„Noch vor Jahren hätte ich nicht gedacht, wie auskunftsfreudig die Bibel zum Verhältnis Kirche und Staat ist“, sagt Stefan Felber. Jetzt hat der Dozent für Altes Testament vom Theologischen Seminar St. Chrischona eben dazu ein Buch veröffentlicht. Ein Ergebnis seiner Bibelstudien lautet: Obrigkeiten bestehen nicht aus Halbgöttern, sondern aus fehlbaren Menschen, die auf ständige Korrektur angewiesen sind. Sie dürfen Respekt, aber nicht Verehrung beanspruchen.
Von David Gysel
Wenn sie im Namen des Staates handeln, sollen sie sich möglichst auf das Erhalten von Recht und Frieden beschränken. Weitere staatliche Kompetenzen findet Felber in der Bibel nicht. David und Salomo durften nur aufgrund besonderer Beauftragung Gottes in religiöse Bereiche eingreifen. Ansonsten machten sie sich schuldig vor Gott. Solche Schuld sieht Felber bei Saul, Jerobeam, Ahab, Ahas, ja den meisten alttestamentlichen Königen.
Zivilreligion heute?
In seinem Buch nimmt der tsc-Dozent den Begriff der „Zivilreligion“ ins Visier. Für die Erklärung des Begriffs greift er auf Jean-Jacques Rousseau zurück und meint damit die Religion, wie sie durch ein Staatsoberhaupt definiert wird. Man kann die „Zivilreligion“ auch auf Prinzipien und Werte beziehen, die durch die Gesellschaft gefüllt oder entwickelt und dann durch die staatlichen Autoritäten festgeschrieben werden. Diese Prinzipien und Werte können der Bibel entsprechen oder ihr entgegenstehen.
Bei Letzterem denkt Felber an Themen wie Abtreibung oder „Ehe für alle“. Wer homosexuelle Betätigung als moralisch kritisch qualifiziere, müsse heute zunehmend mit Sanktionen oder dem Ausschluss von Ämtern rechnen, sagt Felber. Wenn nun Kirchen solche Sanktionen übernähmen, hätten sie sich der herrschenden Zivilreligion untergeordnet. Felber: „Sie verlieren ihr geistliches Eigenrecht, sind kein kritisches Gegenüber zur Welt mehr, ja sie werden selbst zur Welt.“ Aus diesem Grund hat Stefan Felber als Buchtitel einen Satz der jüdischen Anführer beim Prozess gegen Jesus gewählt. Auf die Frage des Pilatus, ob er Jesus, ihren König, kreuzigen solle, hatten sie geantwortet: „Wir haben keinen König ausser dem Kaiser!“ Felbers Schlussfolgerung: „Damit haben sie sich dem Heidentum unter- und eingeordnet.“
Ein Gesetz der Freiheit
Das Gesetz, das Gott Mose nach dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten gab, sieht Stefan Felber als ein Gesetz der Freiheit von einem totalitären Staat. „In Ägypten wurde Pharao gottgleich verehrt, Religion und Staat waren untrennbar.“ Die Götter Ägyptens hätten das Eigentum und das Leben der Israeliten gering geachtet. Auf die zeitgenössische Geringachtung alttestamentlicher Gesetzestexte reagiert Felber: „Wer heute nicht für dieses gute Gesetz einsteht, soll bitte sagen, welches Gesetz sonst die Freiheit der Familie, des Einzelnen und des Glaubens vor staatlicher Bevormundung sichern würde. Dies umso mehr, als wir immer mehr staatliche Entscheidungen wahrnehmen, die die Familie und die Freiheit des Einzelnen schwächen.“
Gottesdienst in Corona-Zeit
Auch die staatlichen Eingriffe in die Gottesdienstfreiheit im Namen der Pandemiebekämpfung sieht Felber kritisch. „Zwar verweisen viele Christen auf die ersten Verse von Römer 13, aber sie übersehen, dass die Obrigkeiten Gottes Dienerinnen sein sollen.“ Dies könnten sie aber nur, wenn sie das Gesetz Gottes höher achteten als alle menschengemachten Gesetze. Felber: „Denn man muss Gott mehr gehorchen und vertrauen als den Menschen.“ Deshalb dürfen aus seiner Sicht Gemeinden oder Gemeindeverbände die Entscheidungskompetenz für die Durchführung und den Rahmen von Gottesdienst und Liturgie nicht in heidnische Hände legen. Gemäss 1. Kor 6 hätten ja schon interne Rechtsstreitigkeiten vor weltlichen Gerichten nichts zu suchen, umso weniger sei dies für den Gottesdienst eine Option.
Stefan Felber ist Stiftungsrat bei der Stiftung Zukunft CH. Zum Buch: Stefan Felber, Kein König ausser dem Kaiser? Warum Kirche und Staat durch Zivilreligion ihr Wesen verfehlen, 2021, Freimund Verlag, 243 Seiten, Bestellung
Der Artikel wurde am 24. Oktober 2021 bei „IDEA“ veröffentlicht. Publikation bei Zukunft CH mit freundlicher Genehmigung von idea.