Am 17. Dezember 2019 stellte Bundesrätin Keller-Sutter die Argumente des Bundesrats für eine Erweiterung der Rassismus-Strafnorm um das Kriterium der sexuellen Orientierung vor. Diese erfordern einige wesentliche Klarstellungen, findet das Abstimmungskomitee „Nein zu diesem Zensurgesetz“.

1. Kritische Haltung des Bundesrats

Als erstes sei in Erinnerung zu rufen, dass der Bundesrat der Erweiterung der Rassismus-Strafnorm gegenüber anfänglich kritisch eingestellt war. In seinem Bericht zur parlamentarischen Initiative Reynard bzw. in der Ratsdebatte hat er eine zögerliche Haltung eingenommen. Der Bundesrat vertrat die Ansicht, dass diese Gesetzesverschärfung „nicht vordringlich“[1] bzw. „nicht zwingend“ sei. Er wies darauf hin, dass das Strafrecht nur als letztes Mittel (Ultima Ratio) gegen gesellschaftliche Missstände eingesetzt werden sollte.

Konkret sagte die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga beispielsweise in der Nationalratsdebatte in der Herbstsession 2018: „Der Bundesrat hat auch schon früher bekundet, dass aus seiner Sicht das geltende Recht bereits weitgehenden Schutz vor Hassreden und Hasstaten sowie Diskriminierungen gegenüber Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität bietet. (…) Das heisst, der Bundesrat erachtet es nicht als zwingend, den strafrechtlichen Schutz zu erweitern.“[2]

Es liegt auf der Hand: Nur weil sich National- und Ständerat mehrheitlich für die Gesetzeserweiterung ausgesprochen haben, ist der Bundesrat nun verpflichtet, ebenfalls für ein Ja einzutreten. Dieses fehlende Herzblut erklärt auch, warum die gestern vorgelegten Argumente nicht überzeugen.

2. Stammtisch-Gespräche gelten als öffentlich!

Beat Rieder, Präsident der ständerätlichen Rechtskommission, äusserte an der Medienkonferenz, Stammtischgespräche und -witze seien von der erweiterten Rassismus-Strafnorm nicht betroffen, da diese nicht öffentlich seien. Ebenso wird Rieder in den Medien zitiert: „Wenn jemand Unbefugtes mithöre, dann könne er nicht klagen, da die Botschaft nicht für ihn oder die Öffentlichkeit bestimmt war.“

Diese faktisch falsche Aussage muss als Irreführung der Bevölkerung angesehen werden. Bereits in einem Grundsatzurteil vom 27. Mai 2004 hatte das Bundesgericht nämlich den Öffentlichkeitscharakter neu definiert[3]. Das bedeutet laut der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR)[4]: „Es gelten ‚(…) alle Äusserungen und Verhaltensweisen als öffentlich, die nicht im privaten Rahmen erfolgen‘. Das Bundesgericht definiert somit den Begriff der ‚Öffentlichkeit‘ in Abgrenzung zum privaten Handeln. Äusserungen und Verhaltensweise sind laut diesem Urteil immer dann als privat anzusehen, wenn sie ‚(…) im engen Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderem Vertrauen geprägtem Umfeld erfolgen‘.“

Das bedeutet in der Praxis: Besteht zwischen dem Redner und den Adressaten kein sogenanntes Vertrauensverhältnis, gilt eine Äusserung als öffentlich und somit gegebenenfalls als strafwürdig. Auch wenn ein unbekannter Mithörer vom Nebentisch mitbekommt, was am Stammtisch unter Vertrauten diskutiert wird, ist nach der Gerichtspraxis des Bundesgerichts der Öffentlichkeitscharakter gegeben.

Der Freiburger Strafrechtler Marcel Niggli äusserte beim damaligen Radio DRS die Meinung, dass sich durch das Bundesgerichtsurteil für die Situation am Stammtisch nichts ändere. Der rassistische Witz am Stammtisch sei bereits nach alter Praxis strafbar, wenn jemand so laut rede, dass andere mithören müssten.[5]

3. Zur Frage, was „diskriminierend“ ist

Einmal mehr wurde beschwichtigt, dass mit der erweiterten Rassismus-Strafnorm nur besonders „krasse“ Verstösse gegen die Menschenwürde strafbar würden. Das Hauptproblem hierbei ist, dass sowohl der „Hass“- wie auch der Menschenwürde-Begriff dem Bestimmtheitsgebot des Strafrechts nicht genügen. Die jeweilige Einschätzung der Richter ist entscheidend. Es geht meist nicht um handfeste Tatsachen oder Taten, sondern um Eindrücke, die entstehen können. Das öffnet subjektiv eingefärbten, ja willkürlichen Auslegungen Tür und Tor. Selbst laut Befürwortern der Rassismus-Strafnorm „ist es immer auch eine Frage gesellschaftlicher Sensibilitäten und politischer Machtstrukturen, in welchen Fällen die Menschenwürde als verletzt angesehen wird und in welchen nicht.“ So die Juristin Vera Leimgruber in einer Publikation der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR).

Wie weit das Feld der Auslegungsprobleme ist, das sich durch die Rassismus-Strafnorm auftut, zeigt alleine schon der „Rechtsratgeber Rassistische Diskriminierung“ der EKR, der 90 Seiten umfasst. Der juristische Kommentar des Rechtswissenschaftlers Marcel A. Niggli umfasst gar 320 Seiten. Zum Vergleich: Das Schweizerische Strafgesetzbuch kommt auf 192 Seiten daher. Klare, für den Bürger überschaubare Verhältnisse sehen anders aus.

[1] Quelle: Bericht des Bundesrats zur Parlamentarische Initiative Reynard (13.407), BBI 2018 5231-5238, 5236.

[2] Quelle: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=44372#votum11

[3] Quelle: BGE 130 IV 111 (http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?highlight_docid=atf%3A%2F%2F130-IV-111%3Ade&lang=de&type=show_document)

[4] Quelle: https://www.ekr.admin.ch/pdf/Webdocument_Zannol_Da423.pdf (Seite 21)

[5] Quelle: https://www.livenet.ch/themen/gesellschaft/politik_wirtschaft_recht/recht/117296-oeffentlich_ist_alles_was_nicht_privat_ist_wo_rassistische_witze_strafbar_werden.html