Am 3. März 2013 entscheiden Schweizer Volk und Stände über den neuen Verfassungsartikel 115a zur Familienpolitik. Dadurch würden Bund und Kantone dazu verpflichten, durch die Schaffung von familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen die „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf zu fördern. Das ganze Programm wurde vom Bundesrat bei der Pressekonferenz vom 18. Januar 2013 als Dienst an den zahlreichen Familien angepriesen, bei denen heute „beide Eltern berufstätig sein müssen oder wollen“.
Das Hauptaugenmerk des Bundesrats scheint aber nicht bei der Unterstützung armer Familien zu liegen, die auf zwei Einkommen angewiesen sind. Vielmehr geht es primär um die Erweiterung der individuellen Wahlfreiheit sowie um die künstliche Gleichstellung von Mann und Frau, für die ein selbst zu betreuendes Kind selbstverständlich ein Hindernis darstellt. Deswegen, so das Programm des Bundesrats, sollten „Organisatorische Hürden der Berufstätigkeit von Müttern“ eliminiert werden. Die Zukunftsvision von Innenminister Alain Berset ist es gar, wie er kürzlich in einem Interview mit einem Elternmagazin sagte, bald Mütter mit kleinen Kindern im Bundesrat zu sehen. „Karriere und Kleinkinder unter einen Hut zu bringen“ sei für ihn nur eine Frage der guten Organisation und des Verständnisses innerhalb der Familie. Darum könne es nicht sein, dass eine Karriere für junge Mütter unmöglich sei.
Wie aber zum Beispiel ein Säugling dafür Verständnis haben sollte, dass ihn seine Mutter nicht an Ihrer Brust stillt, sondern von ständig wechselnden Krippenammen mit dem Schoppen füttern lässt, darauf geht Alain Berset nicht ein. Seine Familienpolitik und die des gesamten Bundesrats ist denn auch nicht etwa subsidiäre Hilfe für die Kernzelle der Gesellschaft, sondern Ausdruck jenes ideologischen Zeitgeistes der freien Selbstverwirklichung, nach der es keine natürlichen Bedingungen mehr geben darf, die man zum Wohl der Familie, des Ehepartners und der Kinder, einfach akzeptiert. Alles ist eine Frage der Organisation und des Aushandelns zwischen freien Subjekten geworden. Ein gravierendes Problem dabei ist nur, dass nicht alle Beteiligten oder Betroffenen selbstbestimmte Subjekte sind, die ihren Willen in die Verhandlungen einbringen könnten. Die allmorgendliche Stunde Weinen des Kindes bei der Abgabe in der Krippe zählt als Stimme nichts, weil man sie, je nach Interesse, beliebig interpretieren kann.
Doch schaden so handelnde Eltern nicht nur ihren Kindern, sondern auch sich selbst. Die geradezu infantile Idee, sich nicht entscheiden, sondern alle, auch unvereinbare Optionen gleichzeitig realisieren zu wollen, um so das Lebensglück zu maximieren, ist eine Illusion. Ist doch die Lebenssituation zweier voll berufstätiger Eltern, die auf dem Rückweg von der Arbeit ihre Kinder von der Krippe abholen und deren Bedürfnissen am Abend auch noch gerecht werden sollten, für keinen der Beteiligten eine beglückende Situation. Wenn unter solchen, zwar bestens organisierten aber dennoch auf Dauer nicht lebenswerten Verhältnissen künftig noch mehr Ehen in die Brüche gehen sollten, dürfte das einen nicht wundern. Und ob eine Familienpolitik, die diesen fatalen Trend der Auflösung der Familie und der Atomisierung der Gesellschaft künftig auch noch mit Milliarden fördern will, als nachhaltig bezeichnet werden darf, muss bestritten werden.
Nicht dass eine Mutter abgesehen von der Betreuung ihrer Kinder gar nichts mehr tun dürfte. Das sicher nicht! Nebenbei erwähnt gibt es aber neben der Erwerbsarbeit auch zahlreiche ehrenamtliche Möglichkeiten, seine Talente in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Diese haben den Vorteil, mit dem Familienleben oft besser vereinbar zu sein. Erwähnenswert scheint mir in diesem Zusammenhang, dass die zunehmende Teilnahme von Frauen am Erwerbsleben in den letzten Jahren – zum Beispiel an manchen Orten im Kanton Luzern – zu einer Abnahme weiblicher Kandidaturen für lokale politische Ämter geführt hat, was zu bedauern ist.
Doch müssen Mutter und auch Vater (!) bei der Wahl ihrer ausserfamiliären Engagements stets ihre Paarbeziehung sowie das Wohl der Kinder – und eben nicht die finanzielle Unabhängigkeit vom Partner und der ungehemmte Selbstverwirklichungsdrang – als entscheidende Kriterien in den Mittelpunkt stellen. Zudem sollten sie nach Jahrzehnten (teilweise gerechtfertigter) Emanzipation von sozialen Geschlechterrollen wieder lernen, doch wenigstens die Rollen anzunehmen, die ihnen ihre eigene Natur zugeteilt hat und die darum nicht ohne Konsequenzen umkehrbar sind. Auf diese Weise könnte das immer mehr schwindende Verständnis davon erneuert und vertieft werden, wie sich Mann und Frau zur idealen Lebensgemeinschaft auch für Kinder ergänzen können.
Eine auf Nachhaltigkeit bedachte Familienpolitik aber sollte nicht primär darauf zielen, individuelle Freiräume zu erweitern, welche die Spannung zwischen Familie und ausserfamiliären Möglichkeiten nur vergrössern, sondern darauf, die Familie vor dem drohenden Auseinanderbrechen zu schützen. Insbesondere wären finanzielle Entlastungen von Familien gefragt, die mit einem Erwerbseinkommen nicht über die Runden kommen. Welchen familienpolitischen Weg die Schweiz in Zukunft beschreiten wird, hängt wesentlich vom Ausgang der Abstimmung vom 3. März ab. Darum ist jede Stimme wichtig.
Von Dominik Lusser