Gemeinhin ist Viktor Frankl als Überlebender von vier Konzentrationslagern und als Begründer der „Logotherapie“, einer sinnzentrierten Psychotherapie, bekannt. Doch hat sich Frankl auch sehr klar und pointiert zu Themen wie Liebe und Sexualität geäussert. Aussagen, die von zeitloser Bedeutung sind.

Von Ralph Studer

Was hat der angesehene Wiener Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl (1905–1997) mit Sexualerziehung zu tun? Auf den ersten Blick scheinbar wenig bis gar nichts. Auf den zweiten Blick stösst man bei Frankl auf wertvolle Gedanken, die gerade für die heutige Sexualerziehung von grossem Nutzen sind.

Übergriffige Sexualerziehung

Die heutige Sexualerziehung basiert auf Lust und Triebbefriedigung und verharmlost die Pornographie und deren Folgen. Beispielhaft sei hier nur die Broschüre „Hey You“ erwähnt, die von der staatlich geförderten Organisation „Sexuelle Gesundheit Schweiz“ unterstützt und empfohlen wird. Sie richtet sich an Kinder ab zwölf Jahren und gibt ihnen Masturbationstipps, Gebrauchsanweisungen für Sex-Toys und konfrontiert sie mit Illustrationen von Umschnalldildos.

Was hier gezeigt und den Kindern und Jugendlichen vorgeführt wird, geht weit über ein gesundes Mass an erlaubter Sexualaufklärung hinaus. Die Neue Zürcher Zeitung bezeichnete „Hey You“ deshalb zurecht als „Porno-Broschüre“.

Ein anderes Beispiel von übergriffiger Sexualerziehung bietet aktuell der Verein „Achtung Liebe“. Privatpersonen ohne pädagogische Ausbildung, so berichtete unlängst der Verein „Schutzinitiative“, erzählen Schulkindern von „kreativen“ Sexualpraktiken und verletzen so deren Schamgefühl. Professor Dr. Jakob Pastötter, der auf Anfrage des Vereins das Konzept von „Achtung Liebe“ untersuchte, kommt zu einem klaren Urteil: Er kritisiert u.a., dass die Kinder weder urteilsfähig noch skeptisch genug sind und diesen „Sex-Workshop“ über sich ergehen lassen müssen. Die Lehrer würden vor die Tür gestellt und die Eltern gar nicht oder nur oberflächlich informiert.

Von Wissenschaftlichkeit könne keine Rede sein. Die ungelernten „Sexualpädagogen konfrontieren die Kinder ohne Vorwarnung mit einer Pornosprache bzw. einem Jugendslang und mit intimsten Fragen, die als übergriffig und demütigend erfahren werden, so Pastötter weiter. Das sei pädagogisch und psychologisch äusserst fragwürdig und stelle eine gravierende Grenzverletzung dar.

Frankls Sicht auf Liebe und Sexualität

Diese Art von Sexualerziehung verkennt die Liebe und die Bedeutung der Sexualität völlig und dient allein der Übernahme einer Ideologie, die mit Begriffen wie „sexuelle Bildung“, „Lustzentrierung“, „feministische“ Ausrichtung und den Einsatz für „LGBTQIA+*-Menschen“ arbeitet. Es ist nicht mehr das Ziel, die Kinder und Jugendlichen zu liebes- und bindungsfähigen jungen Menschen zu erziehen und ihnen die Schönheit der Liebe und Sexualität vor Augen zu führen.

Frankl dagegen hebt die Bedeutung der Liebe und Sexualität in ihrem tieferen Kern in den Vordergrund. In seinem Buch „Der Wille zum Sinn“ zeigt er auf, wie der Partner entwertet und die Sexualität entmenschlicht wird, wenn allein Lust im Zentrum steht. „Denn wirklich menschliche Sexualität ist immer auch schon mehr als blosse Sexualität, und zwar insofern, als sie Ausdruck eines Liebesstrebens ist“, so Frankl.

Sexualität setzt eine Stufe der Reife beim Menschen voraus. Fehlt diese, kommt es zum Missbrauch des anderen, wird der andere zum „Triebobjekt“. Frankl gibt zu bedenken, „dass der Mensch, der einen Mitmenschen wirklich nur zum Zweck der Abfuhr von Erregung und Spannung gebraucht, den Geschlechtsverkehr in Wirklichkeit in einen masturbatorischen Akt umfunktioniert“.

Wann ist die Reife erreicht?

