„Die jungen Menschen zur Gerechtigkeit und zum Frieden erziehen“, so lautete der Titel der Botschaft Benedikt XVI. zum 45. Weltfriedenstag im Jahre 2012. Wie kaum ein anderer schaffte es Benedikt XVI., dies den Menschen zu vermitteln. Seine damaligen Gedanken haben nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil: Angesichts der gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa und weltweit sind sie drängender denn je.

Von Ralph Studer 

Seit 1968 begeht die katholische Kirche jährlich am 1. Januar den Weltfriedenstag. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2012 blickte Benedikt XVI. trotz aller damaligen Krisen mit Vertrauen und Hoffnung in die Zukunft. Seine Worte richteten sich vor allem an die junge Generation, die Eltern und die für die Erziehung Verantwortlichen. Vertieft setzte er sich auch mit zentralen Begriffen unseres Menschseins und ihrer Bedeutung für eine friedliche Welt auseinander: Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit.

Wertschätzung für das Leben vermitteln

Auch wenn die Zeiten von Dunkelheit umhüllt seien, warte das Herz des Menschen auf das Morgenrot, so die ersten Zeilen von Benedikt XVI. „Diese Erwartung ist bei jungen Menschen besonders lebendig und augenscheinlich.“ Sie könnten mit ihrer Begeisterung und ihrem idealistischen Ansporn der Welt eine neue Hoffnung schenken. Mehr denn je gehe es darum, den jungen Menschen die Wertschätzung für die positive Bedeutung des Lebens zu vermitteln, indem man in ihnen den Wunsch wecke, es für den Dienst am Guten einzusetzen.

Dies gelte vor allem in einer Zeit, in der vieles die Jugendlichen mit Besorgnis erfüllten: der Wunsch, eine Ausbildung zu erhalten, die sie auf die Wirklichkeit vorbereitet, die Schwierigkeit, eine Familie zu bilden und einen sicheren Arbeitsplatz zu finden, und die Fähigkeit zu erwerben, einen wertvollen Beitrag an eine menschlichere Gesellschaft zu leisten.

Familie als bester Ort der Erziehung

„Erziehung“, so der damalige Papst, „ist das faszinierendste und schwierigste Abenteuer des Lebens.“ Erziehen bedeute, einen Menschen über sich selbst hinauszuführen, um ihn in die Wirklichkeit einzuführen, in eine Fülle, die ihn wachsen lasse. Dabei sieht Benedikt XVI. klar, dass zwei Freiheiten aufeinanderprallen: diejenige des Erwachsenen und diejenige des Jugendlichen. Auf der einen Seite benötigt es die Offenheit des Schülers, sich zur Erkenntnis der Wirklichkeit führen zu lassen. Der Erzieher auf der anderen Seite soll bereit sein, sich zu verschenken.

Den besten Ort für eine Erziehung zu Frieden und Gerechtigkeit ortet Benedikt XVI.in der Familie, bei den Eltern als den ersten Erziehern. „Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft“, hält Benedikt in aller Deutlichkeit fest. Dort erlernten die Kinder die menschlichen und christlichen Werte, die ein konstruktives und friedliches Zusammenleben gestatten. Es sei auch der Ort, an dem die Solidarität zwischen den Generationen, die Achtung der Regeln, die Vergebung und die Annahme des anderen stattfinde.

Dabei sei die Anwesenheit der Eltern eines der kostbarsten Güter für die Kinder. Diese erlaube ein immer tieferes Miteinander, um jene Erfahrung und jene im Laufe der Jahre gewonnenen Sicherheiten weitergeben zu können, die man nur mit der gemeinsam verbrachten Zeit vermitteln könne. „Mit dem Beispiel ihres Lebens“, ermutigt Benedikt XVI. die Eltern, „sollen sie die Kinder ermuntern, die Hoffnung vor allem auf Gott zu setzen, von dem allein echte Gerechtigkeit und echter Friede ausgehen.“

Auch Politik und Medien stehen in der Verantwortung

Die Botschaft richtet sich auch klar an die Politiker. Diese sollten den Familien und Erziehungseinrichtungen konkret helfen, ihr Recht der Erziehung, das zugleich eine Pflicht ist, wahrzunehmen. Niemals dürfe es an einer angemessenen Unterstützung der Mutter- und Vaterschaft fehlen. Von den Politikern wird gefordert, „dass die Familien frei die Erziehungseinrichtungen wählen können, die sie für das Wohl ihrer Kinder als am besten geeignet ansehen“.

An die Medien appelliert Benedikt XVI., ihren erzieherischen Beitrag zu leisten. Er betont ihre besondere Rolle, da sie nicht nur informieren, sondern auch den Geist der Jugendlichen formen und insofern eine wesentliche Rolle bei der Erziehung spielen. Es sei wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Verbindung zwischen Erziehung und Kommunikation äusserst eng sei. Erziehung durch Kommunikation könne die Bildung des Menschen positiv oder negativ beeinflussen.

Der Mensch hat „Durst nach Wahrheit“

„Das menschliche Gesicht einer Gesellschaft“, mahnt Benedikt XVI, „hängt sehr vom Beitrag einer Erziehung ab.“ Denn die Erziehung betreffe die ganzheitliche Bildung des Menschen, einschliesslich der moralischen und spirituellen Dimension des Seins. Dies gelte auch im Hinblick auf sein letztes Ziel und auf das Wohl der Gesellschaft. Um zur Wahrheit zu erziehen, brauche es das unbedingte Wissen, was der Mensch sei. Dafür müsse man seine Natur kennen.

