss grundlegend verändert werden, um es von den Auswirkungen der ideologischen Invasion durch die Orientalisten und Missionare zu befreien.“
Der israelische Staat ist in den Augen der Hamas wie auch in den Augen eines einflussreichen westlichen Akademikerzirkels ein westliches siedlungskolonialistisches Projekt, welches die palästinensische Bevölkerung verdrängen respektive umerziehen will. Im Denken von Fanon wie auch von Marcuse bedeutet dies: Die palästinensische Bevölkerung muss sich gewalttätig erheben, und sie hat sich in ihrem Kampf an keine Regeln zu halten. Denn: Die Personengruppe oder das Volk, der durch Unterdrückung die Menschlichkeit genommen wurde, darf sich auch unmenschlich verhalten. In diesem Denkschema ist die palästinensische Gewalt schlicht und einfach legitim, berechtigt und sogar nötig.
Fazit: Lieber christlich-jüdisches Menschenbild als Neomarxismus
Um es hier deutlich zu sagen: Es gibt auch aus rechten Kreisen Judenhass und Antisemitismus, der genauso klar verurteilt gehört. Die Motivationen und Hintergründe mögen andere sein und bräuchten einen eigenen Artikel. Ich bin froh und dankbar, dass es im linken Spektrum auch andere Stimmen gibt als die nun beschriebenen. Auch das soll an dieser Stelle in aller Deutlichkeit festgehalten werden. So war bei uns in der Schweiz an einer Kundgebung vom 2. November 2023 in Zürich mit Daniel Jositsch (Ständerat SP) ein prominenter Politiker des linken Spektrums vertreten, der seine Stimme gegen den Hass und die Gewalt an Juden erhoben hat. Klar: Jositsch ist selbst Jude. Es gibt aber viele weitere Beispiele linker Politiker, die sich gegen die Massaker des 7. Oktober 2023 und gegen Antisemitismus äussern.
Dennoch: Die jüngsten Ereignisse haben die Logik des neomarxistischen Denkens meines Erachtens auf erschreckende Weise zutage gefördert. Diese Logik wird gut sichtbar in einer aktuellen Brandrede des bereits erwähnten Cornel West an einer Pro-Palästinensischen Demonstration vor dem UNO-Hauptsitz in New York. Zu dieser Logik gehört: Der Fokus, die Fürsorge und Unterstützung gilt allein der Personengruppe, welche als die Unterdrückte identifiziert worden ist – in diesem Fall die Palästinenser. Ihr Land ist „besetzt“. An ihnen wird „ein Genozid verübt“. Ihr Alliierter gilt es nun zu sein, komme was wolle. Kein Wort über die Gräueltaten der Hamas. Kein Wort darüber, wie die Hamas ihre eigene Bevölkerung als lebendige Schutzschilde missbraucht. Die Regeln der Intersektionalität gebieten es, dass sich Privilegierte mit den ‚Unprivilegierten‘ zu solidarisieren haben – selbst, wenn diese Gräueltaten begehen.
Solche fixen und ideologisch vorgespurten Solidaritätsmechanismen führen denn auch zu den eigenartigen Auswüchsen, welche das westliche Gesicht des aktuellen Konfliktes prägen. Feministinnen finden sich auf einmal auf der Seite der Terroristen wieder, welche am 7. Oktober jüdische Frauen geschändet haben. Friedensaktivisten finden sich auf einmal auf der Seite radikaler islamistischer Dschihadisten. Queere marschieren in den Strassen des Westens in Solidarität mit denjenigen, welche ihren Lebensstil in jeder Hinsicht ablehnen und konsequent unterdrücken würden.
Unrecht schreit zum Himmel. Unrecht sollte als solches genannt werden, unabhängig davon, wer dieses Unrecht ausübt. Wir alle sollten uns für eine bessere und gerechtere Welt einsetzen – aber nicht nach dem Regelbuch von Fanon oder Marcuse. Ihre revolutionären Utopien führen eher zur Zerstörung des Menschen als zu seinem Heil. Das neomarxistische Deutungsmuster und das damit verbundene Heilmittel der gewaltsamen Revolution ist eine Gebärmaschine von neuem Unrecht und stetiger Gewalt. Die nach selbstgewählten Parametern erfolgende Einteilung der Menschen in ‚gute‘ und ‚böse‘ Personengruppen, in ‚unschuldige‘ und ‚schuldige‘ Kasten, wird der Tatsache nicht gerecht, dass gemäss christlichem Menschenbild die Sünde aus dem Herzen jedes Menschen kommt. Jeder Mensch macht sich vor Gott und anderen Menschen schuldig und braucht Gnade.
Als Christen sind wir angehalten, Gottes Wege der menschlichen Befriedung zu suchen und zu leben. Gewisse Ansätze dazu habe ich bereits vor einiger Zeit zu formulieren versucht in einem Text über die Überwindung kultureller Gräben. Tatsache ist: das selektive Regelwerk der Utopisten, welche einem linken politischen Spektrum alle Freiheiten zur Manipulation und Gewaltanwendung geben, während sie genau diese Dinge bei anders Denkenden anprangern, ist verlogen. Dieses Regelwerk führt in der Praxis aktuell zu tolerierter Grausamkeit an unschuldigen Frauen und Kindern in Israel und zu toleriertem oder gar praktiziertem Hass gegenüber den Juden als Volkgruppe. DAS ist nicht tolerierbar.
Peter Bruderer ist Architekt und Blogger bei der Daniel-Option, einer Plattform, die dem Verfall christlicher Werte entgegentreten möchte.