Ein solches Verhalten zeigt gerade, dass der Mensch die entsprechende Reife noch nicht erreicht hat. Diese ist nach Frankl dann gegeben, „wenn sich der eine auf den anderen nicht mehr wie auf ein Mittel zum Zweck bezieht, nicht mehr wie auf ein Objekt, vielmehr wie auf ein Subjekt“. Dann wird „aus der Beziehung eine Begegnung, in deren Rahmen der eine Partner vom anderen in seiner Menschlichkeit erfasst wird. Wird er aber von ihm nicht nur in seiner Menschlichkeit, sondern auch in seiner Einmaligkeit und Einzigartigkeit erfahren, so schlägt die Begegnung in eine Liebesbeziehung um.“

Frankls Ausführungen liegen hier zu Recht auf der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit des Einzelnen bei der menschlichen Sexualität. Der Geliebte ist dann gerade nicht austauschbar und nur in dieser reifen Phase ist der Mensch imstande, im Partner ein einmaliges und einzigartiges Wesen zu sehen, eine Person. Fehlt diese Reife, bleibt der Geschlechtsverkehr nach Frankl „wahllos“, „ohne Ansehen der Person“.

Dabei steht die Sexualität, die heutzutage mehr und mehr von der Liebe entkoppelt wird, gerade im Dienst der Partnerbindung. Sie setzt nach Frankl ein partnerschaftliches Verhältnis voraus, also „Liebe als individualisierte Bindung“. Diesen Aspekt hebt der Wiener Psychiater besonders hervor: „Liebe ist individualisierte Partnerbeziehung und ein ständiger Partnerwechsel widerspricht dem. „Wir sind“, so Frankl, „in diesem Sinne für Dauerpartnerschaften ehelicher Art angeborenermassen disponiert“.

Heutige Sexualerziehung geht am Kern vorbei

Übertragen auf die heute in den Schulen gängige Sexualerziehung müsste ein grundlegendes Umdenken stattfinden. Weg von der propagierten Verhandlungsmoral, bei der alles erlaubt ist, sofern es für den anderen stimmt, hin zu einer auf Bindung und Vertrauen basierenden Liebes- und Beziehungsfähigkeit. Weg auch von dieser Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Sexualpartner hin zu einer auf Treue und Hingabe basierenden Partnerschaft. Alles andere wird dem Menschen und seinem Wesen nicht gerecht und schadet ihm. Denn Sexualität betrifft den ganzen Menschen in seinen drei Dimensionen: in seiner körperlichen und psychischen Dimension, aber auch in seiner Beziehungsdimension. Pornografie und Promiskuität (mehrfacher Partnerwechsel) verhindern genau eine solche Entwicklung zur Reife, wie sie Frankl beschreibt.

Von Frankl lernen

Frankls Aussagen stellen das Wesen und die Natur des Menschen in den Fokus und sind deshalb von zeitloser Bedeutung. Sie haben mehr denn je Aktualität angesichts einer heute ideologisierten Sexualerziehung, die dem Innersten des Menschen widerspricht. Seine Gedanken können hierbei wertvolle Impulse geben, wie Sexualerziehung eigentlich stattfinden sollte: die Kinder und Jugendlichen in ihrer Beziehungs- und Liebesfähigkeit stärken und die tiefe Werthaftigkeit der Sexualität wieder in den Vordergrund rücken.

Zukunft CH hat eine Broschüre zum Schutz von Minderjährigen vor Pornographie herausgebracht. Sie können den Ratgeber auf Deutsch oder Französisch bestellen (Bestellungen aus dem Ausland nur bei Übernahme des Portos). Mehr dazu unter: Kinder wirksam vor Pornografie schützen

 

Empfohlene Materialien zur Sexualerziehung: 

Regula Lehmann & Pascal Gläser, Wir Powergirls – Das schlaue Mädchenbuch, Cool School Edition, Fontis 2020

Regula Lehmann & Pascal Gläser, Rakete startklar! – Wie aus Jungs echte Kerle werden, Cool School Edition, Fontis 2020

Lehrmittel „Powergirls & Starke Kerle“ für den Sexualkundeunterricht in der 5. und 6. Klasse, von Safersurfing, neun Unterrichtseinheiten für einen ganzheitlichen und entwicklungssensiblen Sexualkundeunterricht. Altersstufe: Vorpubertät, 10–13 Jahre, mit Arbeitsblättern und Materialien, individuell einsetzbaren Elemente, mit Elementen zur Prävention von Übergriffen, Sexting und Pornografiesucht

Infos/Bestellung:

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