„Der Mensch“, so der emeritierte Papst, „ist ein Wesen, das einen Durst nach Unendlichkeit im Herzen trägt, einen Durst nach Wahrheit (…), die den Sinn des Lebens zu erklären vermag.“ Denn der Mensch sei Abbild Gottes und ihm ähnlich erschaffen worden. Habe der Mensch das Leben als unschätzbares Geschenk erkannt, führe dies zur Entdeckung der eigenen inneren Würde und der Unantastbarkeit jedes Menschen. Unvereinbar sei es deshalb, den Menschen zu opfern, „um ein spezielles Gut – sei es wirtschaftlicher oder sozialer, individueller oder gemeinschaftlicher Art – zu erlangen“.

Wahre Freiheit anstreben

Nur in der Beziehung zu Gott lasse sich die Bedeutung der eigenen Freiheit begreifen, hält Benedikt XVI. klar fest. Es sei die Aufgabe der Erziehung, zu echter Freiheit heranzubilden. Diese bestehe nicht im Fehlen von Bindungen oder in der Herrschaft der Willkür. Das Ich sei nicht absolut. „Der Mensch“, heisst es weiter, „der sich selbst absolut setzt, der meint, von nichts und niemanden abhängig zu sein und alles tun zu können, was er will, widerspricht letztlich der Wahrheit seines eigenen Seins und verliert seine Freiheit.“ Der Mensch sei vielmehr ein relationales Wesen, das in Beziehung zu anderen und zu Gott stehe.

Die Freiheit sei ein kostbarer, aber heikler Wert; sie könne missverstanden und missbraucht werden. Für die Erziehungsarbeit stelle das massive Auftreten des Relativismus ein besonderes Hindernis dar, der nichts als definitiv anerkenne und als letzten Massstab nur das eigene Ich gelten lasse. Erziehung brauche Wahrheit. „Denn ohne das Licht der Wahrheit“, so Benedikt XVI., „sieht sich früher oder später jeder Mensch dazu verurteilt, an der Qualität seines eigenen Lebens und der Beziehungen (…) ebenso zu zweifeln wie an der Wirksamkeit seines Einsatzes dafür, gemeinsam mit anderen etwas aufzubauen.“

Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit hängen zusammen

Der Papst zeigt, dass die recht verstandene Freiheit auch die Gerechtigkeit und den Frieden fördert, welche die Achtung vor sich selbst und gegenüber dem anderen verlangt. Daraus kämen auch die Elemente, ohne die Friede und Gerechtigkeit leere Worte blieben: „das gegenseitige Vertrauen, die Fähigkeit, einen konstruktiven Dialog zu führen, die Möglichkeit der Vergebung (…), die wechselseitige Liebe, das Mitgefühl gegenüber den Schwächsten wie auch die Opferbereitschaft“.

Dabei könne der Begriff der Gerechtigkeit nicht von seiner Transzendenz gelöst werden, so Benedikt XVI. Gerade heute seien die Bedeutung der Person, ihre Würde und Rechte durch Nützlichkeit, Profit und Besitz bedroht. „Die Gerechtigkeit“, betont der Papst, „ist ja nicht eine blosse menschliche Vereinbarung, denn was gerecht ist, wird nicht ursprünglich vom positiven Gesetz bestimmt, sondern von der tiefen Identität des Menschen.“

Und der Friede wiederum sei die Frucht der Gerechtigkeit und die Wirkung der Liebe. Vor allem sei er ein Geschenk Gottes. „Wir Christen“, so der Papst, „glauben, dass Christus unser wahrer Friede ist: In ihm, in seinem Kreuz, hat Gott die Welt mit sich versöhnt und die Schranken zerstört, die uns voneinander trennen (vgl. Eph 2, 14-18); in ihm gibt es eine einzige, in der Liebe versöhnte Familie.“

Appell an alle, denen der Friede am Herzen liegt

Gegen Ende seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2012 erinnert Benedikt XVI. an die Verpflichtung, der sich keiner entziehen kann, nämlich in seinem Verantwortungsbereich die Gerechtigkeit zu fördern. Mit besonderer Sorge und Liebe richtet sich der emeritierte Papst an die Jugendlichen und bittet sie, „die Geduld und Hartnäckigkeit zu haben und die Gerechtigkeit und den Frieden zu suchen, den Geschmack am Gerechten und Wahren zu pflegen, auch wenn das möglicherweise mit Opfern verbunden ist und verlangt, gegen den Strom zu schwimmen“.

Mit Nachdruck sagt er: „Nicht die Ideologien retten die Welt, sondern allein die Hinwendung zum lebendigen Gott, der unser Schöpfer, der Garant unserer Freiheit, der Garant des wirklich Guten und Wahren ist (…), die radikale Hinwendung zu Gott, der das Mass des Gerechten und zugleich die ewige Liebe ist. Und was könnte uns denn retten, wenn nicht die Liebe?“

An die Menschen, denen die Sache des Friedens am Herzen liegt, appelliert er: „Vereinen wir unsere geistigen, moralischen und materiellen Kräfte, um die jungen Menschen zur Gerechtigkeit und zum Frieden zu erziehen.“

Für unsere Zeit

Was Benedikt XVI. in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2012 sagte, enthält Grundlegendes für unsere Gegenwart. Es braucht ein Zurück zur Natur des Menschen, ein Zurück zur Wahrheit und letztlich zu Gott. Nur so werden wir in unserer Gesellschaft wahre Gerechtigkeit und Freiheit verwirklichen. Und nur so kommen wir dem wahren Frieden ein grosses Stück näher.